Nieren in Gefahr: Blutdruckziel von 140/90 mmHg bei Typ-1-Diabetes womöglich zu hoch für optimalen Schutz?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

27. Dezember 2016

Ein niedrigerer Blutdruck geht bei Typ-1-Diabetikern mit einem geringeren Risiko für Makroalbuminurie und chronische Nierenerkrankung im Stadium 3 einher. Dies zeigt eine Untersuchung von Teilnehmern des Diabetes Control and Complications Trial (DCCT).

„Unsere Daten bestätigen eine Assoziation zwischen einem Blutdruck, der signifikant unter den derzeit empfohlenen Zielwerten liegt, und dem Risiko für nachteilige renale Ereignisse“, schreiben die Nephrologin Dr. Elaine Ku von der University of California in San Francisco und ihre Kollegen in Diabetes Care [1]. Ist das derzeit empfohlene Blutdruckziel von 140/90 mmHg womöglich zu hoch für einen optimalen Nierenschutz bei Typ-1-Diabetes?

Prof. Dr. Jan-Christoph Galle

Auf Nachfrage von Medscape betont Prof. Dr. Jan-Christoph Galle, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie: „Diese Studie zeigt erst einmal nur eine Assoziation zwischen dem gemessenen Blutdruck und dem Auftreten renaler Endpunkte. Sie generiert die nicht ganz neue Hypothese, dass es positive Effekte haben könnte, wenn man den Blutdruck durch Therapie auf niedrigere Werte absenkt, ein zwingender Rückschluss ist dagegen nicht möglich.“

Unter Einsatz der DCCT-/EDIC-Kohorte

Ku und ihre Kollegen nahmen in ihre Studie 1.441 Patienten mit Typ-1-Diabetes auf, die damals im Rahmen des Diabetes Control and Complications Trial (DCCT) auf eine intensive oder konventionelle Blutzuckereinstellung randomisiert worden waren. Die Endpunkte waren Makroalbuminurie (> 300 mg/24h) oder chronische Nierenerkrankung im Stadium 3 (CKD3; geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [eGFR] konstant unter 60 pml/min/1,73m2).

Während der DCCT-Studienlaufzeit (1983 bis 1993) hatten die Teilnehmer mit intensiver Blutzuckerkontrolle im Schnitt einen HbA1c-Wert von 7,3%, bei den Teilnehmern mit konventioneller Blutzuckerkontrolle lag er bei 9,1%. Während der Follow-up-Studie EDIC näherten sich die beiden Gruppen zunehmend aneinander an, bis der HbA1c-Wert in beiden Gruppen im Schnitt bei 8% lag.

Niedrigere Blutdruckwerte, niedrigeres Risiko

Im Laufe der 24-jährigen Nachbeobachtung entwickelten 169 Patienten eine Makroalbuminurie und 84 erkrankten an CKD3.

  • Ein systolischer Blutdruck unter 120 mmHg war mit einem signifikant niedrigeren Risiko für Makroalbuminurie und CKD3 assoziiert als ein Blutdruck zwischen 130 und 140 mmHg (Hazard Ratio: 0,59; p = 0,03).

  • Auch ein diastolischer Blutdruck unter 70 mmHg war tendenziell mit einem niedrigeren Risiko für Makroalbuminurie und CKD3 verbunden, doch ohne statistische Signifikanz (HR: 0,73; p = 0,20).

  • Bei einem insgesamt niedrigeren Blutdruck war außerdem das Risiko für Mikroalbuminurie sowie eine Abnahme der Nierenfunktion geringer.

  • Dementsprechend gab es bei einem Blutdruck von 140/90 mmHg oder höher auch mehr Makroalbuminurien und Stadium-3-Nierenfunktions-Einschränkungen als bei Blutdruckwerten im Referenzbereich (HR: 2,77; p < 0,001).

Keine additiven Effekte von Blutdruck- und Blutzuckerkontrolle

Entgegen der von den Autoren aufgestellten Hypothese waren die Ergebnisse unabhängig von der in DCCT zugewiesenen glykämischen Kontrollstrategie sowie den während DCCT und EDIC erreichten HbA1c-Werten.

 
Unsere Daten bestätigen eine Assoziation zwischen einem Blutdruck, der signifikant unter den derzeit empfohlenen Zielwerten liegt, und dem Risiko für nachteilige renale Ereignisse. Dr. Elaine Ku
 

„Für Typ-1-Diabetiker wird aktuell – so wie für alle anderen Menschen auch – ein Blutdruckziel von 140/90 mmHg empfohlen“, erinnert Galle, der am Klinikum Lüdenscheid die Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren leitet. Dies sei allerdings erst seit einigen Jahren so. Bis etwa 2010 galt für Menschen mit Diabetes noch die Empfehlung, den Blutdruck auf maximal 130/80 mmHg zu senken. „Man hat geglaubt, dass die tiefere Blutdrucksenkung für die Patienten von Vorteil wäre, insbesondere für die Typ-2-Diabetiker, bei denen man von einem hohen kardiovaskulären Risiko ausging“, berichtet Galle.

Doch dann zeigten Studien, die bei Patienten mit Typ-2-Diabetes höhere und niedrigere Blutdruckziele miteinander verglichen hatten, etwa die ACCORD-Studie, dass eine Blutdruckeinstellung auf niedrigere Werte im Hinblick auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität keine Vorteile bringt. „In der Folge wurden die Zielblutdruckwerte auf 140/90 mmHg angehoben“, berichtet Galle.

Optimaler Blutdruck noch immer ungeklärt

Ganz beigelegt war die Kontroverse um das optimale Blutdruckziel bei Patienten mit Diabetes dennoch nie, und die Diskussion flammte wieder auf, als vor einem Jahr die SPRINT-Daten veröffentlicht wurden: „Sie zeigte, dass es möglicherweise doch besser wäre, den Blutdruck tiefer zu senken, schloss aber keine Diabetiker ein“, so Galle.

 
Es ist möglich, dass der Blutdruck bei Patienten mit Typ-1-Diabetes anders mit renalen Endpunkten assoziiert ist als bei Patienten mit Typ-2-Diabetes … Prof. Dr. Jan-Christoph Galle
 

Hinzu kommt: Es existieren keine klinischen Studien, die eine aggressivere und eine konservativere Blutdrucksenkung explizit bei Menschen mit Typ-1-Diabetes verglichen hätten – wenn Diabetiker eingeschlossen wurden, waren es meist Typ-2-Diabetiker.

„Es ist möglich, dass der Blutdruck bei Patienten mit Typ-1-Diabetes anders mit renalen Endpunkten assoziiert ist als bei Patienten mit Typ-2-Diabetes – etwa aufgrund des jüngeren Alters bei Krankheitsausbruch, der früheren Diagnose und der niedrigeren Prävalenz von Begleiterkrankungen wie Fettleibigkeit beim Diabetesausbruch“, schreiben auch Ku und ihre Koautoren.

Interventionelle Studien sollen Klarheit schaffen

Die Beobachtungsdaten aus DCCT und EDIC sprächen dafür, interventionelle Studien aufzulegen, so Ku und ihre Kollegen. Mit ihnen ließe sich die Hypothese überprüfen, dass eine strenge Blutdruckeinstellung den Ausbruch und die Progression von Nierenerkrankungen in dieser Population verzögern könnte.

Auch Galle betont, dass die in dieser Assoziationsstudie generierte Hypothese durch randomisiert-kontrollierte Studien überprüft werden müsse. Dabei sei es aber wichtig, sich nicht nur renale Endpunkte anzuschauen, sondern auch die Mortalität.

 

REFERENZEN:

1. Ku E, et al: Diabetes Care 2016;39:2218–2224

 

Kommentar

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