Bei vielen Konsumenten steht digitale Technik ganz oben auf dem Wunschzettel. Laut einer repräsentativen Umfrage von Bitkom wollen 85% aller Deutschen zu Weihnachten digitale Technik kaufen – teilweise als Geschenk, teilweise zum eigenen Gebrauch. Smartphones sind mit 35% aller Nennungen besonders gefragt [1]. Etwa 30% der Anwender installieren Gesundheits-Apps, um beispielsweise Vitalparameter zu erfassen, sich beim Abnehmen Hilfe zu holen oder leichter vom Nikotin loszukommen.
„Experten sprechen von mehr als 200.000 Apps in den App-Stores, die einen Zusammenhang mit Gesundheitsthemen haben“, so Julia Hagen, Referentin Health & Pharma bei Bitkom, zu Medscape. Exakte Zahlen seien schwierig zu ermitteln, weil oft nicht zwischen Lifestyle-App und Gesundheits-App unterschieden werde. „Wir müssen an Lifestyle-Apps zwar die gleichen kritischen Anforderungen in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit haben, die Anwendungsfunktionen selbst sind jedoch weniger kritisch“, so Hagen weiter.
Die Spreu vom Weizen trennen: Zertifizierung als Medizinprodukt hilfreich
„Für viele sind Apps heute schon ein Ansporn, sich mehr zu bewegen, sich gesünder zu ernähren – und sie unterstützen zum Beispiel auch bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten“, so Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bei einer Pressekonferenz. Er präsentierte die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA“.
Die Kernaussagen der Studie: Medizinische Apps bieten schon heute zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten rund um Prävention, Selbstmanagement und Therapietreue. Umfassende Belege für den Nutzen fehlen aber bisher. Allerdings gibt es Hinweise auf positive Effekte. Die Autoren empfehlen deshalb, die weitergehende wissenschaftliche Evaluation von Präventions-Apps sowie Apps zur Diagnostik und Therapie zu fördern, um mehr Evidenz zu schaffen. Als weiteres Resümee fordert Gröhe verpflichtende Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Das kann aber noch dauern.
Hagen nennt deshalb einige Kriterien, anhand derer Ärzte sich schon heute orientieren können: „Die Europäische Medizinprodukte-Richtlinie hat vor kurzem noch einmal klargestellt, dass auch Software ein Medizinprodukt sein kann.“ Eine Zertifizierung als Medizinprodukt sei daher hilfreich, weil die Einordnung einer App erleichtert werde. Informationen über die Qualität oder Datenschutzaspekte könnten daraus allerdings nicht abgeleitet werden.
Ein Blick hinter die Kulissen: Worauf man achten sollte
Die Expertin rät Ärzten und Laien, auf bestimmte Details zu achten. Wie seriös ist der Hersteller selbst? „Die offiziellen App-Shops der Smartphone-Hersteller bzw. der Betriebssystem-Entwickler gelten als recht sichere Marktplätze für Anwendungen, da sie Sicherheitsprüfungen der angebotenen Apps durchführen“, erklärt Hagen. „Dennoch sollte jede einzelne App auch einzeln vor dem Herunterladen überprüft werden.“
Bei Programmen, die schon länger als Download zur Verfügung stehen, lohnt sich ein Blick auf Bewertungen. „Weisen Nutzer in ihren Kommentaren auf Sicherheits- und Datenschutzmängel hin, ist Vorsicht geboten“, sagt die Bitkom-Referentin.
Smartphone-Besitzer sollten auch die Einstellungen ihrer Apps im Blick behalten. Zugriff auf Adressdaten oder Ortungsdienste sind mitunter kritisch, je nach Anwendung.
Das Impressum sollte ebenfalls angeklickt werden. Wer steckt hinter der App und welche möglichen Interessen verfolgt dieser App-Anbieter? Hagen: „Oft hilft ein Blick auf die Website der App. Bei seriösen Gesundheits-Apps werden Ihnen dort auch Informationen zu wissenschaftlichen Hintergründen und den fachlichen bzw. medizinischen Ansprechpartnern im Projekt geliefert.“
Medizinische Fachgesellschaften helfen Ärzten bei konkreten Fragen hinsichtlich der Qualität ebenfalls weiter.
Qualität wird zur Kassenleistung
Mit diesen Fragen werden sich Politiker in nächster Zeit ebenfalls beschäftigen. Gröhe kündigte jedenfalls an, dafür zu sorgen, dass „Produkte, die einen wirklichen Nutzen für Patienten bringen, schnell in die Versorgung gelangen.“
Hagen nennt Tinnitracks von Sonormed, eine Anwendung zur Behandlung von Tinnitus, als Beispiel. Einige Gesetzliche Krankenversicherungen erstatten das kleine Programm bereits. Bei manchen Anwendungen liegen zumindest valide Daten vor.
Wie Medscape berichtet hat, verbessern z.B. Diabetes-Apps die Stoffwechsellage nachweislich. Dr. Can Hou von der Cardiff University School of Medicine konnte auf Basis von 14 Studien mit 1.360 Teilnehmern zeigen, dass sich die HbA1c-Werte durch kleine Programme im Schnitt um 0,49% verringerten. Die meisten Arbeiten befassten sich mit Typ-2-Diabetes.
Aktuell entscheiden Krankenkassen selbst, ob sie die Kosten für eine solche Anwendung im Rahmen eines Selektivvertrages übernehmen. Sie haben unterschiedliche Kriterien und sehr lange Prozesse, die für innovative digitale Versorgungsangebote hemmend sein können.
„Für Start-ups wäre es gut, wenn es einheitliche Anforderungen gäbe und nicht jede Krankenkasse erneut eigene Überprüfungen anstreben würde“, kritisiert Hagen.
REFERENZEN:
1. Bitkom Pressemitteilung, 9. Dezember 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: 200.000 Gesundheits-Apps: Mit Experten-Tipps die Spreu vom Weizen trennen - Medscape - 21. Dez 2016.
Kommentar