200.000 Gesundheits-Apps: Mit Experten-Tipps die Spreu vom Weizen trennen

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

21. Dezember 2016

Bei  vielen Konsumenten steht digitale Technik ganz oben auf dem Wunschzettel. Laut  einer repräsentativen Umfrage von Bitkom wollen 85% aller Deutschen zu  Weihnachten digitale Technik kaufen – teilweise als Geschenk, teilweise zum  eigenen Gebrauch. Smartphones sind mit 35% aller Nennungen besonders gefragt  [1]. Etwa 30% der Anwender installieren Gesundheits-Apps, um beispielsweise  Vitalparameter zu erfassen, sich beim Abnehmen Hilfe zu holen oder leichter vom  Nikotin loszukommen.

„Experten  sprechen von mehr als 200.000 Apps in den App-Stores, die einen Zusammenhang  mit Gesundheitsthemen haben“, so Julia  Hagen, Referentin Health & Pharma bei Bitkom, zu Medscape. Exakte Zahlen seien schwierig zu ermitteln, weil oft  nicht zwischen Lifestyle-App und Gesundheits-App unterschieden werde. „Wir  müssen an Lifestyle-Apps zwar die gleichen kritischen Anforderungen in Bezug  auf Datenschutz und Datensicherheit haben, die Anwendungsfunktionen selbst sind  jedoch weniger kritisch“, so Hagen weiter.

Die Spreu vom Weizen  trennen: Zertifizierung als Medizinprodukt hilfreich

„Für  viele sind Apps heute schon ein Ansporn, sich mehr zu bewegen, sich gesünder zu  ernähren – und sie unterstützen zum Beispiel auch ‎bei der regelmäßigen  Einnahme von Medikamenten“, so Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bei einer Pressekonferenz. Er präsentierte die  vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Studie „Chancen  und Risiken von Gesundheits-Apps – CHARISMHA“.

Die  Kernaussagen der Studie: Medizinische Apps bieten schon heute zahlreiche  Anwendungsmöglichkeiten rund um Prävention, Selbstmanagement und Therapietreue.  Umfassende Belege für den Nutzen fehlen aber bisher. Allerdings gibt es  Hinweise auf positive Effekte. Die Autoren empfehlen deshalb, die weitergehende  wissenschaftliche Evaluation von Präventions-Apps sowie Apps zur Diagnostik und  Therapie zu fördern, um mehr Evidenz zu schaffen. Als weiteres Resümee fordert  Gröhe verpflichtende Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Das kann aber noch  dauern.

 
Die offiziellen App-Shops der Smartphone-Hersteller bzw. der Betriebssystem-Entwickler gelten als recht sichere Marktplätze für Anwendungen. Julia Hagen
 

Hagen  nennt deshalb einige Kriterien, anhand derer Ärzte sich schon heute orientieren  können: „Die Europäische Medizinprodukte-Richtlinie hat vor kurzem noch einmal  klargestellt, dass auch Software ein Medizinprodukt sein kann.“ Eine  Zertifizierung als Medizinprodukt sei daher hilfreich, weil die Einordnung  einer App erleichtert werde. Informationen über die Qualität oder  Datenschutzaspekte könnten daraus allerdings nicht abgeleitet werden.

Ein Blick hinter die  Kulissen: Worauf man achten sollte

Die  Expertin rät Ärzten und Laien, auf bestimmte Details zu achten. Wie seriös ist  der Hersteller selbst? „Die  offiziellen App-Shops der Smartphone-Hersteller bzw. der  Betriebssystem-Entwickler gelten als recht sichere Marktplätze für Anwendungen,  da sie Sicherheitsprüfungen der angebotenen Apps durchführen“, erklärt Hagen.  „Dennoch sollte jede einzelne App auch einzeln vor dem Herunterladen überprüft  werden.“

Bei  Programmen, die schon länger als Download zur Verfügung stehen, lohnt sich ein  Blick auf Bewertungen. „Weisen  Nutzer in ihren Kommentaren auf Sicherheits- und Datenschutzmängel hin, ist  Vorsicht geboten“, sagt die Bitkom-Referentin.

Smartphone-Besitzer  sollten auch die Einstellungen ihrer Apps im Blick behalten. Zugriff auf  Adressdaten oder Ortungsdienste sind mitunter kritisch, je nach Anwendung.

Das  Impressum sollte ebenfalls angeklickt werden. Wer steckt hinter der App und  welche möglichen Interessen verfolgt dieser App-Anbieter? Hagen: „Oft hilft ein  Blick auf die Website der App. Bei seriösen Gesundheits-Apps werden Ihnen dort  auch Informationen zu wissenschaftlichen Hintergründen und den fachlichen bzw.  medizinischen Ansprechpartnern im Projekt geliefert.“

 
Weisen Nutzer in ihren Kommentaren auf Sicherheits- und Datenschutzmängel hin, ist Vorsicht geboten. Julia Hagen
 

Medizinische  Fachgesellschaften helfen Ärzten bei konkreten Fragen hinsichtlich der Qualität  ebenfalls weiter.

Qualität wird zur  Kassenleistung

Mit  diesen Fragen werden sich Politiker in nächster Zeit ebenfalls beschäftigen.  Gröhe kündigte jedenfalls an, dafür zu sorgen, dass „Produkte, die einen  wirklichen Nutzen für Patienten bringen, schnell in die Versorgung gelangen.“

Hagen  nennt Tinnitracks von Sonormed, eine Anwendung zur Behandlung von Tinnitus, als  Beispiel. Einige Gesetzliche Krankenversicherungen erstatten das kleine  Programm bereits. Bei manchen Anwendungen liegen zumindest valide Daten vor.

Wie Medscape berichtet hat, verbessern z.B.  Diabetes-Apps die Stoffwechsellage nachweislich. Dr. Can Hou von der Cardiff University School of Medicine konnte  auf Basis von 14 Studien mit 1.360 Teilnehmern zeigen, dass sich die HbA1c-Werte  durch kleine Programme im Schnitt um 0,49% verringerten. Die meisten Arbeiten  befassten sich mit Typ-2-Diabetes.

Aktuell  entscheiden Krankenkassen selbst, ob sie die Kosten für eine solche Anwendung  im Rahmen eines Selektivvertrages übernehmen. Sie haben unterschiedliche  Kriterien und sehr lange Prozesse, die für innovative digitale  Versorgungsangebote hemmend sein können.

„Für  Start-ups wäre es gut, wenn es einheitliche Anforderungen gäbe und nicht jede  Krankenkasse erneut eigene Überprüfungen anstreben würde“, kritisiert Hagen.

 

REFERENZEN:

1. Bitkom Pressemitteilung, 9. Dezember  2016

 

Kommentar

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