Aktueller Lieferengpass bei einem eigentlich „unentbehrlichen“ Antibiotikum gefährdet Patienten und fördert Resistenzen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

21. Dezember 2016

Auf dem deutschen und internationalen Arzneimittelmarkt kommt es erneut zu Lieferengpässen bei Antibiotika: Unter anderem trifft es die potente Wirkstoffkombination Piperacillin plus Tazobactam, die auch gegen gram-negative Krankenhauskeime wirksam ist. Grund für den derzeitigen Lieferengpass ist eine Explosion in einer Produktionsstätte in China, in der ein großer Teil des weltweit verfügbaren Wirkstoffs verarbeitet wird [1].

„Diese Wirkstoffkombination wird wegen ihres breiten Wirkspektrums bei verschiedenen schweren Infektionen – auch Krankenhausinfektionen – eingesetzt und ist ein hochwirksames und unentbehrliches Medikament“, betont Prof. Dr. Winfried Kern, Leiter der Infektiologie an der Universitätsklinik Freiburg, in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) und des Bundesverbandes Deutscher Krankenhausapotheker e.V. (ADKA).

Lieferengpässe bei Antibiotika und anderen lebenswichtigen Arzneimitteln wie Krebs- und Notfall-Therapeutika treten immer wieder auf und dauern teils Monate an. Experten von DGI und ADKA warnen, dass diese Engpässe die Patientensicherheit gefährden und die Resistenzentwicklung durch das Ausweichen auf Ersatz-Antibiotika weiter verstärken können. Es sei dringend erforderlich, wirksame Strategien zu entwickeln, um die Bereitstellung lebenswichtiger Medikamente zu garantieren.

In der Liste der Lieferengpässe des BfArM vom 19. Dezember taucht Piperacillin/Tazobactam nicht einmal auf. Der Grund: „Es wurde bislang noch kein Lieferengpass über das hierfür vorgesehene Verfahren dem BfArM gemeldet. Die Kombination Piperacillin/Tazobactam erfüllt derzeit auch nicht die Kriterien, die eine Meldung zwingend erforderlich machen würde, da es durchaus alternative Antibiotika gibt”, sagt Maik Pommer, Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, auf Nachfrage von Medscape.

Scheitert die rationale Antibiotikaverordnung an Lieferengpässen?

 
Diese Wirkstoffkombination wird … bei verschiedenen schweren Infektionen eingesetzt, auch bei Krankenhaus- infektionen. Prof. Dr. Winfried Kern
 

„Ein Lieferengpass ist eine über voraussichtlich 2 Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann. Es werden nur Lieferengpässe von Arzneimitteln gelistet, bei denen ein besonderer Informationsbedarf der Fachöffentlichkeit vorausgesetzt wird“, so Pommer.

Derzeit werde dieses bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gesehen, die überwiegend zur Behandlung lebensbedrohlicher oder schwerwiegender Erkrankungen bestimmt sind und für die keine Alternativpräparate verfügbar sind. Er fügt hinzu: „Nicht alle Lieferengpässe führen tatsächlich auch zu Versorgungsengpässen. Oft gibt es Alternativen in der Behandlung oder es kann auf andere Hersteller ausgewichen werden.”

Ist ein Medikament nicht erhältlich, müssen Patienten mit Alternativpräparaten behandelt werden. Die wirken unter Umständen aber schlechter oder weisen mehr Nebenwirkungen auf.

„Oftmals müssen wir auf Antibiotika mit unnötig breitem Wirkspektrum zurückgreifen“, erläutert Dr. Dr. Katja de With, Sprecherin der Sektion Antibiotic Stewardship der DGI und Leiterin der Klinischen Infektiologie am Universitätsklinikum Dresden. „Dadurch aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich immer weitere, kaum noch zu behandelnde Resistenzen ausbilden.“

Die Bemühungen um eine rationale Antibiotikaverordnung und die Eindämmung von Resistenzen drohen an den immer wieder auftretenden Lieferengpässen zu scheitern. „Es entstehen Nachteile in der Behandlung bis hin zur Gefährdung des Patienten“, warnt de With.

Extremer Preiswettbewerb für Lieferengpässe mitverantwortlich

Die Gründe für die immer wieder auftretenden Lieferengpässe sind unterschiedlich. „Ein Grund ist der extreme Preiswettbewerb, der vor allem bei generisch verfügbaren Wirkstoffen vorherrscht“, erklärt PD Dr. Martin Hug, Direktor der Apotheke der Universitätsklinik Freiburg und Mitglied des Ausschusses Antiinfektive Therapie des ADKA. „Pharmazeutische Unternehmen verlagern die Produktion deshalb oft in Schwellenländer, die aber nicht über die hiesigen Sicherheitsstandards verfügen und deshalb anfälliger sind für Produktionsprobleme. Ein weiterer Grund für Lieferprobleme ist die Konzentration der Roh- und Wirkstoffproduktion in den Händen von immer weniger Anbietern.“ Auch die weltweit steigende Nachfrage nach bestimmten Antibiotika ist für regelmäßig auftretende Engpässe mitverantwortlich.

 
Oftmals müssen wir auf Antibiotika mit unnötig breitem Wirkspektrum zurückgreifen. Dr. Dr. Katja de With
 

„Auf der Ebene der Patientenversorgung muss es originäre Aufgabe von Infektiologen sein, gemeinsam mit Klinikapothekern Strategien zu entwickeln, um bei Antibiotika-Lieferengpässen eine sichere und wirksame Behandlung von Infektions-Patienten sicherzustellen“, sagt Kern.

„Darüber hinaus benötigen wir dringend einen Masterplan, um der Problematik als solcher zu begegnen – und hier sind vor allem Politik und Industrie gefragt“, ergänzt Dr. Matthias Fellhauer, Direktor der Apotheke des Schwarzwald-Baar Klinikums und Vorsitzender des Ausschusses Antiinfektive Therapie der ADKA.

 
Es entstehen Nachteile in der Behandlung bis hin zur Gefährdung des Patienten. Dr. Dr. Katja de With
 

„Ein erster wichtiger Schritt wäre eine verbindliche Meldepflicht bei Lieferengpässen für die Industrie“, betont Fellhauer. Doch die gibt es nicht. Als Ergebnis des Pharmadialogs bleibt es bei der Selbstverpflichtung der Pharmaindustrie. Diese sieht vor, Behörden und Kliniken bei drohenden Lieferengpässen von wichtigen Wirkstoffen frühzeitig zu informieren. In der Praxis führt das aber dazu, dass Krankenhausapotheken und behandelnde Ärzte oft erst informiert werden, wenn keine Ware mehr vorhanden ist.

Was kann der „Jour Fixe“ zum Thema Lieferengpässe bewirken?

DGI und ADKA fordern Politik und Industrie deshalb dazu auf, Strategien zu entwickeln, die die Produktions- und Lieferfähigkeit von Arzneimitteln verbessern, auch wenn deren Patentschutz abgelaufen ist. Die Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten müsse gewährleistet sein, sonst gerate die Patientensicherheit ernsthaft in Gefahr.

 
Ein Grund ist der extreme Preiswettbewerb, der vor allem bei generisch verfügbaren Wirkstoffen vorherrscht. PD Dr. Martin Hug
 

Im Pharmadialog der Bundesregierung wurde vereinbart, dass ein „Jour Fixe“ zum Thema Lieferengpässe unter Beteiligung der Bundesoberbehörden und der Fachkreise eingerichtet werden soll. Er soll dazu dienen, die Versorgungslage zu beobachten und zu bewerten. Am ersten „Jour Fixe“ am 8. September 2016 nahmen Vertreter der ABDA/AMK, ADKA, AkdÄ, AWMF, BAH, BfArM, BMG, BPI, PEI, PHAGRO, Pro Generika und des VFA teil.

„Der Austausch ist einer von vielen Schritten hin zu einer flächendeckenden Information über Lieferengpässe, besonders bei wichtigen Arzneimitteln. Deswegen arbeiten wir auch mit Blick auf Melde- und Informationswege an Lösungen, die dafür sorgen sollen, dass Engpässe zuverlässig gemeldet werden. So können wir shortage-relevante Arzneimittel frühzeitig und schnell identifizieren und diesbezüglich informieren“, berichtet Pommer. Derzeit jedenfalls steht die Selbstverpflichtung nicht zur Disposition. Diese soll – auch das wurde im Pharmadialog deutlich – nach dem Willen des Bundesgesundheitsministeriums nur dann auf den Prüfstand, falls sie nicht funktioniert.

 

REFERENZEN:

1. American Society of Health-System Pharmacists, 19. Dezember 2016

 

Kommentar

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