Alles auf Anfang: Warum die SPRINT-Studie das Blutdruck-Ziel doch nicht ändert

Bettina Micka

Interessenkonflikte

16. Dezember 2016

Berlin – „Viel Lärm um nichts“, ließe sich rund ein Jahr nach der Veröffentlichung der SPRINT-Studie resümieren: Das Blutdruckziel von unter 140/90 mmHg wird trotz der zunächst spektakulär erscheinenden Ergebnisse von SPRINT nicht heruntergesetzt. Warum dies so ist, erläuterte auf dem Kongress der Deutschen Hochdruckliga (DHL) deren Vorstandsvorsitzender Prof. Dr. Martin Hausberg. „SPRINT wird wahrscheinlich keinen Einfluss auf die deutschen Leitlinien haben“, konstatierte der Direktor der Medizinischen Klinik I, am Städtisches Klinikum Karlsruhe.

Prof. Dr. Martin Hausberg

Zudem machte er deutlich, das bei therapieresistentem Bluthochdruck das altbekannte Spironolacton das „Zünglein an der Wage“ sein kann, um den Zielwert doch noch zu erreichen.

SPRINT schien neue Maßstäbe zu setzen

Die Ergebnisse von SPRINT (Systolic Pressure Intervention Trial) hatten hohe Wellen geschlagen. Patienten schienen von einer deutlicheren Blutdrucksenkung als bisher empfohlen so stark zu profitieren, dass die Studie sogar nach mehr als eineinhalb Jahre (geplant waren insgesamt 5) vorzeitig abgebrochen worden war.

Der primäre Endpunkt, die Kombination aus 5 schweren kardiovaskulären Komplikationen (5-Point-MACE) – akutes Koronarsyndrom, Myokardinfarkt, Schlaganfall, akut dekompensierte Herzinsuffizienz und kardiovaskulärer Tod – trat unter einer intensiven Blutdrucksenkung zu einem Viertel seltener auf. Das Ergebnis war hochsignifikant. Experten diskutierten deshalb bereits, ob nun in den Leitlinien die Vorgabe von unter 140/90 mmHg durch einen systolischen Zielwert von unter 120 mmHg ersetzt werden müsste.

Alles eine Frage der Messung: Blutdruckziel reloaded

 
SPRINT wird wahrscheinlich keinen Einfluss auf die deutschen Leitlinien haben. Prof. Dr. Martin Hausberg
 

Schon auf dem europäischen Kardiologenkongress im August in Rom wurden jedoch erhebliche Zweifel an der Aussagekraft der Studie laut. Kern der Kritik: Die Meßmethode. „Bei dieser Studie wurde zum ersten Mal in einer großen Blutdruck-Endpunktstudie die Technik der unbeobachteten automatischen Blutdruckmessung angewandt“, erläutert Hausberg.

Nun ergab unter anderem eine tschechische Studie, die in diesem Jahr in Blood Pressure erschienen ist, dass die Messmethode einen deutlichen Einfluss auf den Blutdruckwert hat. Die Forscher verglichen die Ergebnisse der Blutdruckmessung bei Hypertonie-Patienten unter 3 verschiedenen Bedingungen: die automatische unbeobachtete Messung (wie in SPRINT), die Messung durch medizinisches Personal und die Heimmessung. Alle 3 führten zu unterschiedlichen durchschnittlichen Blutdruckwerten von 131,2/77,8 mmHg, 146,9/85,8 mmHg bzw. 137,7/79,4 mmHg. 

Die automatische Messung führte demnach zu um rund 15/8 mmHg geringeren Werten als die Standard-Praxismessung durch medizinisches Personal. Ein systolischer Wert von 120 mmHg bei SPRINT würde also unter üblichen Messbedingungen einem Wert von 135 mmHg entsprechen – und damit unterhalb des in den Leitlinien festgelegten Grenzwertes von 140 mmHg liegen.

 
Bei dieser Studie wurde zum ersten Mal in einer großen Blutdruck-Endpunktstudie die Technik der unbeobachteten automatischen Blutdruckmessung angewandt. Prof. Dr. Martin Hausberg
 

Die US-amerikanischen und europäischen Leitlinien seien nach SPRINT nicht angepasst worden, erläuterte Hausberg gegenüber Medscape. „Nur die Blutdruckziele in den österreichischen und kanadischen Leitlinien wurde entsprechend geändert. Allerdings ist in Kanada auch die automatische Meßmethode, wie sie in der Studie angewendet wurde, weit verbreitet.“ In Deutschland gäbe es dagegen derzeit keinen Grund, etwas an den Zielwerten zu ändern. Das sei die mehrheitliche Meinung der Blutdruck-Experten, bestätigt Hausberg.

Das 3-plus-1-Erfolgsteam bei therapieresistentem Hochdruck

Der anzustrebende Wert bleibt also wie er war. Doch was tun, wenn er sich mit der Standarttherapie aus 3 Wirkstoffen nicht erreichen lässt, wie es bei 10 bis 20% der Hypertoniker der Fall ist? Dann kommt das altbekannte Spironolacton ins Spiel.

 
Entscheidend ist die richtige Auswahl der Patienten für die Therapie (mit Spironolacton). Prof. Dr. Martin Hausberg
 

In der Studie PATHWAY-2 senkte eine Kombination aus den 3 Wirkstoffklassen der Standardtherapie – ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker (A), Kalziumkanalblocker (C) und Diuretikum (D) – in Kombination mit dem Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten Spironolacton den Blutdruck hochsignifikant besser als die Kombination aus A-C-D mit entweder Doxazosin oder Bisoprolol oder Placebo. Nach 12 Wochen Therapie hatte die Kombination mit Spironolacton den systolischen Blutdruck um durchschnittlich 12,8 mmHg gesenkt.

Dass diese Kombination aus 4 Wirkstoffen bei therapieresistenten Hypertonikern ohne Gegenindikation versucht werden sollte, ist mittlerweile Konsens unter deutschen Blutdruckexperten – „allerdings nur bei nierengesunden Patienten“, schränkt Hausberg ein.

Die Wirkstoffkombination sei meist gut verträglich. Mögliche Nebenwirkungen einer Langzeittherapie wie die Erhöhung des Plasmakaliumspiegels und eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion müssen überwacht werden. Bei Männern könne es überdies zu einer Gynäkomastie kommen, betonte er. Hier gelte es, zwischen dem Ausmaß der Nebenwirkungen und dem positiven Effekt der Blutdrucksenkung individuell abzuwägen. „Entscheidend ist die richtige Auswahl der Patienten für die Therapie.“

 

REFERENZEN:

1. 40. Kongress der Deutschen Hochdruckliga (DHL), 1. bis 3. Dezember 2016, Berlin

 

Kommentar

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