Grippe-Impfung für Schwangere bleibt empfohlen – US-Daten finden kein erhöhtes Risiko für Autismus beim Kind

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

16. Dezember 2016

Eine Influenza-Impfung in der Schwangerschaft ist bei den Nachkommen nicht mit einem erhöhten Auftreten von Autismus-Spektrum-Störungen assoziiert. Das ist das Ergebnis einer in JAMA Pediatrics erschienenen Kohortenstudie [1].

Dr. Ousseny Zerbo von der Division of Research bei Kaiser Permanente Northern California in Oakland und Kollegen haben Daten von 196.929 Kindern analysiert. Ihr Fazit: „Wir fanden keine Assoziation zwischen dem Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen und einer Influenza-Infektion während der Schwangerschaft oder einer Influenza-Impfung während des 2. oder 3. Trimesters der Schwangerschaft.“

Es gab den Trend eines erhöhten Risikos für eine Autismus-Spektrum-Störung unter den Kindern, deren Mütter im 1. Trimester gegen Influenza geimpft worden waren, doch war dieser nicht signifikant.

„Die Autoren schreiben in ihrem Fazit, dass die Ergebnisse aus ihrer Sicht keine Änderung der Impfstrategie und Impfpraxis verlangen“, sagt Dr. Michael Wojcinski, Sprecher der AG Impfen in der Gynäkologie des Berufsverbandes der Frauenärzte e.V., im Gespräch mit Medscape. „Weltweit finden sich keine Signale, dass Impfungen in Zusammenhang mit Autismus oder Autoimmunerkrankungen stehen könnten“, betont Wojcinski.

„Wissenschaftlich gibt es keinerlei Hinweise auf eine Assoziation zwischen einer Influenza-Impfung und Erkrankungen aus dem autistischen Spektrum. Gäbe es auch nur den geringsten Verdacht, dass eine Influenza-Impfung Autismus auslösen könnte, würde umgehend die STIKO aktiv“, stellt Dr. Hermann Josef Kahl, Kinderkardiologe in Düsseldorf und Sprecher des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte, gegenüber Medscape klar.

Influenza-Infektionen und -Impfungen mit Immunaktivierung assoziiert

 
Weltweit finden sich keine Signale, dass Impfungen in Zusammenhang mit Autismus oder Autoimmunerkrankungen stehen könnten. Dr. Michael Wojcinski
 

Wie Zerbo und seine Kollegen schreiben, hatten frühere epidemiologische Studien, darunter auch eine eigene Arbeit aus 2013, auf eine mögliche Assoziation zwischen einer Influenza-Infektion während des 1. Trimesters und einem erhöhten Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen hingedeutet.

Darüber hinaus, so die Forscher, seien Influenza-Infektionen, aber auch -Impfungen mit einer Immunaktivierung assoziiert. In Tiermodellen, so Zerbo weiter, ließ sich ein Zusammenhang zwischen maternaler Immunaktivierung in der Schwangerschaft und Verhaltens- und Hirnauffälligkeiten bei den Nachkommen herstellen – ähnlich denen, die bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen beobachtet werden. Mit ihrer jetzigen Arbeit wollten die Forscher deshalb einen möglichen Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus beim Menschen prüfen.

Sie verwendeten dazu Daten der Kaiser Permanente Northern California In- and Outpatient Databases aus den Jahren 2000 bis 2010. Von 196.929 Kindern war bei 1.400 Müttern (0,7%) eine Influenza während ihrer Schwangerschaft diagnostiziert worden, 45.231 (23%) der Mütter hatten eine Influenza-Impfung erhalten.

Mehr Autismus bei Impfung im 1. Trimester – ein Zufallsbefund?

Insgesamt wurden 3.101 Kinder (1,6%) mit einer Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert. In der Gesamtanalyse betrug die Hazard Ratio (HR) für Autismus beim Kind

  • bei einer Influenza-Infektion der Schwangeren 1,04 (95% KI: 0,68-1,58) und

  • bei Influenza-Impfung 1,1 (95% KI: 1,00-1,21).

 
Gäbe es auch nur den geringsten Verdacht, dass eine Influenza-Impfung Autismus auslösen könnte, würde umgehend die STIKO aktiv. Dr. Hermann Josef Kahl
 

In den Trimester-spezifischen Analysen war die Impfung im 1. Trimester mit einem erhöhten Austismus-Risiko assoziiert: HR 1,20 (95% KI: 1,04-1,39). Zerbo schreibt dazu: „Es gab eine Andeutung eines erhöhten Risikos für Autismus-Spektrum-Störungen unter Kindern, deren Mütter eine Impfung in ihrem 1. Trimester erhalten hatten, doch die Assoziation war nicht statistisch signifikant. Wir deuten sie deshalb als Zufallsbefund.“

Ärzte raten Schwangeren zur Grippe-Impfung

In Deutschland rät der Berufsverband der Kinder-und Jugendärzte Schwangeren entsprechend den STIKO-Empfehlungen zur Influenza-Impfung. Die STIKO empfiehlt seit 2010 die saisonale Influenza-Impfung für alle Frauen, die während der Influenza-Saison schwanger sind.

Für gesunde Frauen wird die Impfung allerdings erst ab dem 2. Schwangerschaftsdrittel empfohlen. „Damit soll verhindert werden, dass die im ersten Schwangerschaftsdrittel häufiger auftretenden Spontanaborte fälschlicherweise mit der Impfung in Verbindung gebracht werden und so im Einzelfall für die Betroffenen zu einer besonderen psychischen Belastung werden“, schreibt das Robert Koch-Institut (RKI).

Schwangere Frauen, bei denen aufgrund einer chronischen Grunderkrankung eine zusätzliche Indikation zur Influenza-Impfung besteht, sollten unabhängig vom Schwangerschaftsstadium geimpft werden. Bei einer Influenza-Erkrankung ohne Impfung sind die Schwangerschaftsverläufe wesentlich komplikationsreicher als bei Geimpften, erläutert Wojcinski. „Es kommt verstärkt zu Pneumonien, und auch die Hospitalisierungsraten sind unter nicht geimpften Schwangeren deutlich höher als unter geimpften“, erklärt Wojcinski.

„Eine Grippeerkrankung kann nicht nur die Schwangerschaft gefährden. Auch wenn ein Kind in die Grippesaison hineingeboren wird, ist es wichtig, dass seine Mutter, die den engsten Kontakt mit dem Neugeborenen hat, geschützt ist und das Virus nicht auf das Neugeborene übertragen kann“, fügt Kahl hinzu.

Autismus wird immer mal wieder mit Impfungen in Verbindung gebracht

„Was wir immer wieder erleben ist, dass bestimmte Krankheiten von Impfkritikern mit Impfungen gezielt in Verbindung gebracht werden“, berichtet Wojcinski. Autismus scheint dabei bevorzugt als vermeintliche Impffolge ins Spiel gebracht zu werden.

 
Die Hospitalisierungs- raten sind unter nicht geimpften Schwangeren deutlich höher als unter Geimpften. Dr. Michael Wojcinski
 

Auf 100.000 Einwohner kommen zwischen 600 und 700 Fälle von Autismus-Spektrum-Störungen: „Das ist eine hohe Zahl, die Ursachen sind noch nicht wirklich bekannt. Und diese Unwissenheit um die Ursachen löst bei einigen Personen Ängste aus“, erklärt Wojcinski.

Auch die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) wurde und wird immer wieder mit Autismus in Verbindung gebracht. Als Beweis führen Impfgegner oft eine Studie von Dr. Andrew Wakefield ins Feld. Die 1998 im Lancet erschienene und 2010 zurückgezogene Studie enthielt – wie man heute weiß - gefälschte Ergebnisse. Die Fälschung führte zu einem Berufsverbot für Wakefield in Großbritannien.

Einzelfälle, in denen es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und einer Erkrankung gab, fördern die Verunsicherung in der Bevölkerung. Für 2014 wurde im Bulletin zur Arzneimittelsicherheit über 43 Fälle (23 Kinder, 20 Erwachsene) von bleibenden Schäden in einem zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen berichtet. „11 dieser Fälle stellten sich dann tatsächlich als kausal heraus“, sagt Wojcinski . Bezogen auf 30 bis 40 Millionen Impfungen entspricht das einem Prozentsatz von 0,00004% an kausalen Nebenwirkungen.

Zweifelt der Arzt am Sinn der Impfung, überträgt sich das auf den Patienten

 
Hier sind wir Ärzte gefragt, noch mehr und noch besser zu erklären und aufzuklären. Dr. Michael Wojcinski
 

Wojcinski hebt hervor, wie wichtig ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gerade auch beim Thema Impfen ist: „Wenn ich als Arzt der Patientin genau erkläre, weshalb eine Impfung wichtig ist und sie und das Kind schützt, dann akzeptiert sie dies auch. Wenn ich als Arzt aber selbst Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Impfungen hege, dann übertragen sich diese Zweifel auch.“

Zweifel bei Schwangeren entstehen vor allem dann, wenn sie nicht gut informiert sind, denn wenig Wissen schürt Ängste, sagt er. „Hier sind wir Ärzte gefragt, noch mehr und noch besser zu erklären und aufzuklären.“

Mütter mit Bedenken gegen die Impfung ließen sich im Gespräch in der Regel überzeugen, ist auch Kahls Erfahrung.

Zwar empfiehlt die STIKO die Influenzaimpfung für Schwangere uneingeschränkt, das heißt allerdings nicht, dass auch entsprechend informiert wird. „Influenza-Impfungen werden in Bayern längst nicht in jeder Praxis angeboten. Das hat mit regionalen Besonderheiten zu tun. Überall dort, wo die Alternativmedizin stark vertreten ist, wird wenig oder nicht über die Influenza-Impfung informiert“, kritisiert Wojcinski.

Ohnehin erfreue sich die Influenza-Impfung einer nur mäßigen Akzeptanz, selbst in der Ärzteschaft. Auch unter guten Bedingungen seien in Kliniken nur etwa die Hälfte des Fachpersonals gegen Influenza geimpft.

 

REFERENZEN:

1. Zerbo O, et al. JAMA Pediatr. (online) 28. November 2016

 

Kommentar

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