PCSK9-Inhibitoren schützen wahrscheinlich ebenso gut vor kardiovaskulären Erkrankungen wie Statine. Ihr Effekt ist dabei additiv zu dem der Statine. Sie sind außerdem – ebenso wie Statine – mit einem erhöhten Risiko für Diabetes assoziiert, allerdings nur bei Personen, die bereits eine gestörte Glukosetoleranz haben.
All dies sind Schlussfolgerungen einer aktuell im New England Journal of Medicine erschienenen Arbeit – und dies obwohl die 4 großen klinischen Outcome-Studien zu den PCSK9-Inhibitoren noch gar nicht abgeschlossen sind [1].
Das Studienteam um Dr. Brian A. Ference von der Division of Cardiology an der Wayne State University School of Medicine in Detroit bediente sich eines „methodologischen Tricks“, um zu diesen Schlussfolgerungen zu gelangen: Sie untersuchten nicht den Effekt von PCSK9-Inhibitoren und Statinen selbst, sondern von Mutationen in den Zielstrukturen der beiden Arzneimittelklassen.
Genomdatenbanken eröffnen neue Forschungswege
„Das ist eine neue Methodik, die hier Einzug in die klinische Literatur hält“, sagt Prof. Dr. Ulrich Laufs, der an der Klinik für Innere Medizin am Universitätsklinikum des Saarlandes die Arbeitsgruppe Klinisch-Experimentelle Medizin leitet, im Gespräch mit Medscape. „Sie basiert darauf, dass mittlerweile Datenbanken zur Verfügung stehen, die Genomanalysen von hunderttausenden Menschen enthalten.“
Ference und seine Kollegen berechneten aus der Häufigkeit bestimmter Mutationen des PCSK9-Gens sowie des Gens für die HMGC-Reduktase (HMGCR) – der Zielstruktur der Statine – für jeden Studienteilnehmer einen genetischen Score, der die Wirkung der Medikamente simulierte. Je höher der Score war, desto mehr cholesterinsenkende Varianten hatte eine Person.
„Es gibt genetische Varianten des Proteins PCSK9, die dazu führen, dass die Träger dieser Mutationen niedrigere Cholesterinspiegel aufweisen. PCSK9-Hemmer ahmen den Effekt dieser Funktionsverlust-Mutationen nach. Haben Träger dieser Mutationen ein geringeres kardiovaskuläres Risiko, lässt sich daraus schlussfolgern, dass dies für Anwender von PCSK9-Hemmern auch gilt“, erklären die Autoren ihre Vorgehensweise.
Lackmustest: Werden die Vorhersagen sich bewahrheiten?
„Letztlich stellt diese Studie eine Art Lackmustest für die neue Methodik dar“, so Laufs. „In der Vergangenheit wurden solche Analysen meist erst publiziert, nachdem man die Daten aus den klinischen Studien hatte. Dies ist hier nicht der Fall und man wird sehen, in wieweit sich die Vorhersagen bestätigen werden.“
In die Studie eingeschlossen wurden 112.772 Teilnehmer aus 14 prospektiven Kohorten und Fall-Kontroll-Studien. Die Untersuchung umfasst 14.120 kardiovaskuläre Ereignisse und 10.635 Diabeteserkrankungen. Die Teilnehmer wurden in 2 Gruppen eingeteilt, abhängig davon, ob der berechnete Score über oder unter dem Median lag.
Wie erwartet, so die Autoren, hätten die Teilnehmer in der Gruppe mit höheren PCSK9-Scores bzw. höheren HMGCR-Scores niedrigere LDL-Cholesterinwerte gehabt, als diejenigen in der Gruppe mit niedrigeren Scores; auch das Nicht-HDL-Cholesterin und die Triglyzeride waren bei ihnen niedriger.
PCSK9- und HMGCR-Score mit vergleichbaren Effekten
Die Teilnehmer in der Gruppe mit über dem Median liegenden PCSK9-Scores hatten ein um 8,4% niedrigeres Risiko für Herzinfarkt oder Tod durch Koronare Herzkrankheit (KHK) als diejenigen mit niedrigeren PCSK9-Scores. Gleiches galt für den HMGCR-Score: Lag er über dem Median, war dies mit einem um 6,6% niedrigeren Risiko für Herzinfarkt oder Tod durch KHK assoziiert.
Auch die „Dosis“ spielte eine Rolle: Je höher der PCSK9- oder der HMGCR-Score war, desto niedriger waren das LDL-Cholesterin und das kardiovaskuläre Risiko. Die mit einem höheren Score assoziierte Risikoreduktion war für PCSK9 und HMCGR nahezu identisch: Pro Abnahme des LDL-Cholesterins um 10 mg/dl sank das Risiko für Herzinfarkt oder Tod durch KHK um 18,9% (PCSK9) bzw. 19,1% (HMGCR).
Höhere Scores gleich höheres Diabetesrisiko
Die Auswirkungen der PCSK9- und der HMGCR-Mutationen auf das Diabetesrisiko waren ebenfalls sehr ähnlich: Die Studienteilnehmer in der Gruppe mit höheren PCSK9-Scores hatten ein um 6,1% höheres Diabetesrisiko als diejenigen mit niedrigeren Scores. Beim HMGCR-Score waren hohe Werte mit einem um 11% höheren Diabetesrisiko assoziiert.
Pro Abnahme des LDL-Cholesterins um 10 mg/dl war ein PCSK9-Score über dem Median mit einer Zunahme des Diabetesrisikos um 11,2% assoziiert. Beim HMGCR-Score waren es 12,7%, um die das Diabetesrisiko pro 10 mg/dl Cholesterinsenkung zunahm. Auch die Wirkung auf das Diabetesrisiko waren dosisabhängig: Je höher die Scores, desto höher das Risiko. Und ebenso wie bei der kardiovaskulären Protektion waren auch die Effekte auf das Diabetesrisiko additiv.
Allerdings war ein hoher PCSK9- oder HMGCR-Score nur bei Studienteilnehmern, deren Nüchternglukose zu Studienbeginn über 100 mg/dl lag, mit dem Diabetesrisiko verknüpft. Bei Personen mit normaler Nüchternglukose spielten die beiden Scores keine Rolle für das Diabetesrisiko.
Die Autoren betonen, dass „das erhöhte Risiko für Diabetes vom Ausmaß her kleiner war als der protektive Effekt hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse“.
„Die Erkenntnis, dass – wie bei den Statinen – wohl auch die Cholesterinsenkung über die Inhibition von PCSK9 mit einem erhöhten Diabetesrisiko assoziiert ist, ist ein weiteres spannendes Ergebnis der Arbeit“, kommentiert Laufs, warnt aber vor falschen Schlussfolgerungen: „Man darf dieses Risiko jetzt nicht einfach dem Benefit im Hinblick auf die Herzinfarktreduktion gegenüberstellen. Das eine ist eine lebensbedrohliche Krankheit, das andere erst einmal nur eine Laborwertveränderung.“ Hinzu kommt: „Gerade diejenigen mit prädiabetischer Stoffwechsellage profitieren besonders von einer Senkung des LDL-Cholesterins mit Statinen“, betont der Kardiologe.
Weniger Cholesterin, mehr Diabetes?
Welcher Mechanismus hinter dem erhöhten Diabetesrisiko steckt, ist unklar. Die Autoren um Ference vermuten, dass der LDL-Rezeptor eine Rolle spielt. „Wir haben festgestellt, dass alle Sätze genspezifischer Varianten von PCSK9, HMGCR und des LDL-Rezeptors pro Einheit LDL-Cholesterinabnahme sehr ähnliche Effekte auf das Diabetesrisiko haben.“
Diese Erkenntnis passe zu dem Fakt, dass sowohl PCSK9- als auch HMGCR-Inhibitoren letztlich das LDL-Cholesterin im Plasma senken, indem sie die Dichte der LDL-Rezeptoren erhöhen. Für die Rolle des LDL-Rezeptors spreche außerdem die Beobachtung, dass Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie ein höheres Diabetesrisiko haben als nicht betroffene Familienangehörige.
„Unter Medikamenten, die über den LDL-Rezeptor das LDL-Cholesterin senken, scheinen Menschen, die eine gestörte Glukosetoleranz haben, früher als Diabetiker erkannt zu werden“, sagt Laufs. „Das heißt aber nicht, dass diese Medikamente schlecht für sie sind. Ganz im Gegenteil: Im Hinblick auf die kardiovaskuläre Protektion profitieren sie besonders stark. Und der Diabetes, den sie letztlich sowieso bekommen hätten, wird früher erkannt.“
REFERENZEN:
1. Ference BA, et al: NEJM 2016;375:2144-2153
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Genanalysen erlauben Blick in die Glaskugel: Lipidologen sehen für PCSK9-Hemmer ähnlichen Herzschutz wie für Statine - Medscape - 15. Dez 2016.
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