Expertenstreit zu neuem Cannabis-Gesetz: Blüten versus Fertigarznei – was ist für die Verordnung besser?

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

14. Dezember 2016

Viele Schmerzmediziner begrüßen den Gesetzentwurf zur vereinfachten Nutzung Cannabis-haltiger Arzneien als medizinischen Fortschritt. Allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Cannabis als Blüte, Extrakt oder Fertigarznei verschrieben werden sollte. Ein aktuelles Positionspapier von Deutscher Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und Deutscher Schmerzliga (DSL) spricht sich für eine Bevorzugung von Fertigarzneimitteln gegenüber Cannabis-haltigen Extrakten, Rezepturarzneien sowie getrockneten Cannabisblüten aus [1].

Extrakte und Blüten versus Fertigarznei?

PD Dr. Michael Überall

DGS-Vizepräsident und DSL-Präsident PD Dr. Michael Überall argumentiert, dass es für derartige Rezepturen keine Evidenz aus Studien gebe. Sie sollten gegenüber Fertigarzneimitteln mit den Wirkstoffen Nabiximols, Dronabinol und Tetrahydrocannabinol (THC) nicht formal bevorzugt behandelt werden, wie er gegenüber Medscape sagte. „Es ist schwer nachzuvollziehen, warum alles über einen Kamm geschoren wird und Pflanzen, die keine Zulassung brauchen, genauso behandelt werden wie ein Medikament, das zugelassen ist“, kritisiert er.

 
Es ist schwer nachzuvollziehen, warum Pflanzen, die keine Zulassung brauchen, genauso behandelt werden wie ein Medikament. PD Dr. Michael Überall
 

Überall spricht sich vielmehr für eine Präferenz von Fertigarzneimitteln aus, bei denen arzneimittelrechtliche Standards beachtet werden. Zugelassen ist in Deutschland das Spray Sativex© (Nabiximols) allerdings nur für einen beschränkten Patientenkreis als Add-on-Therapeutikum bei Multipler Sklerose mit mittelschwerer bis schwerer Spastik.

Im Positionspapier befürchten Überall und weitere Unterzeichner aus DGS und DSL, dass Patienten primär mit Extrakten, Rezepturarzneien und Cannabisblüten behandelt werden. Während Nabiximols – das arzneimittelrechtlich am besten erforschte Medikament – für die meisten Behandlungen gar nicht verordnet oder die Verordnung seitens der GKV als „off label use“ auf absehbare Zeit nicht genehmigt würde. Auch sei die Dosierung bei Blüten schwierig, die Fertigarznei könne besser dosiert werden, argumentiert Überall. Im Sinne der Patientensicherheit sollten auch die bestehenden arzneimittelrechtlichen Standards beachtet werden, heißt es in einer begleitenden Pressemitteilung.

Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek

„Keine einseitige Bevorzugung eines Medikaments“

Das sieht der Vorsitzende des Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland, Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek anders: „Der Gesetzesentwurf lässt auch Fertigarzneien zu und schränkt den Gebrauch nicht ein. Alle Cannabis-Medikamente sollten auch zur Verfügung stehen. Ich spreche mich aber gegen eine einseitige Bevorzugung eines Medikaments aus, zumal es [gemeint ist Sativex©] bisher nur für eine Indikation vorgesehen ist – und noch nicht einmal für die Schmerzkrankheit“, kommentiert er das Positionspapier der DGS und DSL. Es sei bekannt, dass das Spray Sativex© bei Patienten Schleimhautreizungen hervorrufen könne – auch der Einsatz bei Kindern mit Tumorerkrankungen sei durch die Dosierung pro Sprühstoß problematisch. Sicherlich müssten sich die verschreibenden Ärzte in das Dosieren von Cannabis einfinden, es gebe hierzu jedoch definierte Blüten mit einer definierten Dosis.

Deutschland lehnt sich in seinem Vorgehen an die Praxis in Kanada an, das eine staatliche Cannabis-Agentur betreibt, die für den Import von medizinischen Cannabis-Arzneimitteln zuständig ist und auch Aufträge zum Anbau von Medizinalhanf vergibt. Geplant ist auch in Deutschland eine vom Staat betriebene Cannabis-Agentur. „Man stützt sich hier auf die Erfahrungen mit 100.000 Patienten“, erläutere Nadstawek. Dazu wurde auch in einer Ausgabe von Der Schmerz das Schwerpunkt-Thema „Cannabis als Medikament“ veröffentlicht. Hier werden unter anderem die Erfahrungen von israelischen und kanadischen Ärzten dargestellt, die von ihren jeweiligen Regierungen mit Gutachten zum medizinischen Gebrauch von Cannabis beauftragt wurden.

Sichere Kostenübernahme gefordert

Im Positionspapier fordern die Unterzeichner von DGS und DSL, dass auch die Kostenübernahme durch die GKV gesichert wird. Für die behandelnden Ärzte müsse die Verordnung budgetneutral sein. Sie sprechen sich gegen eine Einzelfallprüfung durch den medizinischen Dienst aus – mit Ausnahme eines begründeten Verdachts. Unsicherheit bestehe, weil sich die Krankenkassen einen Erstattungsvorbehalt einräumen. Die Patienten müssten vorher bei ihren Kassen nachfragen, ob diese die Cannabis-Therapie bezahlt.

 
… Ich spreche mich aber gegen eine einseitige Bevorzugung eines Medikaments aus. … Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek
 

Hasch auf Rezept?

Allerdings sei auch damit zu rechnen, dass viele Patienten erwarteten, davon high zu werden: „Es werden viele danach fragen, die es nicht als Medizin brauchen“, glaubt Überall. „Dieses Risiko besteht, denn viele werden kommen, die Hasch auf Rezept wollen“, pflichtet auch Nadstawek. „Es ist deshalb wichtig, die Verordnung in die Hände von erfahrenen Schmerztherapeuten zu legen.“

 
Für den Patienten ist es unzumutbar, erst jedes Medikament ausprobieren zu müssen, bevor er Cannabis bekommen kann. Prof. Dr. Dr. Joachim Nadstawek
 

Eine Präzisierung im Gesetzentwurf fordern DGS und DSL bei der Definition der berechtigten Patientengruppe. Die Formulierung „schwerwiegende Erkrankung“ führe zu einer unnötigen Rechtsunsicherheit für Betroffene. Besser sei es hier von diagnostizierten chronisch Kranken zu sprechen. Der Begriff „schwerste Erkrankungen“ könnte suggerieren, dass es sich um Patienten kurz vor dem Tod handle. Patienten mit Tick-Störungen, Tourette, Dysfunktionen bei MS, Dyskinesien bei Morbus Huntington oder Parkinson-Patienten könnten aber ebenfalls profitieren.

Freiwillige oder verpflichtende Teilnahme an Begleitforschung?

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass Patienten, die mit Cannabis als Medizin behandelt werden, auch an einer Begleitforschung teilnehmen sollen. „Ein Teilnahmezwang ist ethisch bedenklich“, betont Überall. Die Begleiterhebung solle vielmehr freiwillig erfolgen. Die Teilnahme abzulehnen, dürfe keinen Nachteil für den Patienten bedeuten, wie auch im Positionspapier betont wird. „Ich bin aber überzeugt, dass 8 von 10 Patienten freiwillig teilnehmen, wenn man ihnen die Gründe gut erklärt“, so Überall.

Nadstawek wiederum findet, dass man die Patienten in die Pflicht nehmen sollte, da es einfach zu wenige Erkenntnisse gebe. Allerdings distanziert sich Nadstawek von der Ausrichtung des Gesetzentwurfs: Der will die Verschreibung von Cannabis nur dann erlauben, wenn alle anderen Mittel erschöpft und Patienten sozusagen austherapiert sind. „Für den Patienten ist es unzumutbar, erst jedes Medikament ausprobieren zu müssen, bevor er Cannabis bekommen kann“, betont er.

 

REFERENZEN:

1. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und der Deutschen Schmerzliga (DSL), 1. Dezember 2016

 

Kommentar

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