Bei Patienten mit Vorhofflimmern und stark erhöhtem Schlaganfallrisiko ist es nach einer Pulmonalvenenisolation (PVI) nicht sicher, die Blutverdünnung abzusetzen. Denn: Das Vorhofflimmern ist dann zwar verschwunden, doch das Schlaganfallrisiko scheint erhöht zu bleiben. Das gilt besonders für Patienten, die bereits zuvor einen Schlaganfall erlitten haben, wie eine schwedische Registerstudie schließen lässt, die aktuell in JAMA Cardiology publiziert worden ist [1].
„Diese Studie bestätigt ganz klar die Empfehlungen der in diesem Sommer vorgestellten Leitlinie zum Management des Vorhofflimmerns der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie“, bekräftigt Prof. Dr. Gerhard Hindricks, der am Herzzentrum der Universität Leipzig die Abteilung für Rhythmologie leitet, im Gespräch mit Medscape. „Die Blutverdünnung soll bei Patienten mit erhöhtem Schlaganfallrisiko auch nach einer Ablationsbehandlung langfristig fortgeführt werden.“
Dr. Sara Själander vom Institut für Public Health und Klinische Medizin an der Universität Umeå und ihre Kollegen berichten in JAMA Cardiology über 1.585 Patienten mit Vorhofflimmern, bei denen zwischen Januar 2006 und Dezember 2012 eine Pulmonalvenenisolation – das häufigste Ablationsverfahren bei Vorhofflimmern – erfolgt war.

Prof. Dr. Gerhard Hindricks
Von den 1.585 Patienten wurden 1.175 mehr als 1 Jahr nachbeobachtet. Knapp ein Drittel von ihnen setzte im 1. Jahr nach der PVI die Behandlung mit Warfarin ab.
Bei den Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score gleich oder größer 2 hatte der weitere Verlauf der Warfarintherapie einen signifikanten Effekt auf das Schlaganfallrisiko. Patienten, die die Blutverdünnung absetzten, hatten eine höhere Schlaganfallrate (1,6% pro Jahr) als denjenigen, die die Warfarintherapie fortsetzten (0,3% pro Jahr).
Lag der CHA2DS2-VASc-Score dagegen unter 2 machte es keinen Unterschied, ob die Blutverdünnung abgesetzt wurde, oder nicht: In der Gruppe mit fortgeführter Warfarintherapie lag die Schlaganfallrate bei 0,1% pro Jahr, ebenso in der Gruppe, in der die Blutverdünnung abgesetzt worden war.
„Wir sind lange Zeit davon ausgegangen, dass Vorhofflimmern Schlaganfälle induziert“, erklärt Hindricks. „Inzwischen mussten wir aber erkennen, dass viele Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern zeitnah vor einem Schlaganfall gar kein Vorhofflimmern hatten.“
Vorhofflimmern weg, Schlaganfallrisiko bleibt
Das Vorhandensein von Vorhofflimmern sei möglicherweise prokoagulatorisch, müsse aber nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Schlaganfall stehen. „Es kann sein, dass das Vorhofflimmern im EKG wegablatiert ist, aber das Schlaganfallrisiko bleibt“, betont Hindricks, und damit bleibe auch der Bedarf an einer Blutverdünnung.
Dies bedeute keine Abwertung der Therapie des Vorhofflimmerns durch Katheterablation, so Hindricks. „Die herausragenden Vorteile im Hinblick auf Lebensqualität, Belastbarkeit und Verbesserung der Pumpleistung bleiben dem Patienten erhalten. Nur am Schlaganfallrisiko ändert die Behandlung nichts, weshalb – wie jetzt auch die schwedische Studie noch einmal bestätigt – bei Patienten mit einem hohen Risiko eine langfristige Blutverdünnung notwendig ist, während man sich bei Patienten mit niedrigem bis mittlerem Risiko vorsichtig an das Absetzen herantasten kann.“
Bislang spiegelt sich dieses auch in den Leitlinien empfohlene Vorgehen in der Praxis nicht wider: „Es gibt auf der einen Seite bei denjenigen mit niedrigem Schlaganfallrisiko zu viele Patienten, bei denen die Blutverdünnung einfach fortgesetzt wird, und auf der anderen Seite zu viele Patienten mit mittlerem oder hohem Risiko, bei denen die Blutverdünnung abgesetzt wird“, sagt Hindricks.
Fortsetzen oder Absetzen – es bleibt umstritten
Die schwedischen Registerdaten bestätigen das: Bei 20,1% der Patienten mit einem CHA2DS2-VASc-Score von 2 oder höher sei die Blutverdünnung abgesetzt worden, schreiben Själander und ihre Kollegen. Bei Patienten mit einem niedrigeren CHA2DS2-VASc-Score wurde die Behandlung dagegen bei deutlich mehr als der Hälfte der Patienten fortgeführt (57,6% bei einem Score von 0 und 65,1% bei einem Score von 1).
In einem Editorial schreibt Prof. Dr. Francis E. Marchlinski von der Cardiac Electrophysiology Section, Hospital of the University of Pennsylvania, Philadelphia, dass Patienten häufig nicht einsehen wollen, weshalb sie nach erfolgreicher Behandlung des Vorhofflimmern weiter eine Blutverdünnung bekommen [2]. „Bei den Kontrolluntersuchungen argumentieren sie immer wieder: „Mein Vorhofflimmern ist doch weg – warum muss ich immer noch ein NOAK nehmen? Bei Patienten mit Risikofaktoren, aber ohne Vorhofflimmern verschreiben sie kein NOAK, oder?“
Und auch unter Experten herrscht keine absolute Einstimmigkeit: Nächstes Jahr wird die neue gemeinsame Leitlinie der amerikanischen Heart Rhythm Society, der European Heart Rhythm Association, der European Cardiac Arrhythmia Society sowie der Asia Pacific Heart Rhythm Society und der lateinamerikanischen Fachgesellschaft SOLAECE erwartet. „Im Zuge der Erstellung dieser Leitlinie wird zurzeit intensiv diskutiert, ob es nicht doch bestimmte Risiko-Patientenpopulationen gibt – es existieren Beobachtungsstudien, die dies suggerieren –, bei denen man die Blutverdünnung absetzen könnte“, berichtet Hindricks. Die neuen Empfehlungen werden im Mai 2017 bei der HRS-Jahrestagung in Boston vorgestellt werden.
Es gebe durchaus Einzelfälle, in denen man sich trotz eines CHA2DS2-VASc-Scores von 2 oder größer gegen eine Fortsetzung der Blutverdünnung entscheide – etwa weil der Patient das keinesfalls will oder auch bei Patienten, die Hochrisiko-Sportarten betreiben, so Hindricks. Doch die grundsätzliche Botschaft laute, dass die Blutverdünnung langfristig fortzuführen ist.
„Wir leben in einer Zeit der Blutverdünnung, in der deutlich sicherer und effektiver behandelt werden kann als früher mit Marcumar®“, betont Hindricks. Auf der anderen Seite stehe eine solide Datenbasis, die zeige, dass Blutverdünnung prinzipiell lebensrettend sei. „Gerade jetzt sollten wir nicht zurückpreschen“, so der Leipziger Kardiologe weiter.
Marchlinski dagegen betont: „Wir dürfen nicht in unseren Bemühungen nachlassen, aktiv engagierte Patienten zu identifizieren, die nach Elimination des Vorhofflimmern sicher die orale Antikoagulation absetzen können – unabhängig von ihrem CHA2DS2-VASc-Score. Unsere Patienten verlangen es und wir dürfen sie nicht mit einer ‚Einheitstherapie‘ enttäuschen.“
REFERENZEN:
1. Själander S, et al: JAMA Cardiol. (online) 23. November 2016
2. Marchlinski FE, et al: JAMA Cardiol. (online) 23. November 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Vorhofflimmern durch Katheterablation beseitigt – wer benötigt trotzdem weiter die orale Antikoagulation? - Medscape - 12. Dez 2016.
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