Prostatakrebs: Vorzeitiges Aus von PREFERE enttäuschend – wer beantwortet die Frage nach der besten Therapie bei Frühformen?

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

9. Dezember 2016

Angezählt war die PREFERE-Studie schon länger, jetzt ist sie endgültig auf Eis gelegt. Die ursprünglich bis 2030 geplante Langzeituntersuchung zur Bewertung der gängigen Behandlungsoptionen bei frühem Prostatakrebs wird zum Ende des Jahres auslaufen. Dies teilt die Deutsche Krebshilfe in einer gemeinsamen Stellungnahme aller Studienförderer mit [1].

Prof. Dr. Christian Wülfing

25 Millionen Euro waren für das ambitionierte Projekt eingeplant. Dass die Studie jetzt beendet wird, liegt vor allem an der schleppenden Rekrutierung: Die Zahl der Studienteilnehmer war viel zu gering.

„Wir sind schon enttäuscht, denn als Fachgesellschaft wollen wir eine möglichst hohe Evidenz erreichen und dazu wäre eine randomisierte klinische Studie wie PREFERE natürlich am besten geeignet gewesen“, kommentiert Prof. Dr. Christian Wülfing, Chefarzt der Urologischen Abteilung der Asklepios Klinik Altona in Hamburg und Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), gegenüber Medscape den Finanzierungs-Stopp.

Dr. Axel Schroeder

„Die DGU und der Berufsverband haben die 2013 vom G-BA beauftragte Studie unterstützt, um die Wirksamkeit der Behandlungsstrategien, deren Nebenwirkungen sowie die Auswirkungen auf die Lebensqualität auf höchstem Studienniveau zu prüfen und Prostatakrebs-Patienten in Zukunft mehr Entscheidungssicherheit bei der Wahl der Therapie zu ermöglichen“, sagt Dr. Axel Schroeder, Präsident des Berufsverbands der Deutschen Urologen (BDU).

Anlass zur Entwicklung des PREFERE-Konzepts war ein G-BA-Beschluss. Der hatte die Entscheidung über die Aufnahme der Brachytherapie in den ambulanten Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen ausgesetzt. Der Grund: Die Datenlage reiche nicht aus, um die Behandlung zu bewerten.

Im PREFERE-Studienkonzept sollten die Brachytherapie, die radikale Prostatektomie, die Strahlentherapie und die aktive Überwachung zur Behandlung des lokal begrenzten Prostatakarzinoms randomisiert und präferenzbasiert klinisch gegeneinander getestet werden.

 
… in Deutschland herrscht bei Patienten eher die Vorstellung, als Studienteilnehmer wäre man eine Art Versuchskaninchen. Dr. Axel Schroeder
 

Studienhypothese war, dass die 3 Therapiealternativen der radikalen Prostatektomie nur unwesentlich (max. 5%) unterlegen sind. Doch schon im November 2013 – ein Dreivierteljahr nach Studienstart – wurden „Anlaufprobleme“ auf dem Urologenkongress in Dresden thematisiert. Die Patientenbeteiligung, so einige Stimmen damals, sei „geringer als erhofft“.

Bereitschaft zur Studienteilnahme überschätzt

Insgesamt sollten 7.000 Patienten innerhalb von 7 Jahren mit Niedrig-Risiko Prostatakarzinom rekrutiert werden. „Man dachte sich: Bei 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr sollte es möglich sein, innerhalb von sieben Jahren 7.000 Patienten zu finden“, berichtet Schroeder.

Doch längst nicht bei jeder Neuerkrankung handelt es sich auch um Niedrig-Risiko-Prostatakrebs. „Man hat auch unterschätzt, dass in Deutschland die Studienteilnahme anders betrachtet wird als beispielsweise in den USA. Dort sehen Patienten die Teilnahme an Studien als bestmögliche Behandlung an, in Deutschland herrscht bei einigen Patienten hingegen eher die Vorstellung, als Studienteilnehmer wäre man eine Art Versuchskaninchen. Es ist schwierig, einen Patienten, der das so sieht, von der Teilnahme zu überzeugen“, erklärt Schroeder gegenüber Medscape. Tatsächlich konnten nur 343 Patienten in PREFERE eingeschlossen werden.

Trotz „größter Anstrengungen aller Beteiligten ist es nicht gelungen, die Therapiekonzepte beim lokal begrenzten Prostatakarzinom mithilfe der PREFERE-Studie zu untersuchen“, stellt DGU-Generalsekretär Prof. Dr. Maurice Stephan Michel in der Pressemitteilung von DGU und BDU dazu fest.

Das vor dreieinhalb Jahren begonnene Studienprojekt hat die Erwartungen zur Durchführbarkeit, insbesondere zur Rekrutierungsrate, die der Entscheidung, die Studie zu fördern, zugrunde lagen, nicht erfüllt“, heißt es in der Presserklärung der Deutschen Krebshilfe.

Hinzu komme, dass kürzlich veröffentlichte Daten der englischen ProtecT-Studie (wie Medscape berichtete) nach eigenen Aussagen der Studienleiter grundlegende Änderungen im Studiendesign notwendig gemacht hätten. Den Förderern erscheine es deshalb nicht vertretbar, eine Studie fortzusetzen, die absehbar nicht abgeschlossen werden könne und damit die eigentliche Fragestellung nicht beantworten werde.

Das Studienkonzept und -design war seitens der Deutschen Krebshilfe und der Kostenträger mit der DGU, der Deutschen Gesellschaft für Radiologie, dem BDU, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Krebs-Selbsthilfe-/Patientenorganisation Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe (BPS) abgestimmt worden und wurde vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) unterstützt.

 
Es war nicht vorauszusehen, dass der überwiegende Teil der Patienten die Standardtherapien – Operation und konventionelle Strahlentherapie – abwählt. Prof. Dr. Jürgen Fritze
 

Das Design von PREFERE sei zukunftsweisend gewesen. Nach der intensiven Abstimmung aller Beteiligten sei man davon ausgegangen, dass PREFERE erfolgreich verlaufen werde, so Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe.

Problem Randomisierug

Dennoch müsse nach dreieinhalb Jahren konstatiert werden, dass die Herausforderungen des Studiendesigns möglicherweise unterschätzt wurden. „Es war zum Beispiel nicht vorauszusehen, dass der überwiegende Teil der Studienpatienten die Standardtherapien – Operation und konventionelle Strahlentherapie – abwählt", erklärt Prof. Dr. Jürgen Fritze vom Verband der Privaten Krankenversicherung. Dies führe dazu, dass sich die Teilnehmerzahl nochmals deutlich erhöhen müsste, um valide Studienergebnisse zu erhalten.

Die Randomisierung ist für Prof. Dr. Andreas Neubauer, Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Marburg und Vorsitzender des Fachausschusses ‚Krebs-Therapiestudien' der Deutschen Krebshilfe, hingegen keine gravierende Hürde: „In klinischen Studien werden Therapien an einer größeren Anzahl von Patienten statistisch geplant, systematisch überprüft und sorgfältig ausgewertet. Nur so kann zuverlässig festgestellt werden, wie wirksam Behandlungsmethoden wirklich sind." Fortschritte in der Krebsmedizin, wie beispielsweise bei Leukämien und beim Brustkrebs, seien meistens durch randomisierte klinische Studien erreicht worden.

In der Praxis hatte sich die Randomisierung hingegen schon als Problem gezeigt: „Finden wir geeignete Patienten die einer Teilnahme auch zustimmen, wollen die sich nicht unbedingt randomisieren lassen, sondern mitbestimmen über die Art der Therapie“, ist Schroeders Erfahrung. Wenn überhaupt, waren Patienten eher bereit, 2 der 4 angebotenen Therapiealternativen auszuschließen und sich auf die verbleibenden zwei randomisieren zu lassen. Eine reine Randomisierung kam hingegen nur für die wenigsten Patienten in Betracht.

 
Den Patienten konnte anscheinend nicht ausreichend vermittelt werden, dass die Frage der besten Therapie wissenschaftlich unbeantwortet ist. Prof. Dr. Jürgen Fritze
 

Ein Viertel der niedergelassenen Urologen hatte sich an der Rekrutierung zu PREFERE ohnehin nicht beteiligt: „Den Patienten konnte anscheinend nicht ausreichend vermittelt werden, dass die Frage der besten Therapie wissenschaftlich unbeantwortet ist, dass also die Empfehlung der einen gegenüber der anderen Therapie nicht fundiert ist. Denn anderenfalls wären die Patienten der Logik gefolgt, dass die Randomisierung keinen Nachteil bedeutet, aber Erkenntnisgewinn", so Fritze.

Zwar sind alle 4 in PREFERE untersuchten Behandlungsoptionen etabliert, durch Daten abgesichert und in der S3 LL Prostatakarzinom als gleichwertig empfohlen. Doch die Frage, welche der 4 Optionen hinsichtlich Effektivität, Lebensqualität, Überlebenszeit und Kosten am besten abschneidet, ist noch nicht beantwortet und wird DGU und BGU weiterhin beschäftigen, wie Wülfing bestätigt.

„Wir sind uns mit dem BDU einig, dass wir die Fragestellung weiterverfolgen werden. Infrage kämen unterschiedliche Studienkonzepte, die alle zum Ziel hätten, die Ergebnisqualität der verschieden Therapien über einen langen Beobachtungszeitraum zu messen. Die Evidenzlevel dieser Studienvarianten wären zwar nicht so hoch wie bei einer randomisiert kontrollierten klinischen Studie, doch die Langzeitergebnisse der einzelnen Verfahren zu kennen, wäre eine tolle Sache und wichtig für unsere Patienten“, betont Wülfing.

Eine Registerstudie beispielsweise käme auch der Versorgungsforschung zugute, für die Schroeder in der Urologie noch reichlich Luft nach oben sieht. „Eine solche Dokumentation und spätere Auswertung der Therapie von Patienten mit Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom wäre wohl auch deutlich kostengünstiger als die jetzige Studie. Hinzu kommt, dass mit einer Registerstudie das Problem der Randomisierung wegfiele“, sagt Schroeder. „Wir alle wollen für unsere Patienten die bestmögliche Therapie und Versorgung und deshalb werden wir Gespräche darüber suchen wie sich die Fragestellung anderweitig klären lässt“, bekräftigt Wülfing.

Doppelte Prüfung der Biopsate: Über- oder Untertherapien verringert

Enttäuscht von den bisherigen Ergebnissen der Studie zeigt sich der G-BA Vorsitzende Prof. Dr. Josef Hecken: „Damit bleibt bedauerlicherweise die Frage nach der besten Therapie des Niedrig-Risiko-Prostatakarzinoms ungeklärt", erklärt Hecken. „Ich würde mir jedoch wünschen, dass die Deutsche Krebshilfe, der G-BA sowie die Kostenträger gemeinsam im Sinne der Patienten darüber nachdenken, wie weit die offene Fragestellung mit einem erfolgversprechenderen Studienkonzept erneut aufgegriffen und bearbeitet werden kann, damit der Aussetzungsbeschluss aufrechterhalten werden kann", so Hecken.

Trotz des vorzeitigen Studienabbruchs hat PREFERE wichtige Erkenntnisse gebracht: So hat die Zweitbegutachtung der Biopsate das Risiko einer Über- oder Untertherapie für die Patienten deutlich verringert. Die in den letzten dreieinhalb Jahren eingeschriebenen Patienten haben von diesem Vorteil profitiert – ebenso wie von der strukturierten und neutralen Aufklärung über die 4 möglichen Behandlungsoptionen bei Prostatakrebs im frühen Stadium.

Die 343 Studienteilnehmer haben durch den Stopp von PREFERE keine Nachteile: Die gesetzlichen Kassen, die privaten Krankenversicherer und die Deutsche Krebshilfe werden die langfristige medizinische Betreuung und Beobachtung der Patienten entsprechend des Studiendesigns sicherstellen. Außerdem sollen die klinischen Ergebnisse der Studienpatienten trotz des Studienabbruchs für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden.

 

REFERENZEN:

1. Deutsche Krebshilfe: Gemeinsame Stellungnahme der Sudienförderer zur PREFERE-Studie, 05. Dezember 2016

 

Kommentar

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