Wie Patienten in Deutschland ärztlich versorgt werden, hängt maßgeblich auch vom Ort ab, an dem sie leben. Solche regionalen Unterschiede beschreiben und analysieren seit 5 Jahren Forscher am Versorgungsatlas des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in Berlin. Bei einer Fachtagung in der Hauptstadt wurde jetzt Bilanz gezogen.

Dr. Dominik von Stillfried
„Überrascht hatte uns bereits bei den ersten Auswertungen vor fünf Jahren, dass es trotz der in Deutschland weitgehend vereinheitlichten sozialrechtlichen Rahmenbedingungen systematische regionale Unterschiede bei der medizinischen Versorgung gibt“, sagte Zi-Leiter Dr. Dominik von Stillfried bei einer Pressekonferenz während der Tagung [1].
„Anders als bei früheren Analysen kassenärztlicher Tätigkeit steht beim Versorgungsatlas nicht der Arzt, die Arztgruppe oder die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung (KV) im Mittelpunkt, sondern die medizinische Betreuung ihrer Patienten“, erklärte von Stillfried. „Das ist eine vergleichsweise neue Perspektive.“
Anhaltspunkte zur Verbesserung medizinischer Leistungen
Grundlage der Analysen sind die Abrechnungsdaten der regionalen KVen, die diese dem Versorgungsatlas-Team in pseudonymisierter Form übermitteln (dabei ersetzt ein Code den Namen des Patienten). Durch ihre Auswertung lassen sich regionale Unterschiede in der ambulanten ärztlichen Versorgung und Arzneimittelverordnung sowie deren unterschiedliche Strukturen und Abläufe erkennen. Die Ergebnisse werden seit 2011 auf dem Internetportal Versorgungsatlas publiziert und sollen Anhaltspunkte liefern, wie die gesundheitliche Versorgung verbessert werden kann.

Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum
Der Versorgungsatlas habe dabei einen Gestaltungsauftrag: „Festgestellte regionale Unterschiede sollen weder als Schicksal anerkannt werden noch zu einer Skandalisierung weniger gut versorgter Regionen führen. Vielmehr wollen wir Ansatzmöglichkeiten aufzeigen, um bei Bedarf Dinge zu verändern.“
Das Motto lautet: Informieren, Diskutieren, Handeln
Der Versorgungsatlas versteht sich deshalb insbesondere als eine interaktive Plattform: „Zu verschiedensten gesundheitlichen Themen werden die regionalen Besonderheiten der Versorgung beschrieben und statistisch analysiert, um dann als Diskussionsgrundlage zur Verfügung zu stehen“, erklärte Dr. Jörg Bätzing-Feigenbaum, Allgemeinmediziner und Leiter des Fachbereichs Versorgungsatlas am Zentralinstitut. Das zugehörige Leitmotto lautet: Informieren, Diskutieren, Handeln.
Beispiele für Analysen des Versorgungsatlas sind Fragestellungen wie: In welchen Regionen Deutschlands sind Impflücken bei Masern besonders groß? Wo verordnen Vertragsärzte besonders oft Antibiotika und welche Trends gab es bei deren Verordnung in den letzten Jahren in Deutschland? Wie gut sind Patienten mit einer Demenz oder Herzinsuffizienz je nach Wohnort versorgt? Wie sehen die Impfquoten bei Pneumokokken- oder HPV-Impfungen im Regionalvergleich aus?
Hilfe für Entscheidungsträger
„Wir haben den Versorgungsatlas“, so von Stillfried, „von Anfang an als Hilfestellung für Entscheidungsträger, also z.B. für Ärzte, Gesundheitsämter und Krankenkassen, gesehen. Die Akzeptanz auf Seiten der Ärzteschaft ist uns dabei besonders wichtig, denn ohne das persönliche Interesse der niedergelassenen Ärzte werden die Anregungen, die der Atlas gibt, nicht aufgegriffen.“
Erfahrungen mit vergleichbaren Instrumenten in Italien und Norwegen hätten gezeigt, dass die frühe Ansprache der Fachgesellschaften und der zuständigen Ärzte in den Regionen bei diesen ein großes Interesse an den Ursachen regionaler Versorgungsunterschiede generieren könne. „Teilweise bewirkt dies dann, dass nicht die Politik Forderungen an die Ärzte stellt, sondern umgekehrt die Ärzte politische Forderungen stellen, damit sich Dinge ändern können.“
Visualisierung sorgt für Aufmerksamkeit

Prof. Dr. Reinhard Busse
Die Visualisierung von Versorgungsunterschieden dient als Instrument, um Aufmerksamkeit zu wecken. „Häufig sind regionale Unterschiede jedoch auch nicht erklärbar oder können Ausdruck von Unsicherheiten im Hinblick auf Diagnose oder Therapie sein“, gab Prof. Dr. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin zu bedenken. Als Beispiel nannte er Regionen, in denen Ärzte bei Rückenschmerz-Patienten umgehend eine bildgebende Diagnostik einleiten, und Regionen, in denen eine solche nur in akuten Notfällen erfolgt. „Bei derartigen Unterschieden lässt sich mit dem Versorgungsatlas auch die Akzeptanz von Leitlinien überprüfen und auf diese Weise zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung beitragen.“
Auf den ersten Blick kaum erklärbar erscheint etwa auch die hohe Zahl von Antibiotika-Verschreibungen durch Vertragsärzte im Saarland. „Dort liegen die Verordnungsraten teilweise um fast 50 Prozent höher als in Brandenburg“, berichtete Bätzing-Feigenbaum. Die Veröffentlichung dieser Daten durch den Gesundheitsatlas habe Mediziner im Saarland für diese Problematik sensibilisiert. Mit Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte werde nun versucht, die Situation zu ändern. „Ergebnisse“, so der Allgemeinmediziner, „können wir wohl in zwei bis drei Jahren sehen.“
Stärkere Einbindung ärztlicher Fachgesellschaften geplant
Mit Hilfe des Gesundheitsatlas lassen sich auch virtuelle Behandlernetze bilden, die dadurch definiert sind, dass mehrere Fachärzte gemeinsam die gleichen Patienten haben. „Wir wollen nun den Versuch machen, den beteiligten Ärzten ein Feedback darüber zu geben, dass sie überhaupt gemeinsam bestimmte Patienten behandeln und wie ihre Behandlungsergebnisse in regionalen Vergleichen aussehen“, erklärte Zi-Leiter von Stillfried.
Zunehmend sollen neben den „klassischen“ Zielgruppen des Gesundheitsatlas – insbesondere KVen, Krankenkassen, Behörden und sonstige gesundheitspolitische Akteure – ärztliche Fachgesellschaften in die Diskussion einbezogen werden. Darüber hinaus ist eine verstärkte Vernetzung der lediglich aus dem ambulanten Bereich stammenden Gesundheitsatlas-Daten mit solchen aus stationären Einrichtungen geplant. Aber auch einzelne Ärzte sind angesprochen: So kann sich etwa ein Niedergelassener mit Hilfe des Versorgungsatlas über Versorgungssituationen und -trends in seiner Region informieren und diese mit Kollegen oder seiner KV diskutieren.
Versorgungsatlas: Medizinische Versorgung regional betrachtet Die Internet-Plattform www.versorgungsatlas.de informiert regional aufgeschlüsselt über Forschungsergebnisse zu Strukturen, Abläufen und Ergebnissen der medizinischen Versorgung in Deutschland. Sie enthält 4 Formen der Darstellung: Eine interaktive Karte verdichtet Forschungsergebnisse zu Kernaussagen und gibt einen ersten Eindruck über regionale Unterschiede. Dazu werden die Ergebnisse auch in Tabellen und Diagrammen dargestellt. Der Nutzer kann die Karten, Tabellen und Diagramme modifizieren, etwa um vom Bundesland auf Kreisebene zu wechseln oder um eine Veränderung im Zeitablauf zu betrachten. Jedes Thema enthält ergänzend einen vertiefenden Bericht. Darin werden die Gründe der regionalen Unterschiede analysiert. |
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Regionale Unterschiede bei Impfraten oder Antibiotika-Verordnungen – dokumentiert im Versorgungsatlas - Medscape - 7. Dez 2016.
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