New Orleans – Protonenpumpenhemmer sind mit einem erhöhten Risiko für einen ischämischen Schlaganfall assoziiert, ergab eine aktuelle Untersuchung. Die dänische Beobachtungsstudie wurde auf dem Jahreskongress der American Heart Association (AHA) 2016 vorgestellt [1]. Danach kommt es bei allen 4 untersuchten Protonenpumpenhemmern (PPI) zu einer dosisabhängigen Risikoerhöhung, jedoch nicht unter der Gabe von Histamin-2-Blockern, die bei ähnlichen Indikationen Anwendung finden. PPI sind zur Säurereduktion im Magen und zur Therapie der Refluxösophagitis weit verbreitet.
Die Untersucher unter der Leitung von Dr. Thomas Sehested von der Danish Heart Foundation in Kopenhagen halten ihren Befund für einen weiteren Beitrag zu den sich mehrenden Hinweisen auf eine Verbindung zwischen PPI und kardiovaskulären Erkrankungen. Sehested erläuterte, dass präklinische Studien die Reduktion von Stickstoffmonoxid (NO) unter PPI nachgewiesen hatten, was zu einer endothelialen Dysfunktion führe. Außerdem hatten mehrere Beobachtungsstudien eine Verbindung zu kardiovaskulären Erkrankungen aufgezeigt. „Soweit wir wissen, ist dies jedoch die erste Arbeit, die einen Zusammenhang zwischen PPI und ischämischen Schlaganfällen aufzeigt.“
„Die Ergebnisse sollten als vorläufig betrachtet werden, da sie aus einer noch unveröffentlichten Beobachtungsstudie stammen“, betonte Sehested gegenüber Medscape, „doch ich glaube, dass auch diese Studie einen Beitrag zur Frage der kardiovaskulären Relevanz der PPI liefert.“ Die Evidenz sei jedoch noch nicht stark genug, um eine indizierte PPI-Medikation zu beenden.
„Allerdings würden wir so weit gehen zu sagen, dass man diese Medikamente nur nehmen sollte, wenn eine eindeutige Indikation vorliegt. Viele Menschen nehmen sie unnötigerweise oder länger als erforderlich ein. Ich würde alle Ärzte bitten, sich die PPI-Medikationen ihrer Patienten noch einmal genau anzusehen und zu überlegen, ob sie nicht auch abgesetzt werden kann oder ob eine reduzierte Dosierung möglich ist.“ Er wies zudem darauf hin, dass PPI in vielen Ländern frei verkäuflich sind und viele Patienten sie ohne klare Indikation einnehmen – dies sei bedenklich.
Echter Effekt oder Risikomarker?
In einem Kommentar für Medscape zu der Studie vertrat Prof. Dr. David A. Johnson, Gastroenterologe an der Eastern VA Medical School in Norfolk, Virginia, die Auffassung, dass die PPI wahrscheinlich eher Marker eines erhöhten Risikos sind als direkt für negative kardio- oder neurovaskuläre Effekte verantwortlich. Er wies darauf hin, dass alle bisherigen Hinweise, die auf einen Zusammenhang zwischen PPI und kardiovaskulären Schädigungen hinweisen, aus Beobachtungsstudien stammen. In einer randomisierten Gruppe oder nach Propensity-Score-Matching konnte dagegen in einer Metaanalyse kein klinisch signifikanter Effekt bewiesen werden.
„Damit könnte das ermittelte Risiko durch PPI auf einen Selektionsbias und unterschiedliche Ausgangsbedingungen auf der Patientenseite zurückzuführen sein“, fuhr Johnson fort. Die Daten, welche die PPI mit einer endothelialen Funktionsstörung aufgrund einer Senkung der NO-Synthese in Verbindung bringen, gingen auf Tierversuche zurück, während es bei einer prospektiven Cross-Over-Pilotstudie an gesunden Personen und KHK-Patienten keinen signifikanten Hinweis in diese Richtung gegeben hatte.
„Wenn es angemessen erscheint, sollten Ärzte also weiterhin ihren Patienten PPI zur Senkung eines Blutungsrisikos im oberen Gastrointestinaltrakt verordnen, ohne sich Sorgen über eine Zunahme von unerwünschten kardiovaskulären oder ischämischen Ereignissen zu machen“, folgerte er.
Dr. Rhanderson Cardoso vom Jackson Memorial Hospital der University of Miami war an einigen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen PPI und kardiovaskulärem Risiko beteiligt. Für Medscape kommentiert er die Ergebnisse: „Die Methodik dieser Kohortenstudie ist bemerkenswert. Den Autoren gelang eine objektive und verlässliche Risikoermittlung, Störvariablen wurden identifiziert, und die Gruppen wurden mit statistischen Methoden vergleichbarer gemacht. Es ist aber eine Beobachtungsstudie. Und da sich immer noch Störvariablen bemerkbar machen können, belegt diese Assoziation keinesfalls einen kausalen Zusammenhang. Man sollte ihr jedoch in weiteren Studien nachgehen. Ein wichtiger Schluss aus dieser und anderen Beobachtungsstudien zu PPI und negativen kardiovaskulären Folgen lässt sich aber jetzt schon ziehen: Ohne eindeutige Indikation sollten keine PPI eingenommen werden.“
Beobachtungsstudie: Risikoanstieg ab einer mittleren Dosierung
Für die vorliegende Studie nutzten die Untersucher eine landesweite Datenbank in Dänemark, um alle Personen über 30 zu ermitteln, die sich zwischen 1997 und 2012 einer elektiven Gastroskopie unterzogen hatten. Patienten, die davor bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung gehabt hatten, wurden aus der Studie ausgeschlossen. Dieser Datensatz wurde mit der dänischen Erfassungsstelle für Medizinprodukte verbunden, um Patienten zu identifizieren, die mehrere Medikamente einnehmen, einschließlich PPI und H2-Blocker.
Insgesamt wurden so 244.679 Personen in die Studie aufgenommen (Durchschnittsalter 57 Jahre). Etwa 44% von ihnen waren PPI verordnet worden. Im Verlauf kam es in 9.489 Fällen (3,9%) erstmalig zu einem Schlaganfall. Die Ergebnisse zeigten, dass die einfache Schlaganfallinzidenz pro 10.000 Personen unter PPI-Einnahme bei 88,9 lag. Ohne diese Medikation betrug sie 55,7.
Nach der Adjustierung für die Faktoren Alter, Geschlecht, Vorhofflimmern, Hypertonie, Diabetes, Herzinsuffizienz, peptisches Ulcus, Krebs, chronische Niereninsuffizienz und Einnahme von NSAR war die aktuelle PPI-Einnahme mit einem um 20% höheren Schlaganfallrisiko verbunden – bei einem Inzidenzratenverhältnis (IRR) von 1,19 (95% Konfidenzintervall 1,14-1,24; p < 0,0001). Für H2-Blocker fand sich keine Korrelation zum Schlaganfallrisiko bei einem IRR von 1,05 (95% Konfidenzintervall 0,88-1,23; p = 0,60).
Bei der weiteren Auswertung ergab sich für alle 4 PPI (Omeprazol, Pantoprazol, Lansoprazol, Esomeprazol) ein deutlicher dosisabhängiger Zusammenhang zwischen der PPI-Einnahme und dem Schlaganfallrisiko. In den höchsten Dosisbereichen lag die Risikoerhöhung zwischen 33% für Lansoprazol und 79% für Pantoprazol.
„Obwohl es sich um eine Beobachtungsstudie handelt und somit keine kausalen Zusammenhänge aufgezeigt werden können, halten wir die gesehene Dosisabhängigkeit doch für eine Bestätigung unserer Befunde“, führte Sehested aus. „Bei niedrigen Dosierungen war kein Risikoanstieg zu erkennen. Dazu kam es erst ab einer mittleren Dosierung. Doch die meisten Patienten nehmen eine mittlere oder höhere Dosis.“
Die nicht vorhandenen Effekte für das Schlaganfallrisiko unter H2-Blocker-Medikation stützten die Interpretation im Hinblick auf die PPI, so Sehested weiter. „Das Nullresultat für die H2-Blocker verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Indikation eine Störvariable ist. Wenn das Ergebnis der Risikoerhöhung für einen Schlaganfall mit der Indikation zusammenhängen würde, hätte man den Effekt wohl auch unter H2-Blocker-Einnahme erkennen können.“
Die vorliegende Studie hatte Patienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankungen ausgeschlossen. „Theoretisch weist diese Gruppe ein höheres Risiko auf, doch lassen unsere Daten in dieser Hinsicht keinerlei Aussagen zu“, sagte Sehested. Er ergänzte, dass künftige Untersuchungen auch das absolute Risiko unter die Lupe nehmen würden. „Bisher haben wir nur Anhaltspunkte für eine relative Risikozunahme. Die untersuchte Population wies ein niedriges Schlaganfallrisiko auf. Wir sollten uns auch die absolute Risikozunahme ansehen, was in zukünftigen Untersuchungen ansteht.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Protonenpumpenhemmer: Dosisabhängig steigt das Risiko für Schlaganfälle – Risikofaktor oder doch nur Risikomarker? - Medscape - 6. Dez 2016.
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