Berlin – „Die Depression hat nicht nur mit dem Gehirn zu tun, sondern auch mit dem Darm“, gab sich Prof. Dr. Thomas C. Baghai, Universität Regensburg, beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in Berlin überzeugt [1]. Er hofft, dass sich aus dieser Erkenntnis auch neue therapeutische Konzepte ableiten lassen. Bisher steckt die Forschung hier aber noch in den Kinderschuhen.
Vielfältige Verbindungen zwischen Soma und Psyche
Dass somatische Erkrankungen die Psyche in Mitleidenschaft ziehen können, ist weder neu noch überraschend. Chronische Schmerzen und Ängste, Sorgen um Arbeitsplatz und Partnerschaft reichen schon aus, um depressiv zu machen. Auch manche Therapien können Depressionen auslösen – hier sei nur das Interferon in der Behandlung der Virushepatitis genannt.
Daneben existieren neurobiologische Prozesse, die körperliche Erkrankungen und Depression verknüpfen, etwa eine Überaktivität der Hypophysen-Hypothalamus-Nebennieren-Achse oder – und hier kommt das Mikrobiom ins Spiel – eine anhaltende subklinische Inflammation. Viele Erkrankungen, die mit entzündlichen Prozessen einhergehen, zeigen eine hohe Rate komorbider Depressionen und Angststörungen.
Beim Reizdarmsyndrom etwa liegt die Rate bei 60%, und dies unabhängig davon, welche Symptomatik vorherrscht. „Die Verbindung Körper-Psyche ist aber keine Einbahnstraße, Wirkungen finden in beide Richtungen statt“, betonte Baghai.
Verhalten kann das Mikrobiom verändern
Was hat nun das Mikrobiom damit zu tun? Schon Hippokrates wusste: „Der Darm ist der Vater aller Trübsal.“ Aus Untersuchungen an Tieren geht hervor, dass das Verhalten die Zusammensetzung der intestinalen Flora beeinflusst. So fressen beispielsweise junge Iguanas (Leguane) Fäzes oder Erde, um ihr Mikrobiom ihrer aktuellen Ernährung anzupassen.
Umgekehrt beeinflusst das Mikrobiom auch das Verhalten. In Versuchen mit Mäusen konnte ängstliches Verhalten reduziert werden, wenn die Tiere mit dem Futter probiotische Lactobacilli rhamnosi bekamen. Mäuse lassen sich übrigens auch depressiv machen, indem man ihnen die Fäzes depressiver menschlicher Patienten überträgt.
Inzwischen gibt es auch Untersuchungen am Menschen, die zeigen, dass die Darmmikroben die ZNS-Homöostase über immunologische, metabolische und neuronale Wege regulieren, heißt es in einem aktuellen Review. Bei diversen psychiatrischen Erkrankungen konnten Dysbalancen des Mikrobioms nachgewiesen werden.
Können Probiotika die antidepressive Therapie unterstützen?
Es gibt erste Hinweise, dass sich der Krankheitsverlauf durch Probiotika mildern lässt. Vielleicht stellen auch Stuhltransplantationen eine Option dar. Allerdings passt sich das Mikrobiom einige Wochen nach der Transplantation wieder an den „Inhaber“ an, erläuterte Prof. Dr. Undine Lang, Universität Basel: „Eine Stuhltransplantation ohne Ernährungsumstellung wird keinen Langzeiteffekt bringen.“
Möglicherweise reicht es schon aus, die Ernährung zu verändern, allerdings weiß momentan niemand so recht, wie eine Ernährung aussieht, die ein antidepressives Mikrobiom fördern könnte. Für vegane und vegetarische Koste wurde immerhin schon eine gewisse antidepressive Wirkung beschrieben. Positive Studien gibt es auch zur mediterranen Ernährung und zu Joghurt.
Als weitere Option werden Probiotika gehandelt, die aber hoch dosiert oder so verpackt sein müssten, dass sie den Darm sicher erreichen, so Lang. In einer Pilotstudie über 30 Tage reduzierten Lactobacillus helveticus und Bifidobacterium longum Angst und Depression. Größere klinische Studien stehen jedoch noch aus.
Augmentierung mit Antibiotika auf dem Prüfstand
Was machen Antibiotika in diesem Kontext? Die Erfahrung zeigt, dass zumindest einige Wirkstoffe antidepressive Effekte entfalten können. Übrigens auch umgekehrt: Viele Antidepressiva haben antibiotische Wirkung, berichtete Baghai. Diese ist tatsächlich auf Effekte an der Bakterienzelle zurückzuführen, die sich von Antidepressivum zu Antidepressivum unterscheiden.
Interessanterweise scheint diese keimspezifisch zu sein. Für Escitalopram etwa wurde ein Effekt auf Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa, Klebsiellen und Proteus gezeigt, für Paroxetin auf gramnegative Keime, Haemophilus influenzae und Mycobacteria catarrhalis.
Zurzeit wird in einer Proof-of-concept-Studie unter Leitung von Prof. Dr. Isabella Heuser von der Berliner Charité untersucht, ob Minocyclin sich eignet, eine antidepressive Therapie zu augmentieren. Das Tetrazyklin wirkt antiinflammatorisch und soll die Wirkung von selektiven Serotonin- und Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI und SNRI) sowie Noradrenergen und Spezifisch Serotonergen Antidepressiva (NaSSA) verstärken können.
Eingeschlossen werden sollen 160 Patienten, die auf eine antidepressive Therapie unzureichend angesprochen haben. Sie erhalten für 6 Wochen zusätzlich Minocyclin oder Placebo. Primärer Prüfparameter wird die antidepressive Wirkung sein. Daneben werden aber auch Proben genommen, um unter anderem den Effekt auf das Mikrobiom zu dokumentieren.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Ungünstiges Mikrobiom und Inflammation fördern Depressionen: Probiotika und Antibiotika als Therapie? - Medscape - 5. Dez 2016.
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