Meinung

Osteosarkom bei Kindern: „Es gibt teilweise auch sehr späte Rezidive“

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

5. Dezember 2016

Kopenhagen – Das Osteosarkom ist zwar der häufigste maligne Knochentumor, hat aber insgesamt nur eine niedrige Inzidenz. Studien zur Therapieverbesserung sind deshalb eine Herausforderung. Prof. Dr. Stefan Bielack, Kinderonkologe am Klinikum Stuttgart, hat deshalb eine große internationale Studiengruppe ins Leben gerufen, in der Forscher aus 17 Ländern zusammenarbeiten. Auf der Europäischen Onkologenkongress in Kopenhagen sprach er über aktuelle Erkenntnisse und Hoffnungen bei der Osteosarkom-Therapie.

Prof. Dr. Stefan Bielack

Medscape: Als Leiter der EURAMOS/COSS-Studiengruppe haben Sie maßgeblich zur Therapieverbesserung des Osteosarkoms beigetragen, und wurden in diesem Jahr dafür mit dem Deutschen Krebspreis ausgezeichnet. Können Sie uns ein wenig mehr über die Hintergründe dieser Studiengruppe erzählen?

Prof. Bielack: Osteosarkome sind zwar die häufigsten bösartigen Knochentumore, sind aber insgesamt weiterhin selten. In Deutschland liegt die Inzidenz in etwa bei 150-200 Fällen pro Jahr. Da wir für viele Studien aber mehrere hundert oder gar tausende Studienteilnehmer brauchen, müssen wir mit anderen Ländern zusammenarbeiten.

Genau das ist in der EURAMOS/COSS-Studiengruppe geschehen, in der wir von 2006-2011 insgesamt 2260 Patienten aus 326 Kliniken in 17 Ländern rekrutiert haben. Die Studie war offen für alle Patienten zwischen 0 und 40 Jahren. Allerdings haben kaum Studienteilnehmer unter 5 und über 18 Jahren teilgenommen, da das Osteosarkom am häufigsten in der Adoleszenz auftritt und es offenbar einfacher war, Kinderonkologie zur Teilnahme zu motivieren als Erwachsenenonkologien.

Medscape: Was war das primäre Studienziel?

 
Findet man bei der OP weniger als 10% lebendige Tumorzellen, liegt die langfristige Überlebens- wahrscheinlichkeit bei ca. 75-80%.
 

Prof. Bielack: Beim Osteosarkom wird die Behandlung in der Regel mit einer präoperativen Standardchemotherapie aus Methotrexat, Doxorubicin und Cisplatin eingeleitet. Bekannt ist bereits seit 35 Jahren, dass der bei der Operation dann noch gefundene Anteil lebendigen Resttumors eng mit der späteren Prognose korreliert. Findet man bei der OP weniger als 10% lebendige Tumorzellen, liegt die langfristige Überlebenswahrscheinlichkeit bei ca. 75-80%.

Hat der Tumor allerdings weniger gut auf die vorangehende Chemotherapie angesprochen und liegen damit zum Zeitpunkt der Operation mehr als 10% lebendiger Tumorzellen vor, dann steigt das Rückfallrisiko auf über 50%. Wir wollten nun herausfinden, ob eine längere und intensivere postoperative Chemotherapie möglicherweise die Wahrscheinlichkeit, trotz schlechten Ansprechens rückfallsfrei zu überleben, verbessert

Die randomisiert überprüfte Frage war, ob die Hinzunahme von Ifosfamid und Etoposid zur postoperativen Chemotherapie das Rückfallrisiko signifikant verringern kann. Leider stellte sich heraus, dass die Intensivierung zu keiner Prognoseverbesserung führte. Deshalb sollte die postoperative Chemotherapie derzeit außerhalb prospektiver Studienauch bei schlechtem histologischen Ansprechen auf eine präoperative Standardtherapie nicht erweitert werden. Auf diese Weise können zumindest viele Nebenwirkungen wie Nephrotoxizität, Gonadentoxizität und das Risiko für sekundäre Leukämien reduziert werden.

Medscape: Wie sieht es bei älteren Erwachsenen aus? Muss hier die Therapie weiter angepasst werden?

Prof. Bielack: Bis zu einem Alter von 40 Jahren bekommen alle Patienten die gleiche Therapie. Bei den 40- bis 65-Jährigen versucht man allerdings, auf Methotrexat zu verzichten, da es mit zunehmenden Alter immer schlechter vertragen wird. Wir dürfen nicht vergessen: Beim Osteosarkom wird MTX üblicherweise in sehr hohen Dosen verabreicht, sodass bestimmte Nebenwirkungen eher häufiger auftreten.

 
Es gibt teilweise auch sehr späte Rezidive.
 

Bei den Patienten über 65 Jahren wird es dann noch komplizierter. Sie vertragen oft keins der üblicherweise verwendeten Chemotherapeutika gut. Hier kommt es auf den Einzelfall an und ich kann glücklicherweise auf internistische Experten im Referenznetzwerk unserer interdisziplinären Osteosarkomgruppe zurückgreifen. Meine Expertise liegt ja eher im kinder- und jugendonkologischen Bereich.

Medscape: Eine starke interdisziplinäre Zusammenarbeit ist mit Sicherheit auch bei Ihren pädiatrischen Patienten wichtig. Wie gut ist diese organisiert?

Prof. Bielack: In Deutschland funktioniert die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Kinderonkologie sehr gut. Die Patienten werden in einem Register unabhängig von laufenden Studien gemeldet. Innerhalb dieses Registers steht die Studienzentrale auch zur Beratung von individuellen Patienten zur Verfügung.

Es gibt hier außerdem ein Referenznetzwerk, an dem beispielsweise Pathologen, Radiologen und Orthopäden teilnehmen, um Behandlungsvorschläge zu machen oder um über Komplikationen zu informieren.

Medscape: Wie sieht es mit der Nachsorge aus? Wie häufig sind Rezidive – und wann treten sie am häufigsten auf?

Prof. Bielack: Rezidive treten in der Regel eher früher als später auf. Der mediane Zeitpunkt nach Diagnosestellung liegt bei 1,5 Jahren. Es gibt aber teilweise auch sehr späte Rezidive, sodass wir gar nicht genau wissen, wann wir mit der tumorspezifischen Nachsorge aufhören sollen.

Rezidive treten beim Osteosarkom zu ca. 90% in der Lunge auf. Ohne Bildgebung entdecken wir sie deshalb meist erst dann, wenn sie bereits nicht mehr operabel sind. Nur die regelmäßige bildgebende Nachsorge stellt sicher, dass wir ein Rezidiv in einem möglicherweise noch heilbaren Stadium erkennen können.

Üblicherweise erfolgt die tumorspezifische Nachsorge über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren. Einer meiner eigenen Patienten hat aber beispielsweise erst im 11. Jahr eine Lungenmetastase entwickelt. Hätten wir nach 10 Jahren mit der Nachsorge aufgehört, hätten wir diese nicht mehr in einem operablen Stadium entdeckt. Deshalb kann man derzeit keine allgemeingültigen Empfehlungen dazu geben, wie lange die tumorspezifische Nachsorge erfolgen sollte.

Medscape: Die frühe Diagnosestellung eines Rezidives oder eines Primärtumors ist umso entscheidender, da das fortgeschrittene Osteosarkom nach wie vor leider schwer zu heilen ist. Geben aktuelle Studien ein wenig mehr Hoffnung für die nahe Zukunft?

Prof. Bielack: Definitiv verbessert haben sich die Supportivtherapien. Wir können Übelkeit wesentlich effektiver behandeln, eine hohe Kardiotoxizität vermeiden und das Gehör schützen, indem wir Cisplatin nicht mehr als Kurz-, sondern als Dauerinfusion geben. Erfolge gibt es auch bei der Erhaltung von Extremitäten: Es muss kaum noch amputiert werden.

 
Es muss kaum noch amputiert werden.
 

Phase-2-Studien zur Wirksamkeit neuer Wirkstoffe gestalten sich aber nach wie vor schwieriger als bei anderen Tumorarten. Das Osteosarkom ist letztlich ein Tumor der knochenbildenden Zellen. Entsprechend bilden auch Lungenmetastasen Knochensubstanz – die sich auch unter einer sehr wirksamen Chemotherapie nicht zurückbildet. Das Röntgenbild nach Therapie sieht oft genauso aus wie davor. Deswegen müssen wir neue Endpunkte, wie das progressionsfreie Überleben, definieren.

Natürlich gibt es einzelne Erfolge. Hoffnungen liegen derzeit u.a. bei den Checkpoint-Inhibitoren. Ich hoffe, dass sich diese in zukünftigen Studien als wirksam erweisen, denn ich verspreche mir von solchen Ansätzen angesichts des in Osteosarkomen meist vorliegenden genomischen Chaos mehr als von Targeted Therapies. Unser Ziel muss es letztlich sein, den Patienten komplett zu heilen. Schließlich haben wir es mit Kindern und Jugendlichen zu tun, die noch ein langes Leben vor sich haben. Mit Immuntherapien haben wir möglicherweise eine zusätzliche Chance, auch die letzte Tumorzelle zu erwischen. Herauszufinden, ob dies tatsächlich so ist, muss aber Gegenstand prospektiver Studien sein.

 

REFERENZEN:

1. Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), 7. bis 11. Oktober 2016, Kopenhagen/Dänemark

 

Kommentar

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