Eine duale Plättchenhemmung (DAPT) über 12 oder mehr Monate nach Implantation eines medikamentenbeschichteten Stents verringert – im Vergleich zu einer kürzeren DAPT (bis zu 6 Monate) – nicht das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE), so eine aktuelle Metaanalyse im British Journal of Medicine. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Patienten Diabetiker waren oder nicht [1].
„Die optimale Dauer einer antithrombozytären Therapie nach perkutaner koronarer Intervention (PCI) wird immer wieder kontrovers diskutiert. Die aktuelle Metaanalyse von mehr als 10.000 Patienten untersuchte diesen Aspekt erstmals genauer für die Gruppe der Diabetiker, die ein Hochrisikokollektiv darstellen. Sie zeigt, dass durch eine längere DAPT das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen nicht reduziert wird, sich aber das Risiko für Blutungen erhöht, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Diabetiker handelt oder nicht“, fasst Prof. Dr. Holger Eggebrecht, Kardiologe am Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt am Main, das Ergebnis der Publikation gegenüber Medscape zusammen. Die Daten stützen nach seiner Einschätzung die klinische Praxis in Deutschland: „Die Analyse bestätigt das Vorgehen vieler Kardiologen, die DAPT nach PCI bei stabiler Angina pectoris auf sechs Monate zu begrenzen“.
Das internationale Forscherteam um Giuseppe Gargiulo schloss in seine Metaanalyse 6 randomisierte Studien ein. Der primäre kombinierte Endpunkt umfasste Herztod, Myokardinfarkt oder Stentthrombosen. Generell erwies sich ein Diabetes mellitus als unabhängiger Prädiktor für ein höheres MACE-Risiko.
Ziel der Metaanalyse war es, den klinischen Nutzen einer kürzeren (bis zu 6 Monate) mit einer längeren (≥12 Monate) DAPT nach Implantation eines DES bei Patienten mit und ohne Diabetes zu vergleichen. Die duale Plättchenhemmung, bestehend aus Acetylsalicylsäure und Clopidogrel, ist die Standardtherapie bei Patienten nach elektiver perkutaner koronarer Intervention (PCI). Die optimale Dauer einer DAPT, insbesondere nach Einsetzen eines DES (drug eluting stent), wird allerdings kontrovers diskutiert. Als minimaler Zeitraum wird in den Leitlinien 6 Monate empfohlen.
Ein Diabetes mellitus gilt als Risikofaktor für das Auftreten einer Atherosklerose und einer Restenose nach PCI. Trotz der verbesserten Wirksamkeit durch DES haben Diabetiker weiterhin ein hohes ischämisches Risiko, insbesondere wenn sie insulinpflichtig sind.
Patientenindividuelle Daten ausgewertet
Um den Einfluss eines Diabetes auf das Outcome von Patienten mit DES zu evaluieren, durchsuchten die Forscher die Datenbanken von Medline, Embase und der Cochrane-Collaboration sowie Abstractbände internationaler Konferenzen nach randomisierten kontrollierten Studien, die eine kürzere mit einer längeren DAPT nach DES-Implantation verglichen hatten. Sie berücksichtigten nur Untersuchungen, für die patientenindividuelle Daten zur Verfügung standen. Dies traf auf 6 Studien zu. Ziel dieses Einschlusskriteriums war es, eine höhere interne Validität zu erreichen als dies mit Studien-basierten Metaanalysen möglich ist.
Gepoolt wurden die Daten von insgesamt 11.473 Patienten. Von diesen waren 7.708 (67,2%) keine Diabetiker. 3.681 (32,1%) hatten einen Diabetes, der bei 677 (18,4%) Teilnehmern insulinpflichtig war. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer betrug 63 Jahre. Hinsichtlich der Patientencharakteristika waren die Lang- und Kurzzeit-DAPT-Populationen ausgeglichen. Aber es gab zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Diabetikern und Nicht-Diabetikern. So waren Patienten mit Diabetes älter und häufiger weiblich. Sie hatten öfter eine Hypertonie, eine Hypercholesterinämie sowie Myokardinfarkte, PCI, koronare Bypass-Operationen, Schlaganfall und Nierenfunktionsstörungen in der Vorgeschichte als Nicht-Diabetiker.
Raten schwerer kardiovaskulärer Ereignisse vergleichbar
Ein Diabetes war ein unabhängiger signifikanter Prädiktor für eine höhere MACE-Rate (HR 2,30, 95% KI: 1,01-5,27; p = 0,048). Jedoch war das MACE-Risiko nach einem Jahr im Vergleich von Langzeit- und Kurzzeit-DAPT bei Patienten mit bzw. ohne Diabetes gleich (p = 0,33).
Auch in der Subgruppe der Diabetiker gab es keinen Unterschiede zwischen Lang- und Kurzzeit-DAPT, wenn nach Geschlecht, Alter, akutem Koronarsyndrom oder Multigefäß-Erkrankung differenziert wurde. Das Risiko für einen Myokardinfarkt war bei Diabetikern signifikant höher als bei den Nicht-Diabetikern (adjustierte HR 3,66, 95% KI: 1,25-10,69; p=0,018). Es unterschied sich unabhängig vom Diabetes-Status jedoch nicht signifikant zwischen den beiden DAPT-Regimen (p = 0,84).
Höheres Blutungsrisiko bei längerer DAPT
Die Blutungsraten waren bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern ähnlich. Doch waren bei 12-monatiger DAPT unabhängig vom Diabetes die Raten an schweren und leichteren Blutungen höher. Der Unterschied war in der Gruppe der Diabetiker im Vergleich zur kürzeren DAPT signifikant (p = 0,02). Dies traf auch zu, wenn nur schwere Blutungen betrachtet wurden.
Das Risiko für eine Stentthrombose war dagegen bei Nicht-Diabetikern mit der Langzeit-DAPT geringer als bei Diabetikern (HR 1,89, 95% KI: 0,31-11,38; p = 0,49). Auch bei Diabetikern kam es zu weniger Stentthrombosen, wenn die Patienten eine längere DAPT bekamen, allerdings war dieses Ergebnis sehr heterogen (p = 0,02).
Prof. Dr. Tim Süselbeck, niedergelassener Kardiologe in der Kardiologischen Praxisklinik Ludwigshafen, bestätigt die Einschätzung von Eggebrecht: „Der Metaanalyse zufolge ist ein Diabetes an sich kein Entscheidungskriterium für eine längere DAPT. Das entspricht der gängigen Praxis und auch den Empfehlungen in den Leitlinien. Die aktuelle Metaanalyse liefert hierfür die wissenschaftliche Evidenz.“
Die Autoren weisen darauf hin, dass die eingeschlossenen Studien nicht darauf ausgerichtet waren, Outcomes in der Subgruppe der Diabetiker zu evaluieren. Aufgrund des retrospektiven Charakters beurteilen sie ihre Untersuchung als hypothesengenerierend. Des Weiteren sei unklar, ob die Ergebnisse auf alle Patienten mit Diabetes übertragbar seien – ihnen lagen keine Angaben zum Diabetes-Typ vor. Auch die Übertragbarkeit auf alle DES ist fraglich, die Patienten in den Studien hatten überwiegend mit Zotarolimus und Everolimus beschichtete Stents.
REFERENZEN:
1. Gargiulo G, al: BMJ 2016 Nov 3;355:i5483
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Brauchen Diabetiker längere Plättchenhemmung nach Stent? Metaanalyse sagt nein – nur das Blutungsrisiko steigt - Medscape - 1. Dez 2016.
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