Die Sache lohnte sich zunächst: Innerhalb von anderthalb Jahren verdienten die Angeklagten rund 17 Millionen Euro durch Medikamentenschmuggel. Nun stehen sie vor der Wirtschaftskammer des Hamburger Landgerichts. Sie sind angeklagt wegen Markenrechtsverletzung, Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Betrugs. Seit der weiten Fassung des Fälschungsbegriffes im Arzneimittelgesetz (AMG), der auch gefälschte Vertriebswege umfasst, also Schmuggel, sei „ein solcher Fall höchstrichterlich noch nie entschieden“ worden, so Staatsanwalt Hans Wichenbach. Der Hamburger Prozess ist also ein Novum.
Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) hat die internationale 9-köpfige Gruppe 261 Tonnen Arzneimittel auf 1.855 Paletten von den Herstellern 1A Pharma und Salutas Pharma GmbH gekauft – und zwar für afrikanische Länder. Deshalb gab es Rabatte, die Preise lagen niedriger als im Verkauf in Deutschland, wo die Preisbindung den Preis hoch hält. Über verschlungene Pfade haben die Angeklagten dann einen großen Teil der rabattiert gekauften Medikamente wieder nach Europa und Deutschland transferiert und hier zu den hohen Marktpreisen verkauft. Die Differenz strichen sie ein. Einer der Geschädigten ist z.B. der Medikamentengroßhändler Phoenix.
Gesetzeslücke geschlossen
Laut Staatsanwaltschaft konnte die Gruppe erstmals wegen Verstoß gegen das AMG angeklagt werden. „Hintergrund ist, dass das Arzneimittelgesetz erst 2012 in Umsetzung einer EU-Richtlinie dahingehend geändert wurde, dass Arzneimittel auch dann als gefälscht gelten, wenn es sich um ein Arzneimittel mit falschen Angaben über den in Aufzeichnungen und Dokumenten beschriebenen Vertriebsweg handelt“, erklärt Staatsanwalt Wichenbach auf Anfrage von Medscape. Dies sei im fraglichen Verfahren der Vorwurf und war Ausgangspunkt der Ermittlungen.
Laut AMG (§ 4 Abs. 40 Nr. 3 AMG) gelten bereits ein falscher Name, eine falsche Verpackung oder Kennzeichnung, ein falscher Hersteller oder ein falsches Herkunftsland oder die Fälschung der genutzten Vertriebswege als Kennzeichen der Medikamentenfälschung. Der Paragraf 4 ist 2012 in Kraft getreten. Nach Worten der Hamburger Oberstaatsanwältin Nana Frombach sollte damit eine Gesetzeslücke geschlossen werden. Nun müsse man sehen, wie sich der Paragraf bewährt. Der Hamburger Prozess bietet dafür die erste Möglichkeit.
Immer mehr illegale Arzneimittel
Unterdessen werden immer mehr illegale Medikamente vom Deutschen Zoll sichergestellt. „Ob es sich dabei um in den Inhaltsstoffen gefälschte oder geschmuggelte Medikamente handelt, prüfen wir aber nicht“, sagt Wolfgang Schmitz, stellvertretender Sprecher der Generalzolldirektion. Beim Zoll gilt: „Wir halten nur Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz fest.“ Und ihre Zahl wächst stetig.
Im Jahr 2013 gab es 1.854 (2008: 407) Verfahren wegen Arzneimittelschmuggels, heißt es auf einem Faktenblatt der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA) zu Arzneimittelfälschungen. Im Jahr 2014 beschlagnahmte der Zoll 119.000 gefälschte Arzneimittel im Wert von 1,4 Millionen Euro. Im Jahr darauf stellten Zoll-Fahnder 3,9 Millionen Stück gefälschte Tabletten sicher. Bei der internationalen Interpol-Operation Pangea IX wurden innerhalb einer Aktionswoche im Mai/Juni 2016 bundesweit 564 Brief- und Paketsendungen mit 50.915 Tabletten, Kapseln und Ampullen aus dem Verkehr gezogen, so die Angaben des Faktenblattes. 40,3% der Feststellung entfielen auf Potenzmittel.
Nach Angaben von Schmitz´ wurden rund 3 Millionen der 4 Millionen beschlagnahmten Tabletten von der Zollfahndung gefunden. Sie heben Lager aus oder machen Hausdurchsuchungen – aber immer nach Hinweisen und im Auftrag der Staatsanwaltschaft.
Stichprobenprüfungen an Häfen, Flughäfen oder Grenzen indessen sind weit weniger erfolgreich. „Der Zoll kann den Warenverkehr nur anhand der Anmeldeunterlagen, möglicherweise falsch deklarierter Ware oder wegen auffälliger Tarnladungen Stichproben nehmen“, sagt Schmitz. Auch die Schmuggelware der in Hamburg Angeklagten dürfte in der schieren Masse der Waren, die täglich die Grenzen passieren, untergegangen sein. „Vielleicht war die eigentlich auffällig große Ladung an Medikamenten auch aufgeteilt und deshalb unauffällig“, meint Schmitz.
In den letzten Jahren werden immer mehr Ermittlungen gegen Beschuldigte und Banden geführt, sagt Schmitz. „Sie arbeiten immer gewaltbereiter und arbeitsteilig – von der Beschaffung bis hin zum Abkassieren.“ von 2014 auf 2015 stieg die Zahl der Menschen gegen die der Zoll wegen illegaler Medikamente ermittelte, von 3.100 auf 4.100. Kein Wunder, meint Schmitz. „Die Gewinnspannen sind zwar mit denen des Rauschgifthandels vergleichbar. Das vorgesehene Höchststrafmaß im AMG liegt aber nur bei 5 Jahren.“
Bald jede Packung markiert
Möglicherweise stehen den Medikamentenschmugglern aber schwere Zeiten ins Haus. Denn bis 2019 müssen auch hierzulande die diesbezüglichen Fälschungsrichtlinien der EU aus dem Jahr 2011 umgesetzt sein. „Die Verordnung besagt, erstens, dass jede Arzneimittelpackung mit einem Originalverschluss versehen dass sein muss“, sagt Nathalie Steinhauser, Sprecherin von securPharm, einer gemeinsamen Organisation der Arzneimittelhersteller, Apotheker und Großhändler zur Umsetzung der Verordnung. „Und zweitens muss jede Packung vom Hersteller mit einer individuellen Seriennummer versehen werden. Sie wird auch in einer zentralen Datenbank gespeichert. Zusammen mit dem Produktcode ist dann jede Packung, die im Handel ist, unverwechselbar.“
Der Apotheker liest die Nummer dann aus. Ist die Packung in der Datenbank verzeichnet, leuchtet an seinem Gerät ein grünes Licht. Wenn nicht, leuchtet ein rotes. Und die Packung darf nicht verkauft werden. Für Schmuggler besonders unangenehm: „Nicht nur der Großhandel oder die Apotheken müssen die Nummer checken“, sagt Steinhauser, „auch jeder Reimporteur.“ So wären die Paletten der Hamburger Angeklagten wohl aufgefallen.
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Diesen Artikel so zitieren: Arzneimittelschmuggel auf dem Vormarsch: Umsetzung der EU-Fälschungsrichtlinien soll es den Tätern schwer machen - Medscape - 28. Nov 2016.
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