Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen: Mithilfe des HbA1c-Werts lässt sich das Erkrankungsrisiko zuverlässig ermitteln

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

25. November 2016

Der HbA1c-Wert ist ein geeigneter Parameter, um bei Kindern und Jugendlichen das Risiko zu ermitteln, langfristig an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken. Das zeigt eine große Longitudinal-Studie, über die US-Forscher um Dr. Madhumita Sinha vom National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases in Phoenix, Arizona, in Diabetes Care, einer Publikation der American Diabetes Association (ADA), berichten [1].

Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland

„Das ist eine spannende und sehr gut gemachte Studie mit verlässlichen Daten, da alle Werte im gleichen Labor gemessen wurden“, urteilt der Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland vom Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen gegenüber Medscape. „Die Untersuchung ist vor allem auch deshalb wertvoll, weil wir bislang nur wenige Daten von Kindern und Jugendlichen zu dieser Fragestellung hatten.“

Derzeit geltende Grenzwerte müssen womöglich überdacht werden

Die Fachgesellschaft empfiehlt derzeit, Kinder ab 10 Jahren, die übergewichtig oder adipös sind und mindestens 2 weitere Risikofaktoren für einen Typ-2-Diabetes aufweisen, etwa eine entsprechende Anamnese in der Familie, regelmäßig auf Anzeichen eines gestörten Zuckerstoffwechsels zu untersuchen.

Der Wert des Glykohämoglobins HbA1c sei ebenso gut geeignet wie der Nüchternblutzucker oder der orale Glukosetoleranztest, um bei Kindern mit einem erhöhten Diabetesrisiko das Vorliegen eines Prädiabetes zu diagnostizieren, schreiben die Erstautorin der Studie, Pavithra Vijayakumar, und ihre Kollegen. Als Prädiabetes bezeichnen US-Mediziner eine pathologische Glukosetoleranz, die häufig eine Vorstufe des Diabetes ist. Menschen mit „Prädiabetes“ besitzen dementsprechend ein hohes Risiko, in den kommenden Jahren einen echten Diabetes zu entwickeln. Eine Ernährungsumstellung und mehr Bewegung können in diesem Stadium die Krankheit aber vielfach noch abwenden.

Darüber hinaus zeige die Studie, dass nur ein sehr niedriger HbA1c-Wert von unter  5,3% (34,4 mmol/l) Diabetes bei einem entsprechenden klinischen Verdacht sicher ausschließe, sagt Müller-Wieland. „Wir sollten daher auch hierzulande den derzeit festgelegten Grenzwert von 5,7 Prozent zum Ausschluss der Zuckerkrankheit neu diskutieren“, fordert der DDG-Experte.

Alle Probanden wurden mindestens 20 Jahre lang beobachtet

Das Team um Sinha schloss in seine Studie 2.095 Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 19 Jahren und 2.005 Erwachsene zwischen 20 und 39 Jahren ein. Alle Probanden waren Indianer, gehören also zu einer ethnischen Gruppe mit einem – genetisch bedingt – sehr hohen Risiko für Typ-2-Diabetes. Zu Studienbeginn war keiner der Teilnehmer zuckerkrank. Die jungen Probanden wurden bis zum Beginn ihres 40. Lebensjahres, die älteren bis zum Beginn ihres 60. Lebensjahres in regelmäßigen Abständen auf das Vorliegen eines Prä- oder echten Diabetes untersucht.

 
Die Untersuchung ist vor allem auch deshalb wertvoll, weil wir bislang nur wenige Daten von Kindern und Jugendlichen zu dieser Fragestellung hatten. Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland
 

Als diabeteskrank galt ein Teilnehmer, den Leitlinien der ADA und auch der DDG folgend, wenn der Wert seines Nüchternblutzuckers (fasting plasma glucose, FPG) 126 mg/dl (7,0 mmol/l) oder mehr betrug, der 2-Stunden-Wert des oralen Glukosetoleranztestes (2-h post-load plasma glucose, 2hPG, auf Deutsch oGTT-2h) bei 200 mg/dl (11,1 mmol/l) oder darüber lag und sein HbA1c einen Wert von 6,5% (48 mmol/mol) oder mehr hatte – oder wenn eine entsprechende ärztliche Diagnose vorlag. Ein „Prädiabetes“ wurde durch FPG-Werte zwischen 100 und 125 mg/dl, 2hPG-Werte zwischen 140 and 199 mg/dl oder HbA1c-Werte zwischen 5,7 and 6,4% definiert.

Die Aussagekraft der einzelnen Werte zur Ermittlung des Diabetesrisikos berechneten die Forscher anhand von ROC-Kurven. ROC steht für Receiver Operating Characteristic. Mit der Methode, die ursprünglich in der Rundfunktechnik entwickelt wurde, lassen sich die Relevanz und der Vorhersagewert von Laborparametern und anderen Untersuchungsverfahren vergleichen und optimieren.

Hohe HbA1c-Werte deuten auf ein vielfach erhöhtes Diabetesrisiko hin

Die Ergebnisse von Sinha und ihrem Team zeigen, dass 78% der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen mit mindestens 2 weiteren Risikofaktoren für die Zuckerkrankheit innerhalb von 10 Jahren einen Typ-2-Diabetes entwickeln, wenn ihr HbA1c-Wert bei 5,7% oder mehr liegt. Dabei stießen die Forscher auf deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Jungen mit einem HbA1c-Wert von 5,7% oder mehr erkrankten 4-mal so häufig im Laufe der Beobachtungszeit an Typ-2-Diabetes wie Jungen mit Werten von 5,3% oder weniger. Bei Mädchen war das Risiko sogar um das 7-fache erhöht.

Unter den erwachsenen Probanden waren entsprechende Zusammenhänge etwas weniger deutlich zu beobachten. „Die absoluten Werte lassen sich zwar nicht auf Deutschland übertragen“, sagt Müller-Wieland. „Doch der Stellenwert, den der HbA1c-Wert offensichtlich für die Prognose hat, dürfte bei uns ähnlich sein.“

Die Auswertung der ROC-Kurven, die Sinha und ihre Kollegen erstellt haben, zeigt zudem, dass zwischen dem HbA1c-, dem FPG- und dem oGTT-2h-Wert keine signifikanten Unterschiede der Sensitivität und der Spezifizität bestehen, wenn es darum geht, das Diabetesrisiko von Kindern und Jugendlichen zu ermitteln. Lediglich bei erwachsenen Frauen habe der Glukosetoleranztest für die Prognose eine höhere Aussagekraft als die HbA1c-Messung, schreiben die Forscher. Die Gründe hierfür seien unklar.

Für eine exakte Diagnose ist ein zweiter Wert meist unentbehrlich

Hierzulande gelte es allerdings zu beachten, dass die Güte der HbA1c-Messung trotz erfolgter Standardisierung methodenabhängig erheblich variiere, sagt Müller-Wieland. Um einen Typ-2-Diabetes sicher zu diagnostizieren, solle daher gerade bei geringen Abweichungen von den Grenzwerten die Bestimmung wiederholt beziehungsweise ein zweites Kriterium mit herangezogen werden, erläutert der Mediziner. In einem im Oktober erschienenen Update der Praxisempfehlungen der DDG sei das weiter ausgeführt [2]. Für die Prädiktion und den Ausschluss von Diabetes jedoch, so betont Müller-Wieland, belege die vorliegende Studie den potentiell hohen Stellenwert des HbA1c-Wertes.

 

REFERENZEN:

1. Vijayakumar P, et al: Diabetes Care 2016 Nov;dc161358

2. Müller-Wieland D, et al: Diabetologie 2016;11(Suppl 2):1–4

 

Kommentar

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