Münchner Mediziner decken ungewöhnliche Pneumonitis-Ursache bei Flüchtlingen auf

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

24. November 2016

Mehr als 10.000 Menschen sind seit 2014 auf ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrunken, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ zufolge war 2016 „schon jetzt das Jahr mit den meisten Todesfällen im Mittelmeer“. Sie spricht von 4.200 Toten.

Doch die Gefahren der Überfahrt in windigen, überladenen Booten sind nicht die einzigen Risiken: Wissenschaftler um Dr. Christoph D. Spinner vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München berichten jetzt von einer ethisch und medizinisch äußerst fragwürdigen Praxis: Demnach stellen Schleuser die Flüchtlinge während der Überfahrt durch Wasser-Benzin-Gemische zum Trinken ruhig. In Ländern der 3. Welt sind derartige Mischungen vor allem als „Schnüffelstoffe“ weit verbreitet. Sie können zu einer chemisch induzierten Lungenentzündung, einer Hydrocarbonpneumonitis, führen [1].

Pneumonie mit unklarer Ursache

 
Wir berichten über drei asylsuchende Männer, die sich nach der Bootsüberfahrt vorgestellt haben. Dr. Christoph D. Spinner
 

„Wir berichten über drei asylsuchende Männer, die sich 12 bis 16 Wochen nach der Bootsüberfahrt an den drei beteiligten Kliniken vorgestellt haben“, so Spinner gegenüber Medscape. „Sie litten an Tachy- und Dyspnoe, Hypoxämie und mehrheitlich an Fieber.“ Die Patienten waren 16 bis 21 Jahre alt und gaben an, aus Somalia, Äthiopien und Eritrea zu kommen.

Bei der bildgebenden Diagnostik stießen die Ärzte auf eine atypische Pneumonie mit Zeichen einer interstitiellen Entzündung. „Zuerst haben wir angenommen, es könnte sich um bakterielle Erkrankungen handeln“, berichtet der Experte. Trotz der intensiven Suche nach Ursachen wurden die behandelnden Kollegen jedoch nicht fündig. Weder Bakterien noch Viren oder Pilze ließen sich beim molekulargenetischen Screening nachweisen. Dieses Verfahren sei teuer, aber sehr sensitiv, ergänzt Spinner.

„Wir hatten in einem Fall die Möglichkeit, den Patienten sehr detailliert zu befragen.“ Dies sei aufgrund regionaler Dialekte und fehlender Dolmetscher oft schwierig. Der Betroffene berichtete, er habe eine Benzin-Mischung zu trinken erhalten, um ruhiger zu werden. Das Anamnesegespräch brachte Mediziner schließlich auf die richtige Fährte.

 
Für uns liegt die Vermutung nahe, dass die Erkrankung in der Praxis nicht erkannt werden könnte. Dr. Christoph D. Spinner
 

Sind sich Ärzte sicher, dass keine infektiöse Ursache hinter der als Pneumonie imponierenden Pneumonitis steckt, kann man den Einsatz systemischer Kortikosteroide in Erwägung ziehen. Ziel ist, eine mögliche Überreaktion des Immunsystems zu kontrollieren. Außerdem wurden alle Patienten vorübergehend auf der Intensivstation mechanisch beatmet. Ein Patient starb trotz aller Bemühungen an Multiorganversagen.

Unklare Dunkelziffer

Wie viele Fälle einer Hydrocarbonpneumonitis es pro Jahr in Europa gibt, ist unbekannt. „Für uns liegt die Vermutung nahe, dass die Erkrankung in der Praxis nicht erkannt werden könnte“, berichtet Spinner. In leichteren Fällen klingen alle Symptome ohne medizinische Behandlung wieder ab. Mitunter kommt es aber auch zum schweren Verlauf, bei denen der Einsatz von Kortikosteroiden einen therapeutischen Vorteil bringen könnte. Spezifische Behandlungsoptionen gibt es bisher nicht.

„Welche Effekte auf molekularer Basis auftreten, ist ebenfalls nicht vollständig klar“, so Spinner weiter. „Der Körper versucht die aromatischen Kohlenwasserstoffe wie andere Fremdkörper aus der Lunge zu entfernen.“ Hierdurch kann es zu einer schweren interstitiellen Entzündung kommen. Eine Reaktion, die bei anderen, chemisch induzierten Pneumonien ebenfalls bekannt ist.

Einzelfälle auch bei deutschen Patienten

Nicht nur Flüchtlinge sind von einer durch Benzin verursachten Lungenentzündung betroffen. Mehrere Giftinformationszentren berichten von Fällen aus Deutschland. Das Krankheitsbild wird bei Feuerspuckern beobachtet – und teilweise auch bei Kindern in Ferienlagern. Hier kommt es immer wieder zu Unfällen, wenn Kinder versehentlich Benzin trinken. Toxikologen warnen deswegen eindringlich davor, Chemikalien in Lebensmittelbehältnisse abzufüllen. „Hierbei gelangen kleine Mengen Benzin in die Lunge. Der Kohlenwasserstoff verursacht dann eine Entzündung“, so Spinner.

 

REFERENZEN:

1. Spinner, C. et al: The Lancet 2016;388(10058):2350-2351

 

Kommentar

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