Künftig werden Ärzte nicht mehr mit dem Gesetz in Konflikt kommen, wenn sie die Verursacher von Gewalt nicht mehr an die Leistungsträger weitermelden. Vor wenigen Wochen wurde ein entsprechender Gesetzesentwurf vom Bundesrat gebilligt und ans Bundeskabinett weitergeleitet [1].

Prof. em. Dr. Rolf Kreienberg
Bei der ärztlichen Betreuung von Patientinnen und Patienten nach Unfällen und Gewalttaten ist eine solche Meldung bisher grundsätzlich vorgesehen. Diese Regelung nach SGB V (§ 294a) soll es den Krankenkassen ermöglichen, die Kosten der Behandlung weiter zu berechnen und sogar per Strafbefehl von den Verursachern zurückzufordern.
Wenn der Gewalttäter jedoch aus dem sozialen Nahbereich stammt – Eltern, Partner, Pflegende –, kann das Anschreiben der Krankenkasse mit der Rechnung für die medizinische Behandlung des Opfers neue Gewalttätigkeiten provozieren.
„Diese Novelle ist überfällig und sehr begrüßenswert“, betont der Gynäkologe Prof. em. Dr. Rolf Kreienberg, Landshut. „Denn sie gibt Ärztinnen und Ärzten eine größere Sicherheit, wenn sie gewaltbetroffene Frauen in der Ambulanz betreuen. Wenn die Frauen bereits Anzeige erstattet haben und dabei sind, sich von dem Verursacher der Gewalt zu lösen und zu trennen, ist die Meldung an den Kostenträger ja kein Problem“, sagt er.
Jedoch: „Wenn sie aber wieder nach Hause zurück möchte, waren die Ärzte hier immer in dem Dilemma, dass sie sich einerseits zur Sicherheit der Patientinnen zum Schweigen verpflichtet gefühlt haben, andererseits damit aber im Konflikt mit dem Sozialgesetzbuch standen. Wir dürfen wohl davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund dieser kommenden Novelle kein Arzt mehr fürchten muss, Probleme mit einem Leistungsträger zu bekommen, weil er den Verursacher einer Misshandlung in der Dokumentation ausgelassen hat.“
Erste Anpassungen des SGB V bereits 2013
Bereits im Jahr 2013 wurden entsprechende Paragraphen im SGB V nachgebessert. Damals wurde eingefügt, dass bei der ärztlichen Behandlung von Kindern und Jugendlichen nach Misshandlungen und sexuellen Übergriffen der Verursacher nicht mehr zwingend an die Krankenkasse gemeldet werden muss, wenn zu befürchten ist, dass diese Situation eine zusätzliche Gefährdung darstellen könnte.
Vielen Fachleuten ging die Regelung nicht weit genug. So haben der Berufsverband der Frauenärzte und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im Frühjahr 2016 die Bundesministerien für Gesundheit, Familie und Frauen und Justiz und ebenso die Gesundheits- und Familienministerkonferenzen der Länder gebeten, in diesem Paragraphen auch einen Schutz für erwachsene Opfer von familiärer oder Partnergewalt einzufügen.
Der § 294a SGB V soll entsprechend dem Gesetzentwurf nun um folgenden Satz ergänzt werden: „Bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung einer oder eines volljährigen Versicherten sein können, besteht die Mitteilungspflicht nach Satz 1 nur dann, wenn die oder der Versicherte in die Mitteilung ausdrücklich eingewilligt hat.“

Katharina Göpner
Es ist davon auszugehen, dass diese Gesetzesänderung vom Bundestag bestätigt wird und möglicherweise noch vor den Wahlen in Kraft treten kann.
Gewalt in Institutionen – weiter meldepflichtig?
Umstritten ist noch die Frage, ob die Meldepflicht erhalten bleiben soll, wenn die Gewalt innerhalb von Institutionen ausgeübt wird, also durch Pflege- und Betreuungspersonal im Krankenhaus, Pflegeheim oder in Betreuungseinrichtungen für Behinderte.
Mehrere Behindertenverbände und auch der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V. (bff) haben sich dagegen ausgesprochen: „Gewalt ist für viele Frauen mit Behinderungen alltäglicher, unhinterfragter Teil ihres Lebens. Die Scham, sich mitzuteilen und die Angst vor möglichen Folgen sind groß. Das sollten gewaltbereite Personen in Betreuungs-Funktionen nicht ausnutzen dürfen“, so Katharina Göpner, Referentin des bff Berlin.
Trotzdem plädiert sie dafür, dass Ärztinnen und Ärzte auch hier individuell entscheiden können, ob es im Interesse der einzelnen ist, den Verursacher von Gewalt an den Leistungsträger zu melden. Die Institution und der Träger selbst jedenfalls sollte von den Übergriffen erfahren und alles dafür tun, sie in Zukunft zu unterbinden.
REFERENZEN:
1. Bundesratsdrucksache 490/16, S. 16, 2. September 2016
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Diesen Artikel so zitieren: Gewalt in Familie und Partnerschaft: Täter dürfen von Ärzten künftig verschwiegen werden, doch ist das richtig? - Medscape - 23. Nov 2016.
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