Rauben Smartphones und Tablets Kindern den Schlaf – schon durch ihre bloße Anwesenheit?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

18. November 2016

Kinder und Jugendliche, die abends vor dem Einschlafen noch Mobilgeräte wie Smartphones oder Tablets nutzen, schlafen weniger und schlechter und sind tagsüber häufiger müde als ihre Altersgenossen, die zur Bettgeh-Zeit keinen Zugang zu Mobilgeräten mehr haben. Dies bestätigt eine Metaanalyse von 20 Studien mit insgesamt 126.000 Heranwachsenden [1].

Interessanterweise mussten die Geräte dabei gar nicht wirklich aktiv genutzt werden. „Schon das bloße Vorhandensein von Handy oder Tablet im Kinderzimmer war mit einem erhöhten Risiko für abträgliche Schlaf-Outcomes assoziiert“, berichten die Autoren der Analyse um Dr. Ben Carter vom Institute of Psychiatry, Psychology and Neuroscience am King’s College in London.

Das Handy ist oft unwiderstehlich

Prof. Dr. Angelika Schlarb

Im Gespräch mit Medscape erklärt Prof. Dr. Angelika Schlarb, Sprecherin der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): „Handys haben, auch wenn sie nur auf dem Nachttisch neben dem Bett liegen, einen sehr hohen Aufforderungscharakter. Da muss nur der Signalton für eine Whatsapp-Nachricht ertönen, schon greift das Kind danach – auch wenn es das Mobiltelefon eigentlich gar nicht mehr nutzen wollte.“

Schlarb, die an der Universität Bielefeld die Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und das Schlaflabor leitet, warnt aber davor, allzu schnell eine kausale Verbindung zwischen der Nutzung der Mobilgeräte und dem schlechteren Schlaf herzustellen. „Die Studien zeigen nicht, dass die Kinder schlechter schlafen, weil sie die Mobilgeräte nutzen, sondern nur, dass dies miteinander auftritt. Es kann auch sein, dass Kinder, die Schlafprobleme haben, deshalb abends noch zum Tablet greifen, um sich zu beschäftigen.“

Die Metaanalyse von Carter und seinen Kollegen bestätigt, was die in ihr enthaltenen Studien bereits aufzeigten: Die Nutzung von Mobilgeräten um die Schlafenszeit ist bei Kindern und Jugendlichen mit Verschlechterungen von Schlafquantität, Schlafqualität und Tagesschläfrigkeit assoziiert. Die Analyse arbeitet aber auch heraus, welches Ausmaß diese Verschlechterungen haben.

 
Handys haben, auch wenn sie nur auf dem Nachttisch neben dem Bett liegen, einen sehr hohen Aufforderungscharakter. Prof. Dr. Angelika Schlarb
 

In der Gruppe der Kinder, die sich vor dem Einschlafen noch mit dem Smartphone oder Tablet beschäftigten, war bei 45,4% die Schlafquantität inadäquat. In der Gruppe, die abends keinen Zugang mehr zu Mobilgeräten hatte, war dies nur bei 31,5% der Fall. Auch in der Gruppe der Kinder, die abends zwar Zugang zu Mobilgeräten hatten, diese aber nicht nutzten, war die Schlafquantität bei einem signifikant höheren Anteil von 41% inadäquat.

Schlafdauer von Kindern und Jugendlichen sehr individuell

Diese hohen Prozentwerte seien, so Schlarb, allerdings auch der Definition von „inadäquater Schlafquantität“ geschuldet. Als inadäquat galten weniger als 10 Stunden Schlaf bei Kindern und weniger als 9 Stunden bei Jugendlichen. „Die Autoren fassen hier sehr große Altersspannen zusammen. Aus anderen Untersuchungen wissen wir, dass 17- oder 18-Jährige im Mittel nur noch 7,5 Stunden schlafen, die 9 Stunden stimmen vielleicht für 13-Jährige“, erklärt die Psychologin.

Hinzu komme, dass es bei Kindern- und Jugendlichen ebenso wie bei Erwachsenen Kurz- und Langschläfer gebe. „Interessanter als die Messung der absoluten Schlafdauer wäre zu fragen, ob die Kinder und Jugendlichen am Morgen ausgeschlafen waren.“

Neben der Schlafdauer untersuchten die Studien auch die Qualität des Schlafes, hier zählten Probleme beim Einschlafen und Durchschlafen, aber auch Schlaf, der nicht erholsam war. Eine schlechte Schlafqualität wiesen in der Gruppe mit Nutzung mobiler Geräte 52,1% der Kinder und Jugendlichen auf. In der Gruppe ohne Zugang zu Mobilgeräten waren es 34,4%. Der bloße Zugang zu Mobilgeräten war mit einer Prävalenz schlechter Schlafqualität von 44% assoziiert.

Wer abends noch am Handy daddelt, ist am nächsten Tag müde

Wer nachts wenig und/oder schlecht schläft, ist am nächsten Tag müde. Als letzten Endpunkt überprüften die Autoren deshalb die Tagesschläfrigkeit auf einen Zusammenhang mit der Mobilgeräte-Nutzung. Tatsächlich fand sich auch hier eine signifikante Assoziation: Mit Mobilgeräte-Nutzung betrug die Prävalenz von Tagessschläfrigkeit 21,1%, mit Zugang zu Mobilgeräten 13,2% und ohne Zugang zu Mobilgeräten 6,7%.

 
Es kann auch sein, dass Kinder, die Schlafprobleme haben, deshalb abends noch zum Tablet greifen, um sich zu beschäftigen. Prof. Dr. Angelika Schlarb
 

Angesichts des assoziativen Charakters ihrer Daten räumen Carter und seine Koautoren ein, dass es nicht möglich sei, Ursache und Wirkung genau festzustellen. Dennoch schlussfolgern sie, dass „Lehrer, Ärzte, Eltern und Kinder über den schädlichen Einfluss der Nutzung von Mobilgeräten auf den Schlaf aufgeklärt werden müssen.“

Tatsächlich sprechen einige Studien für die „Schuld“ von Handy und Co.: Sie machen die blauen Wellenlängen des Bildschirmlichts für nächtliche Schlafstörungen verantwortlich, da sie die Melatoninkonzentration reduzieren.

Technologische Hilfsmittel

Ob die von Carter und seinen Kollegen geforderte Aufklärung ausreicht, ist freilich fraglich. Studien zufolge haben mittlerweile 72% der Kinder und 89% der Jugendlichen Zugang zu mindestens einem mobilen Gerät in ihrer Schlafumgebung. Vielen Müttern und Vätern dürfte es schwer fallen, ihren Nachwuchs – insbesondere den pubertierenden – allabendlich von Smartphone und Tablet fernzuhalten.

Aber auch für zu viel mobile Technologie hat die mobile Technologie eine Lösung. Dr. Charles A. Czeisler, Schlafmediziner am Brigham and Women’s Hospital in Boston, verweist im Editorial zur Metaanalyse auf Apps, die es Eltern erlauben, den Internetzugang auf bestimmte Stunden des Tages zu begrenzen oder eine maximale tägliche Dauer für die Mediennutzung festzulegen [2].

 
Lehrer, Ärzte, Eltern und Kinder müssen über den schädlichen Einfluss der Nutzung von Mobilgeräten auf den Schlaf aufgeklärt werden. Dr. Ben Carter und Kollegen
 

Buch statt Handy?

Auch Schlarb plädiert dafür, die mobile Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen zu begrenzen und Handy und Tablet gegebenenfalls abends einzusammeln, insbesondere wenn bereits Schlafprobleme vorliegen. „Wenn Eltern ein Kind haben, das schlecht schläft, lohnt es sich auszuprobieren, ob die Schlafprobleme sich bessern, wenn das Handy oder Tablet abends weggelassen wird. Oft hilft es, stattdessen noch einige Seiten in einem Buch zu lesen.“

Doch sie rät auch, nicht nur zu schauen, ob Mobilgeräte genutzt werden, sondern auch welche Inhalte damit konsumiert werden. „Wenn Kinder vor dem Einschlafen das Sandmännchen auf dem Tablet anschauen, ist dies sicherlich weniger gefährdend, als wenn sie einen Film anschauen, der eigentlich für das 6 Jahre ältere Geschwisterkind gedacht war.“

 

REFERENZEN:

1. Carter B, et al: JAMA Pediatrics (online) 31. Oktober 2016

2. Czeisler CA, et al: JAMA Pediatrics (online) 31. Oktober 2016

 

Kommentar

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