New Orleans – Die Therapie mit einem PCSK9-Hemmer – zusätzlich zum Statin – lässt bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) arteriosklerotische Plaques schrumpfen – und dies bei bislang unerreicht niedrigen LDL-Cholesterinwerten. Dies ist die Quintessenz der bei den Scientific Sessions 2016 der American Heart Association vorgestellten GLAGOV-Studie (Global Assessment of Plaque Regression With a PCSK9 Antibody as Measured by Intravascular Ultrasound) [1].

Prof. Dr. Steven E. Nissen
In der Studie reduzierte der Proprotein-Convertase-Subtilisin-Kexin-Typ-9(PCSK9)-Hemmer Evolocumab (Repatha®, Amgen) bei Statin-behandelten KHK-Patienten das per intravaskulärem Ultraschall (IVUS) gemessene prozentuale Atheromvolumen (PAV) sowie den LDL-Cholesterinspiegel stärker als eine alleinige Statintherapie und führte bei mehr Patienten zu einer Plaque-Regression. Dies wurde bei Patienten erreicht, deren LDL-Cholesterinspiegel schon zu Studienbeginn sehr niedrig waren, betonte Prof. Dr. Steven E. Nissen, Cleveland Clinic, Ohio, USA, der die Studie in New Orleans vorstellte. Sie wurde parallel online in JAMA von Prof. Dr. Stephen Nicholls, South Australian Health and Medical Research Institute, University of Adelaide, als Erstautor publiziert [2].

Prof. Dr. Raul D. Santos
„In den letzten vier Jahrzehnten haben sich die Hinweise verdichtet, dass die optimalen LDL-Cholesterinspiegel für Koronarpatienten noch viel niedriger sein können als mit der üblichen Therapie erreichbar. Die GLAGOV-Studie liefert nun den interessanten Nachweis, dass ein klinischer Nutzen noch bei LDL-Cholesterinspiegeln um die 20 mg/dl zu erreichen ist“, so Nissen.
Diskutant Prof. Dr. Raul D. Santos, Hospital Israelita Albert Einstein Sao Paulo, Brasilien, bezeichnete GLAGOV als gut geplante Studie mit gut getesteter und anerkannter Methodik, adäquater statistischer Power und Dauer. Die Patienten hätten bereits sehr niedrige LDL-Ausgangswert gehabt und einen LDL-Cholesterinwert erreicht, wie er bislang noch in keiner IVUS-Studie gesehen wurde.
Santos betonte, dass die Ergebnisse mit Evolocumab „on top“ zu einer Statintherapie erreicht wurden. Aber dennoch schritt die Atherosklerose bei 35% der Patienten fort. Dies weise darauf hin, „dass wir früher therapieren müssen, länger therapieren müssen oder dass wir andere Risikofaktoren behandeln müssen“, so der brasilianische Kardiologe. Die Daten von GLAGOV wiesen jedoch darauf hin, dass „eine neue Ära des Lipidmanagements beginne.“
IVUS-Studie bei symptomatischen Koronarpatienten
Frühere IVUS-Studien hatten gezeigt, dass Statine die Progression der Koronarerkrankung verlangsamen oder auch eine Regression induzieren können – dies in Abhängigkeit vom Ausmaß der LDL-Cholesterinsenkung. „Bislang haben wir nur Daten zur Regression von Statinen, keine andere Therapie hat einen solchen Nutzen gezeigt“, erläuterte Nissen. In bisher durchgeführten Studien wurden LDL-Cholesterinspiegel von etwa 60 mg/dl erreicht, was bei noch niedrigen Spiegeln passiert, war nicht bekannt. PCSK9-Hemmer wie Evolocumab senken LDL-Cholesterinspiegel bei zusätzlicher Gabe zu Statinen aber weiter, so dass sehr niedrige Werte erreicht werden können.
In der GLAGOV-Studie sollte nun zum einen untersucht werden, ob damit eine Regression atherosklerotischer Plaques erreicht werden kann und zum anderen sollte der Frage nachgegangen werden, ob bei sehr niedrigen Cholesterinspiegeln ein weiterer Nutzen zu beobachten ist.
In 197 Zentren weltweit wurden 968 Patienten mit symptomatischer koronarer Herzkrankheit und anderen Risikofaktoren aufgenommen. Das Zielgefäß zeigte in der Koronarangiographie eine Stenose von 20 bis 50%. Die Patienten wurden über 4 Wochen mit einem Statin so eingestellt, dass ein LDL-Cholesterinspiegel unter 80 mg/dl erreicht wurde, bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren zwischen 60 und 80 mg/dl. Nach einer IVUS-Untersuchung wurden sie randomisiert über 18 Monate mit Statin oder mit Statin plus einmal monatlicher Gabe von Evolocumab 420 mg s.c. behandelt. In beiden Gruppen durchliefen jeweils 423 Patienten die gesamte Studiendauer und wurden erneut mit IVUS untersucht.
Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren ähnlich, das Durchschnittsalter lag bei knapp 60 Jahren, 72% waren Männern, der Ausgangs-LDL-Cholesterinspiegel lag bei 92,5 mg/dl. Fast 60% erhielten eine hochintensive und etwa 40% eine mäßiger intensive Statintherapie. Während der Therapie wies die Statingruppe im Mittel einen LDL-Cholesterinwert von 93 mg/dl auf, während er in der Kombinationsgruppe im Mittel 36,6 mg/dl betrug. „Das ist eine Senkung um etwa 60%“, betonte Nissen.
Der primäre Endpunkt der Studie wurde erreicht: Das PAV änderte sich in der Statingruppe nicht, in der Kombinationsgruppe war eine hoch signifikante Abnahme von 0,95% (p < 0,0001) zu sehen. Ähnlich war das Ergebnis beim sekundären Endpunkt, dem totalen Atheromvolumen (TAV), das unter Statin um 0,9 mm³ und unter der Kombination hochsignifikant um 5,8 mm³ im Vergleich zum Ausgangswert abnahm (p < 0,0001). Anders ausgedrückt: 47,3% der Patienten zeigten mit dem Statin allein eine Regression, während es unter der Kombination 64,3% waren (p < 0,0001). „Es kam nicht bei jedem Patient unter der Kombination zu einer Regression, aber immerhin bei zwei Dritteln“, erläuterte Nissen.
Was passiert bei superniedrigen LDL-Cholesterinspiegeln?
Um die Frage nach dem Effekt besonders stark erniedrigter LDL-Cholesterinspiegel weiter zu klären, wurde in einer exploratischen Analyse die Subgruppe der Patienten (n = 144) betrachtet, deren Ausgangs-LDL-Cholesterinspiegel unter 70 mg/dl lag. Dieser blieb bei Statintherapie bei einem durchschnittlichen Wert von 70,6 mg/dl und sank bei Zugabe von Evolocumab auf 24 mg/dl, was einer Senkung von 58,3% vom Ausgangswert entsprach. „In dieser Gruppe erreichte man doppelt so viel Regression wie bei höheren Ausgangswerten.“
Mit dem superniedrigen LDL-Cholesterinspiegel sank das PAV um 1,97% und die Zahl der Patienten mit Regression verdoppelte sich von 48% unter Statin-Monotherapie auf 81,2% unter der Kombinationsbehandlung. „Wir haben bisher noch nie eine Regression in dieser Größenordnung in einer Studie gesehen“ erläuterte Nissen.
Mit einer speziellen Regressionsanalyse (LOESS) wurde gezeigt, dass die Regression kontinuierlich mit abnehmendem LDL-Cholesterinspiegel zunimmt, bei sehr niedrigen LDL-Werten verändert sich der Effekt also nicht. „Wir denken, dass dies ein Hinweis darauf ist, dass es auch einen Nutzen bei sehr niedrigen LDL-Cholesterinspiegeln gibt.“
Nissen gab aber zu bedenken, dass „IVUS zwar ein nützliches Instrument zur Messung der Krankheitsaktivität ist, aber die genaue Bestimmung von Nutzen und Risiken der Therapie erfordert große Outcome-Studien“. Diese werden derzeit durchgeführt, erste Ergebnisse der Outcome-Studie FOURIER mit Evolocumab werden 2017 erwartet.
REFERENZEN:
1. Scientific Session 2016 der American Heart Association, 12. bis 16. November 2016, New Orleans/USA
2. Nicholls SJ, et al: JAMA (online) 15. November 2016
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Diesen Artikel so zitieren: Bei 70 ist noch lange nicht Schluss: IVUS-Studie mit Evolocumab zeigt verstärkte Plaque-Regression bei LDL unter 30 mg/dl - Medscape - 17. Nov 2016.
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