Mannheim – Zahlreiche Erfolge, aber auch einige Enttäuschungen haben neurologische Studien in den vergangenen 12 Monaten gebracht. Dies war einem Vortrag zu entnehmen, den der langjährige Leiter der Neurologischen Universitätsklinik in Essen, Prof. Dr. Hans-Christoph Diener mit der Unterstützung vieler Kollegen auf dem 89. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie gehalten hat (siehe auch Teil 1). Diener, der mittlerweile eine Seniorprofessur für Klinische Neurowissenschaften übernommen hat, berichtete Neues unter anderem zur Migräne, zum Morbus Parkinson und dem Glioblastom – und er würzte seine Präsentation auch mit gelegentlichen Seitenhieben auf zweifelhafte Studien und die Vertreter anderer Fachdisziplinen.

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
DGN/privat
Migräne ein Risiko fürs Herz
Eine der Vorlagen dafür lieferte eine Studie die 2.714 Migränepatienten bezüglich der Vorboten ihrer Attacken untersucht haben. Sie stellten dabei Gähnen und Stimmungsschwankungen bei einem Drittel aller Fälle fest, gefolgt von Lethargie, Nackenschmerzen und Lichtempfindlichkeit bei jeweils über 30%. „Das die Patienten vor der Migräne oft Nackenschmerzen haben, heißt, dass Orthopäden einer der schlimmsten Risikofaktoren sind“, scherzte Diener mit Blick auf unnötige oder fehlgeschlagene Einrenkungsmanöver, die Migräneattacken erst provozieren könnten.
Mindestens ebenso reale Risikofaktoren scheinen übermäßiger TV-Konsum und Videospiele zu sein. Eine Querschnittsstudie mit 4.927 Jugendlichen fand eine lineare Beziehung zwischen der Zeit vor dem Bildschirm und dem Risiko für Kopfschmerzen sowie Migräne mit und ohne Aura. Bei der Einteilung in 4 Gruppen hatten diejenigen mit der längsten Bildschirmzeit im Vergleich zur Gruppe mit dem geringsten Konsum ein relatives Risiko von 1,21 (Kopfschmerz), 1,23 bzw. 1,50 (Migräne mit und ohne Aura).
Eine weitere Untersuchung fragte nach der Assoziation von Migräne und kardiovaskulärem Risiko. Zumindest bei Frauen ist die Antwort eindeutig: Unter den mehr als 11.5000 Krankenschwestern in der Nurses Health Study erlitten Migränikerinnen überproportional häufig ein größeres Ereignis (Relatives Risiko: 1,50), einen Herzinfarkt (RR: 1,39) oder Schlaganfall (RR: 1,62) und auch die kardiovaskuläre Mortalität war signifikant erhöht (RR: 1,37).
Bezüglich des Risikos stiller Hirninfarkte unter einer Migräne mit Aura konnte dagegen eine Studie Entwarnung geben. Forscher fanden in einem dänischen Register 172 Zwillinge mit der Krankheit und verglichen diese mit 39 ihrer Geschwister sowie 139 nicht verwandten Zwillingen ohne Migräne. In der Magnetresonanztomographie gab es dabei zwischen den 3 Gruppen keine Unterschiede in der Häufigkeit stiller Hirninfarkte und auch nicht bezüglich Hyperintensivitäten der Weißen Substanz. „Migräne bedeutet kein höheres Risiko für Verblödung“, fasste Diener, der selbst unter Migräne leidet, erleichtert zusammen.
Eine US-amerikanische Studie zur Adhärenz in der Migräne-Therapie fand bei nahezu 9.000 Patienten nach 6 Monaten eine Rate von lediglich 26 bis 29%. „Das ist natürlich Horror, bestätigt aber auch eigene Erfahrungen“, so Diener. Völlig offen ist, ob die Weiterentwicklung von Wirkstoffen gegen das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) diese Raten wird verbessern können. Nachdem Rezeptorantagonisten gegen CGRP wegen Leberschäden nicht weiter verfolgt werden, sind nun mindestens 5 Antikörper gegen CGRP oder dessen Rezeptor in klinischen Studien der Phasen 2. „Alle Studien waren positiv und es gab nur sehr wenige Nebenwirkungen“, berichtete Diener.
Alpha-Synuclein zur Parkinson-Frühdiagnose
Beim Morbus Parkinson bestätigen Daten aus einem bevölkerungsbezogenen Register beim Abgleich mit Biopsien aus dem Gastrointestinaltrakt die Präsenz einer pathologischen Variante des Proteins Alpha-Synuclein bis zu 20 Jahre vor der Diagnose bei etwa der Hälfte aller späteren Patienten. Eine weitere Untersuchung wies das Protein in der Unterkieferspeicheldrüse bei 8 von 9 Patienten mit idiopathischen REM-Schlafstörungen nach, außerdem bei 8 von 12 Parkinsonpatienten, aber bei keiner der 26 Kontrollen. Da Patienten mit ideopathischen REM-Schlafstörungen sehr häufig einen Morbus Parkinson entwickeln, spricht auch diese Studie für einen möglichen Stellenwert des Alpha-Synukleins bei der Frühdiagnose.
Erwähnenswert schienen Diener auch 2 Medikamentenstudien zu Parkinson. So erwies sich der neue COMT-Hemmer Opicapone als wirksam zur Reduktion von End-of-Dose-Fluktuationen und vermochte die L-Dopa-Einnahme zu verringern. Und in einer Phase-2-Studie mit 130 Patienten konnte das Gangbild verbessert und das Sturzrisiko durch die Gabe von Rivastigmin deutlich verringert werden.
Neues zur Glioblastom-Therapie
Lob gab es in der Neuro-Onkologie für eine Arbeit, bei der 251 Patienten unter 40 Jahren über eine mediane Beobachtungszeit von 12 Jahren dahingehend untersucht wurden, ob eine kombinierte Chemotherapie zusätzlich zur Strahlentherapie Vorteile bietet. „Endlich kümmert sich mal jemand um die niedriggradigen Gliome“, so Diener. Mit median 13,3 gegenüber 7,8 Jahren Überlebenszeit war das Ergebnis eindeutig zugunsten der zusätzlichen Chemotherapie ausgefallen.
Auch für ältere und/oder gebrechliche Glioblastompatienten gab es eine gute Nachricht: Hier hat die Internationale Atomenergiebehörde in einer Phase-3-Studie gezeigt, dass eine Bestrahlung von 25 Gy, die in einer Woche in 5 Fraktionen verabreicht wurde, keine schlechteren Ergebnisse brachte als die üblichen 40 Gy in 15 Fraktionen über 3 Wochen. „Die schnellere Bestrahlung reicht demnach aus“, so Diener.
Als „abenteuerliches Verfahren“ betitelte der Neurologe die sogenannten Tumor-treating fields (TTF), bei denen Glioblastompatienten mithilfe einer speziellen Kappe Wechselstrom auf der Kopfhaut appliziert wird. Im Vergleich zur alleinigen Gabe von Temozolomid hätten Patienten, die zusätzlich TTF erhielten, median 20,5 statt 15,6 Monate überlebt, so das Ergebnis eine Interimsanalyse mit 315 Patienten. „Es ist eine große Studie, und sie ist positiv verlaufen“, musste Diener anerkennen. Allerdings sei das Verfahren extrem teuer angesichts eines eher kleinen Benefits. „Das Bett unter eine Hochspannungsleitung zu stellen, wirkt vielleicht auch“, fügte der Forscher hinzu.
REFERENZEN:
1. 89. Kongress der deutschen Gesellschaft für Neurologie, Mannheim, 21. bis24. September 2016
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Diesen Artikel so zitieren: Die Studien-Highlights vom Neurologenkongress – Teil 2: Herzrisiko Migräne, Parkinson-Frühdiagnose und Glioblastom - Medscape - 15. Nov 2016.
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