Millionen von Euro nicht abgerufen – Hausärzte kritisieren Fördergeld-Vergabe für Nichtärztliche Praxisassistentinnen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

9. November 2016

Die schleppende Förderung der Nichtärztlichen Praxisassistentinnen (NäPa) in den Praxen seiner Mitglieder ist für den Chef der Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, längst ein rotes Tuch. Jüngst machte er seinem Zorn in einem offenen Brief an die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und an den GKV-Spitzenverband Luft [1].

Weigelt kritisiert in dem Brief die zahlreichen Bedingungen, die ein Hausarzt erfüllen muss, um eine Förderung seiner NäPa zu erhalten. Vor allem sieht er das größte Projekt des Verbands diskreditiert: die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV). Inzwischen beraten der GKV-Spitzenverband und die KBV über abgespeckte Bedingungen.

Schon 2014 hatten sich Gesetzliche Krankenkassen und die KBV darauf geeinigt, jährlich 118 Millionen Euro bereitzustellen, um den Hausärzten bei den NäPa unter die Arme zu greifen. Es wurden aber 2015 nur 44 Millionen Euro abgerufen – das sind 37% der Fördersumme, wie die KBV an die Mitglieds-KVen schreibt. Das Schreiben liegt Medscape vor. Im 1. Quartal 2016 waren es gerade mal 16 Millionen Euro.

Förderungsverfahren den Hausärzten zu kompliziert und ungerecht

 
Wir fordern die Akteure der Selbstverwaltung erneut auf, ihren Fehler zu korrigieren und die entsprechenden Gelder als Zuschlag auf die Chronikerpauschale endlich auszuzahlen. Ulrich Weigeldt
 

Weigeldt kritisiert in seinem Brief „unter anderem Vorgaben zur Mindestanzahl von Patienten bzw. von Patienten, die älter als 75 Jahre sind, die strukturelle Diskriminierung von Hausärztinnen und Hausärzten, die an Selektivverträgen teilnehmen, die Tatsache, dass sich die Vereinbarung ausschließlich auf NäPa bezieht, und dies „obwohl das VERAH®-Modell mit inzwischen über 9.000 zertifizierten Abschlüssen viel verbreiteter ist”. VERAH®, die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis, ist die NäPa-Variante des Hausärzteverbandes. Solche Vorgaben hätten in einer freien Arztpraxis jedenfalls „nichts verloren”, meint Weigeldt.

Vor allem bringt den Funktionär auf, dass die maximal 584 Patienten, für die der Arzt eine NäPa-Förderung erhalten kann, mit den Patienten verrechnet werden müssen, die er im Rahmen der HzV versorgt. Behandelt der Arzt also insgesamt zum Beispiel 900 Patienten und davon 500 im Rahmen der HzV, so muss er letztere von den 584 abziehen. Es bleiben ihm dann also nur 84 Patienten, für die er eine NäPa-Förderung erhalten kann.

Dabei bräuchte er die NäPa doch für die restlichen 400 seiner Patienten, die er im Kollektivvertrag versorgt, argumentiert der Hausärzteverband. „Ärzte, die an der HzV teilnehmen, werden durch diese Regelung systematisch diskriminiert”, kritisiert Vincent Jörres, Sprecher des Deutschen Hausärzteverbandes. Kurz: Der Verband wertet die Förderkriterien auch als Angriff auf die HzV.

Nach Auffassung des Verbandes soll sich die Selbstverwaltung indessen mehr nach den stets individuell aufgestellten Praxen richten. „Die KBV kann nicht einfach wahllos Kriterien aufstellen, die mit der Realität in den Praxen oft überhaupt nichts zu tun haben”, sagt Jörres. „Im Zweifel müssten dann viel mehr Kriterien in die Förderungsbedingungen einfließen.”

Weigeldt erneuerte seine Forderung, das NäPa-Geld schlicht als Zuschlag auf die Chronikerpauschale zahlen, so komme sie allen Hausärzten umstandslos zu Gute. „Wir fordern die Akteure der Selbstverwaltung erneut auf, ihren Fehler zu korrigieren und die entsprechenden Gelder als Zuschlag auf die Chronikerpauschale endlich auszuzahlen”, heißt es in dem Brief.

 
Als Verband lehnen wir alle Regelungen ab, die nur den bürokratischen Aufwand weiter erhöhen, aber nicht dazu beitragen, dass die Gelder für die Versorgung der chronisch kranken Patienten vernünftig verteilt werden. Vincent Jörres
 

Unterdessen feilt der Bewertungsausschuss an den Förderbedingungen, um „die NäPa-Regelungen zum 1. Januar 2017 so anzupassen, dass das Vergütungsvolumen besser ausgeschöpft werden kann”, wie es in dem KBV-Schreiben heißt. Aber wie hoch wird das  Vergütungsvolumen im Jahr 2017 voraussichtlich sein? Der GKV-Spitzenverband schätzt 33 Millionen, die KBV 64 Millionen Euro. So brauchen die neuen Regeln nach Ansicht der Kassenseite nicht so weit zu gehen wie nach Ansicht der KBV.

Einfachere Kriterien sollen es richten

Die KBV schlägt vor, weitere Anreize zu erstellen, um die NäPa zu fördern. Denn zwar versorgen fast 65% aller Praxen die Mindestanzahl an Patienten über 75 und erfüllen damit die Förderkriterien (rund 23.300 Praxen). Aber nur ein Fünftel davon rechnet die NäPa-Leistungen auch ab. Deshalb „sollen die Bewertung der Leistungen und die Regelungen zur Vergütung angepasst werden”, wie es heißt – zum Beispiel die umstrittene Verrechnung der in der HzV versorgten alten Patienten.

Außerdem soll die Mindestfallzahl bei den bisher 35% nicht geförderten Praxen gesenkt werden. So sollen auch kleinere Praxen eine Chance auf das NäPa-Geld bekommen. Drittens sollen „konkrete Leistungen in den EBM aufgenommen werden, die an die NäPa delegiert werden können”. Das bringt weiteres Geld. Und viertens soll das Patientenkriterium „mindestens eine schwere Krankheit und älter als 65” oder „mindestens eine Krankheit mit ständigem Versorgungsbedarf und älter als 65” auf je „älter als 55 Jahre” abgesenkt werden.

Der GKV-Spitzenverband wäre einverstanden, wenn die in der HzV versorgten alten Patienten nicht mehr in die Fallzahlrechnung für die Förderung der NäPa eingingen. Damit wäre eine wesentliche Forderung des Hausärzteverbandes erfüllt.

Außerdem wäre die Kassenseite offenbar auch mit zusätzlichen Leistungen im EBM für die NäPa einverstanden (als Zuschlag auf die Besuchsziffern 03062 und 03063). Allerdings fürchtet sie offenbar eine unkontrollierbare Mengenentwicklung und fordert hier deshalb eine „zeitlich befristete Förderung” und die „Vereinbarung einer Abwertung des Zuschlags in 2018“ – sollten die Hausärzte die Zuschläge massenhaft abrechnen. Wie gesagt – die neuen Regelungen sollen nach Ansicht der Kassenseite nicht zu weit gehen.

Der Hausärzteverband indessen pocht weiter auf seinen Vorschlag, die NäPa-Förderung auf die Chronikerpauschale aufzuschlagen. Verbandsprecher Jörres: „Als Verband lehnen wir alle Regelungen ab, die nur den bürokratischen Aufwand weiter erhöhen, aber nicht dazu beitragen, dass die Gelder für die Versorgung der chronisch kranken Patienten vernünftig verteilt werden.“

 

REFERENZEN:

1. Deutscher Hausärzteverband: Offener Brief an die Vorstände der KVen, der KBV sowie des GKV-Spitzenverbandes, 2. November 2016

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....