Harnblasenkarzinom: Erste nationale S3-Leitlinie nimmt Screening mit Schnelltests aufs Korn – und setzt Therapiestandards

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

7. November 2016

Leipzig – Die auf dem DGU 2016 vorgestellte, nationale S3-Leitlinie zu Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms erteilt Blut- und Urintests zur Früherkennung und zum Screening eine klare Absage. Nur der Test auf Mikrohämaturie mit einem einfachen Urinstix wird als angemessen bewertet. Die Leitlinie setzt zudem Standards in der First- und Second Line-Therapie von nicht-muskelinvasivem und muskelinvasivem Harnblasenkrebs.

„Hinter uns liegt ein langer Weg, vier Jahre von der Antragstellung bis zur fertigen Leitlinie“, sagte Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend, Direktor der urologischen Klinik und Poliklinik der Technischen Universität München. Er ist gemeinsam mit Prof. Dr. Margitta Retz von der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) Leitlinien-Koordinator der S3-LL [1].

Wie Philipp Maisch, Assistenzarzt in der Urologie an der TU München berichtet, waren an der Erstellung der Leitlinie 31 Fachgesellschaften beteiligt. 8 Arbeitsgruppen für die 8 Themenbereiche der Leitlinie beantworteten 65 Schlüsselfragen, sichteten und werteten 17.000 Publikationen, darunter 4.600 Abstracts, aus. Die entsprechende Patientenleitlinie wird laut Maisch 2017 erscheinen. „Unsere neue S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom wird die Versorgungswirklichkeit positiv und entscheidend beeinflussen“, ist Gschwend sicher.

Blasenkarzinome treten bei Männern häufiger auf als bei Frauen

Die Inzidenz für ein Harnblasenkarzinom ist ab dem 25. Lebensjahr bei Männern höher als bei Frauen. Sie nimmt mit zunehmendem Lebensalter bei Männern und Frauen kontinuierlich zu – bei Männern stärker als bei Frauen, erklärte Prof. Dr. Christian Schwentner, Chefarzt der Urologie am Diakonie Klinikum Stuttgart. Für 2016 werden bei Männern 11.900 Neuerkrankungen prognostiziert, für Frauen 4.500. Hinzu kommen noch In-situ-Tumoren und Neubildungen unsicheren oder unbekannten Verhaltens, so dass mit einer Gesamtzahl von 28.000 Neuerkrankungen gerechnet wird.

 
Unsere neue S3-Leitlinie Harnblasenkarzinom wird die Versorgungswirklichkeit positiv und entscheidend beeinflussen. Prof. Dr. Jürgen E. Gschwend
 

Junge Patienten,  die nur sehr selten erkranken, haben eine bessere Prognose als ältere. Risikofaktor für ein Harnblasenkarzinom ist sie Exposition mit bestimmten aromatischen Aminen wie Cylophosphamid, Chlornaphazin, Phenazin und Aristolochiasäure. Die Latenzzeiten für beruflich bedingte Harnblasentumore sind lang – bei den im Zeitraum 1978 bis 2000 durch die Berufsgenossenschaften anerkannten Fällen betrugen sie im Mittel 37,9 Jahre. Die Leitlinie empfiehlt, bei Patienten mit Harnblasenkarzinom eine Berufsanamnese zu erheben.

Risikofaktoren Chemotherapie und Zigarettenrauch

Ein weiterer Risikofaktor ist eine Chemotherapie: Bei einer Cyclophosphamid-Gesamtdosis von weniger als 20 g ist das Risiko 2,4-fach erhöht, bei mehr als 50 g um das 14,5-Fache. Auch das Rauchen erhöht das Risiko – und zwar dosisabhängig. Weitere Risikofaktoren sind chronische Entzündungen der Harnblase und eine Strahlentherapie im kleinen Becken.

Fast alle diagnostischen Marker zum Screening auf ein Harnblasenkarzinom in der Gesamtbevölkerung oder in Risikopopulationen stuft die Leitlinie als wertlos ein. „Hinsichtlich des vieldiskutierten Screenings zur Früherkennung erteilt die S3-Leitlinie eine klare Absage an die am Markt befindlichen Schnelltests“, stellte Retz klar. Kommerziell verfügbare Blut-und Urintests zum Screening und zur Früherkennung sollte nicht außerhalb von Studien eingesetzt werden. Einzige Ausnahme ist der Test auf eine Mikrohämaturie mit einem einfachen Urinstix. Alle anderen Tests seien zu wenig spezifisch oder sensitiv oder zu teuer als allgemeine Suchmethode.

Zur Prävention gibt es – abgesehen von der Vermeidung einer Exposition gegenüber nachgewiesenen Harnblasen-Karzinogenen – keine validierten Maßnahmen. Bei Hochrisikokollektiven (Raucher, berufsbedingte Risikogruppen) kann durch Urinuntersuchungen auf Mikrohämaturie ein Harnblasenkarzinom früher erkannt werden als bei bereits symptomatischen Patienten.

Neben der Mikrohämaturie gehören zu den klinischen Zeichen und Befunden, die einen Verdacht auf Harnblasenkarzinom nahe legen, eine schmerzlose Makrohämaturie, eine positive Urinzytologie und unspezifische Reizsymptome wie Pollakisurie, Drangsymptomatik oder Dysurie. Bei solchen Befunden sollte, unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Berufsanamnese und weiterer Faktoren wie Rauchen, eine weitere urologische Abklärung erfolgen, erklärte Dr. Carsten-Henning Ohlmann, Klinik für Urologie und Kinderurologie an der Universität Homburg/Saar. Die weitergehende urologische Primärdiagnostik umfasse eine Urinzytologie, eine Sonographie, eine Zystoskopie und die bildgebende Diagnostik der ableitenden Harnwege.

„Vor allem dann, wenn eine Mikrohämaturie vorliegt, sollte eine Urinzytologie durchgeführt werden“, betonte Ohlmann. Dies aus frischem Urin oder Morgenurin. Die Leitlinie empfiehlt eine Mikroskopie, um die Morphologie der Erythrozyten zu beurteilen. Eine negative Urinzytologie schließt das Vorliegen eines High-grade-Urothelkarzinoms/Carcinoma in situ (Cis) mit hoher Sicherheit aus.

Weißlicht-Zystoskopie ist Standard in der Primärdiagnostik

Zum Ausschluss eines Harnstaus – als Ausdruck eines lokal fortgeschrittenen Tumorstadiums – sollte eine Sonographie des oberen Harntrakts bei Verdacht auf ein Karzinom erfolgen. Die Weißlicht-Zystoskopie ist dabei Standard und lässt sich sowohl mit einem flexiblen als auch mit einem rigiden Zystoskop durchführen. Die flexible Variante ist für den Patienten aber komfortabler. Neben der Weißlicht-Zystoskopie ist auch eine fluoreszenzbasierte Zystoskopie möglich.

 
Hinsichtlich des vieldiskutierten Screenings zur Früherkennung erteilt die S3-Leitlinie eine klare Absage an die am Markt befindlichen Schnelltests. Prof. Dr. Margitta Retz
 

Erhärtet sich der Verdacht auf Blasenkrebs, steht dessen histologische Sicherung an. Ist durch die Zystoskopie ein Karzinom ausgeschlossen, lassen sich die Ursachen für eine Mikro- bzw. Makrohämaturie oder positive Zytologie mittels CT-Urografie, MRT- oder Ausscheidungs-Urogramm des oberen Harntraktes klären.

Die Stadieneinteilung des Harnblasenkarzinoms basiert auf der aktuellen Klassifikation der Union internationale contre le cancer (UICC). Die Diagnostik richtet sich nach dem pathologischen Tumorstadium basierend auf der transurethralen Resektion (TUR-B). Unterschieden wird das nicht-muskelinvasive Harnblasenkarzinom (pTis, pTa, pT1) und das muskelinvasive Harnblasenkarzinom (≥ pT2).

Beim Erstbefund eines nicht-muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms empfiehlt die Leitlinie nur eine Sonographie und darüber hinaus keine routinemäßige bildgebende Abklärung des oberen Harntrakts. Zusätzliche Bildgebung ist indiziert, wenn der Tumor im Bereich des Trigonums lokalisiert ist und wenn multiple oder High-grade-Tumoren vorliegen. In diesem Fall sind CT- oder alternativ MR-Urografie oder ein Ausscheidungs-Urogramm indiziert.

Beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom sollte eine Computertomografie des Abdomens (mit CT-Urografie), des Beckens und des Thorax mit Kontrastmittel erfolgen. Bei entsprechender klinischer Symptomatik bzw. einer Erhöhung der alkalischen Phosphatase empfiehlt die Leitlinie eine weitergehende Diagnostik mit kraniellem CT oder Knochenszintigrafie.

Therapie und Nachsorge des nicht-muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms

Wesentliche Eckpunkte der Therapie von Patienten mit nicht-muskelinvasivem Harnblasenkarzinom (NMIBC) sind die endoskopische Primärtherapie, gefolgt von einem adjuvanten Therapieansatz, der das Risiko für ein Rezidiv und/oder eine Progression verringern soll, erklärte Prof. Dr. Georgios Gakis, Klinik für Urologie am Universitätsklinikum Tübingen.

Zunächst werden mit der transurethralen Blasentumorresektion (TUR-B) Biopsate aus dem tumorsuspekten Areal gewonnen und je nach Befund erfolgt auch eine makroskopisch vollständige Abtragung. Für die spätere klinische Risikoeinstufung ist wichtig, die Größe des Tumors (in cm), die Lokalisation(en) und die Anzahl an Tumoren festzuhalten. Für eine exakte histopathologische Einstufung empfiehlt die Leitlinie, dem Pathologen auch das Erscheinungsbild des Tumors, das Vorhandensein weiterer Schleimhautauffälligkeiten und Informationen zu vorangegangenen Therapien mitzuteilen.

Wie Gakis betonte, entdeckt die fluoreszenzassistierte TUR-B mit Hexylamindolaevulinat circa 40% mehr Carcinomata in situ und circa 20% mehr Tumoren als die Weißlicht-TUR-B. Deshalb ist es sinnvoll, die fluoreszenzassistierte TUR-B bei Patienten mit multifokalen Tumoren in der Vorgeschichte und/oder Verdacht auf Cis als Ergänzung durchzuführen.

Ist bei Patienten keine Zystektomie geplant, empfiehlt die Leitlinie unter folgenden Bedingungen eine Nachresektion bei Tumoren: wenn die primäre TUR-B inkomplett war, bei Patienten, bei denen in der initialen TUR-B kein Muskel im histopathologischen Präparat nachweisbar war, und bei T1-Tumoren und bei allen High-grade-Tumoren mit Ausnahme der Patienten mit primärem Cis. Nach der Leitlinie ist bei der Nachresektion das Areal der ersten Resektion und alle makroskopisch suspekten Areale nach zu erfassen.

Adjuvante Therapie beim nicht-muskelinvasiven Harnblasenkarzinom

 
Vor allem dann, wenn eine Mikrohämaturie vorliegt, sollte eine Urinzytologie durchgeführt werden. Dr. Carsten-Henning Ohlmann
 

Im Rahmen der adjuvanten Therapie sollte die Chemotherapie-Frühinstillation bei Patienten mit NMIBC nur dann eingesetzt werden, wenn eine ausgeprägte Blutung und Blasenperforation ausgeschlossen ist. Die Datenlage zeigt, dass auch Patienten mit primärem Low-risk-Urothelkarzinom der Harnblase am meisten von einer Frühinstillation profitieren.

Bei Patienten mit erstdiagnostiziertem Urothelkarzinom der Harnblase im Intermediate-Risk-Stadium wird empfohlen, nach ausführlicher Beratung entweder eine Chemotherapie-Instillation oder eine Instillationstherapie mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) zu erwägen.

Patienten, die ein Rezidiv-Urothelkarzinom im Intermediate-Risk-Stadium nach vorheriger oder unter Chemotherapie-Instillation entwickeln, sollten mit einer BCG-Instillationstherapie weiterbehandelt werden. Wurde aufgrund des individuellen Risikos eine Chemo- statt einer BCG-Therapie gewählt, kann eine Erhaltungstherapie durchgeführt werden.

Bei einem High-risk-Urothelkarzinom der Harnblase empfiehlt die Leitlinie eine BCG-Instillationstherapie. Bei kompletter Remission nach der Induktionsphase soll nach individueller Risiko-Nutzen-Abwägung zusätzlich eine Erhaltungstherapie erfolgen. Erleiden Patienten ein Frührezidiv oder eine Tumorpersistenz nach oder unter einer intravesikalen Immuntherapie, wird eine Früh-Zystektomie empfohlen.

Therapie des muskelinvasiven Harnblasenkarzinoms

Radikale Zystektomie, Lymphadenektomie und Urethrektomie sind die operativen Verfahren beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom. „Die radikale Zystektomie ist die operative Standardtherapie für die Behandlung des muskelinvasiven Blasenkarzinoms“, so PD Dr. Günter Niegisch, Oberarzt am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Dabei sollen in der Regel die gesamte Blase und unmittelbare Nachbarorgane entfernt werden: beim Mann Prostata und Samenblasen, bei der Frau Uterus, Adnexe und Anteile der vorderen Vaginalwand. Abhängig von der Tumorlokalisation (unifokal, nicht Blasenwand überschreitend) kann auf die Entfernung der vorderen Vaginalwand verzichtet werden und – abhängig vom Menopausenstatus – auf die Entfernung der Adnexen. Eine partielle Zystektomie ist hingegen keine Standardoption. Neben der klassischen offenen Zystektomie kommt auch eine laparoskopisch/roboter-assistierte Zystektomie als Option infrage.

 
Die radikale Zystektomie ist die operative Standardtherapie für die Behandlung des muskelinvasiven Blasenkarzinoms. PD Dr. Günter Niegisch
 

Beim invasiven Harnblasenkarzinom sollte im Rahmen der radikalen Zystektomie zeitgleich eine beidseitige pelvine Lymphadenektomie erfolgen. Das onkologische Outcome ist mit Lymphadenektomie besser als ohne. Es wird empfohlen, mindestens 10 bis 16 Lymphknoten zu entfernen.

Ein Risikofaktor bei der Frau für den Befall der Urethra bzw. für ein urethrales Tumorrezidiv ist ein Tumorbefall des Blasenhalses und/oder der Vaginalvorderwand. Beim Mann zählt die Multifokalität des Tumors, die Art der Harnableitung und die Beteiligung der prostatischen Harnröhre zu den Risikofaktoren für den Befall der Urethra. Ein intraoperativer Schnellschnitt weist dabei einen negativ prädiktiven Wert zwischen 90 und 100% auf. Wichtigster Trigger für eine Urethrektomie ist ein positiver Absetzungsrand im Schnellschnitt.

Beim perioperativen Management im Sinne der Fast-track-Chirurgie kann auf eine Darmvorbereitung verzichtet werden, wenn der Dünndarm zur Harnableitung verwendet wird. Die Leitlinie empfiehlt, Magensonden frühzeitig zu entfernen (innerhalb von 24 Stunden). Auf eine routinemäßige parenterale Ernährung sollte verzichtet werden.

Neben Früherkennung, Diagnostik und Therapie berücksichtigt die Leitlinie auch gezielt Fragen der Lebensqualität, der Rehabilitation und der Nachsorge.

 

REFERENZEN:

1. 68. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V., 28. September bis 1. Oktober 2016, Leipzig

 

Kommentar

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