Cholesterin: Die große Wahrheit? Im Fernsehsender Arte wird die Sinnhaftigkeit der Statin-Therapie in Frage gestellt

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

4. November 2016

Ein TV-Beitrag von Arte schlägt einige Wellen [1]. Unter dem Titel „Cholesterin, der große Bluff?“ stellten Journalisten 2 gewagte Behauptungen auf: Zum einen gebe es keinen nachweislichen Zusammenhang zwischen einem hohen Cholesterinspiegel und Herzinfarkten. Zum anderen seien Statine dadurch nutzlos oder aufgrund ihrer Nebenwirkungen sogar gefährlich.

Arte beruft sich auf Dr. Michel de Lorgeril, Forscher am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris. Der französische Kardiologe zweifelt an der Beteiligung von Cholesterin bei der Entstehung von Herzinfarkten. „Alle jüngeren Studien zeigen keinen Zusammenhang zwischen dem Herzinfarkt-Risiko und dem Cholesterinspiegel“, erklärte de Lorgeril gegenüber Arte. Er argumentiert mit einem Paradoxon: In Frankreich gebe es viele Menschen mit hohem Cholesterinspiegel, aber wenige Herzinfarkte.

Prof. Dr. Ulrich Laufs

In Online-Kommentaren zum Beitrag zeigt sich, wie Laien schon jetzt reagieren. „Ich habe heute das Medikament abgesetzt, da ich auch permanent unter Muskel- und Gelenkschmerzen leide. Ich werde Alternativen nutzen“, schreibt eine Patientin. Und eine andere Frau ergänzt: „Ich habe vom Arzt Statine verschrieben bekommen (...) wollte sie wegen der möglichen Nebenwirkungen dann aber nicht einnehmen.“ Der nächste User kommentiert: „3 Jahre Atorvastatin eingenommen und meine Muskeln erfolgreich abgebaut. Nach erheblichen Muskelschmerzen habe ich eigenverantwortlich die Medikation abgesetzt. Seither geht es mir wieder gut!“

 
Der Zusammenhang zwischen Cholesterin und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist gesichert. Prof. Dr. Ulrich Laufs
 

Zusammenhang erwiesen

Wie sollten Ärzte jetzt argumentieren? Medscape sprach mit Prof. Dr. Ulrich Laufs vom Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg. „Der Zusammenhang zwischen Cholesterin und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist gesichert“, bekräftigt Laufs. Dies sei auch die Meinung von Experten, die als pharmakritisch bekannt sind, beispielsweise der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Laufs liefert Argumente aus verschiedenen Bereichen, um Patienten von der Notwendigkeit klassischer Behandlungsansätze zu überzeugen.

1. Pathophysiologie: „Cholesterin ist in der Entstehung von Plaques entscheidend“, erklärt der Experte. „Ohne dieses Molekül gibt es auch keine Gefäßablagerungen.“ Das hätten Wissenschaftler auf molekularer und zellulärer Ebene „zweifelsfrei verstanden“.

2. Epidemiologie: Laufs weiter: „Alle großen epidemiologischen Studien zeigen, dass erhöhte Cholesterinspiegel auch zu höheren Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen.“ Effekte wie das „französische Paradoxon“ führt er auf methodisch überholte Studien mit kleinen Teilnehmerzahlen zurück. „Auch in Frankreich profitieren Patienten mit Hypercholesterinämie von einer Lipidsenkung.“

 
Es gibt wenig in der Medizin, was wir so gut wissen wie diese Tatsache. Prof. Dr. Ulrich Laufs
 

3. Genetik: Die Modell-Erkrankung der familiären Hypercholesterinämie beweist, dass eine einzelne Mutation, beispielsweise im LDL-Rezeptor, zu erhöhtem Serum-Cholesterin und dadurch zu Atherosklerose führt. Die Sterblichkeit erhöht sich. In der Bevölkerung korreliert der genetisch determinierte Cholesterinspiegel mit Herzinfarkten. Je niedriger das LDL-Cholesterin, desto geringer ist auch das Risiko. „Familiär bedingt erhöhtes LDL im Blut führt zu Ablagerungen in Gefäßen“, erklärt Laufs.

Gezielt therapieren

Von der Theorie zur Praxis: Ärzte setzen auf ein Gesamtkonzept, das neben Lebensstil-Interventionen auch eine Pharmakotherapie beinhaltet. „Wenn wir das Cholesterin mit Statinen oder Nicht-Statinen senken, gehen Herzinfarkt-Risiken nach unten“, betont der Experte. „Es gibt wenig in der Medizin, was wir so gut wissen wie diese Tatsache.“ Er gibt wie es auch die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) empfiehlt 70 mg/dl als LDL-C-Zielwert für Hochrisiko-Patienten an.

 
Wir wissen, dass eine jahrzehntelange Statintherapie das Risiko kontinuierlich reduziert sowie gut verträglich und sicher ist. Prof. Dr. Ulrich Laufs
 

Der absolute Effekt von Statinen orientiert sich dabei an 3 Größen: am individuellen Risiko eines Patienten, am Cholesterin-Ausgangswert und an der Stärke der erzielten Senkung. Doch ist die Höhe des LDL-Cholesterins nur indirekt von der Ernährung abhängig. Laufs: „Der Effekt von Diät-Interventionen wird häufig überschätzt.“

Gesunde Ernährung sei zwar wichtig, reiche aber allein meist nicht aus, um den LDL-Cholesterinspiegel signifikant zu senken. Bei hohen Ausgangswerten kommt man in der Regel ohne Statine nicht aus – und diese seien auch bei langfristiger Gabe unbedenklich: „Wir wissen, dass eine jahrzehntelange Statintherapie das Risiko kontinuierlich reduziert sowie gut verträglich und sicher ist.“ Er ergänzt: „Können Hochrisiko-Patienten mit der maximal verträglichen Standarddosis nicht auf den angestrebten Zielwert gebracht werden, existieren weitere Therapieoptionen wie Ezetimib und für ausgewählte Patienten PCSK9-Hemmer.“

 

REFERENZEN:

1. Beitrag in der Videothek von Arte: „Cholesterin, der große Bluff“

 

Kommentar

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