Reduktion von 1.600 auf nur noch 330 Kliniken? Leopoldina fordert Radikalkur für die deutsche Krankenhaus-Landschaft

Christian Beneker

Interessenkonflikte

2. November 2016

Zu viele, zu schlecht, zu teuer: Die Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften hat die Patientenversorgung in den deutschen Krankenhäusern heftig kritisiert [1]. Die historisch gewachsene Versorgungslandschaft in Deutschland bringe unterdurchschnittliche Ergebnisse bei der Krankenversorgung, heißt es. In Schweden und Dänemark seien „die Qualität der Versorgung und die Effizienzkennzahlen (...) in Teilen besser”, schreiben die Autoren.

Ihr Lösungsvorschlag: Wenige neue große Krankenhäuser und weg mit den kleinen Häusern – genau, wie in Dänemark. Damit wäre dann auch das Personalproblem gelöst. Wenn sich aber deutsche Politiker für Ähnliches entscheiden, wackelt ihr Stuhl.

Schwächere Leistungen, höhere Kosten

 
Das heißt: Wäre Deutschland  ,durchschnittlich‘, hätte es nur insgesamt rund 320.000 Betten, also rund 35 Prozent weniger. Leopoldina
 

Das Thesenpapier der Leopoldina argumentiert z.B. mit der Krankenhaus-Sterblichkeit am Herzinfarkt: In deutschen Klinken sterben „8,7% der Patienten über 45 Jahre, die mit einem akuten Herzinfarkt eingewiesen wurden, während ihres stationären Aufenthaltes”. In Schweden dagegen liege diese Rate nur bei 4,5% und in Australien sogar nur bei 4,1%. Auf der Liste der 32 OECD-Länder belege Deutschland damit den 25. Platz.

Dabei seien die Krankenhäuser hierzulande insgesamt besonders üppig finanziert. 11% seines Bruttoinlandsproduktes steckt Deutschland in die stationäre Versorgung. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 9%. Im Jahr 2014 verfügte Deutschland über 1.980 Krankenhäuser mit 500.700 Betten. Das sind 6,2 Betten pro 1.000 Einwohner, rechnen die Autoren vor, davon 5,3 für die akute und 0,9 für die psychiatrische Versorgung.

Im Vergleich zu den EU15-Ländern (d.h. Beitritt bis April 2004) hält Deutschland 58% mehr Betten für die akute und 35% mehr für die psychiatrische Versorgung vor. „Das heißt: Wäre Deutschland ,durchschnittlich‘, hätte es nur insgesamt rund 320.000 Betten, also rund 35 Prozent weniger.” Gleichzeitig bleiben bei uns die Patienten besonders lang in der Klinik, und zwar 9,1 Tage, der EU-Schnitt liegt (im Jahr 2013) bei 8,3 Tagen.

Die vielen Kliniken zerren zudem immer heftiger an der ohnedies zu dünnen Decke an Fachleuten, also Ärzten und Pflegenden.

Zudem leiden viele Krankenhäuser unter den leeren Kassen der Länder. Diese sollten eigentlich in die oft veralteten Krankenhäuser investieren, aber sie haben kein Geld. Der Investitionsbedarf in Deutschland beträgt rund 7 Milliarden Euro pro Jahr. Länder und Krankenhausträger konnten 2014 aber zusammen nur 2,8 Milliarden aufbringen.

Um die Misere finanziell abzufedern, versuchen Klinik-Geschäftsführer, möglichst viele Patienten zu behandeln. „Es bestehen deutliche Hinweise, dass Krankenhäuser unter anderem über Fallzahlsteigerungen versuchen, ihr Überleben zu sichern”, so die Autoren.

Nur noch 300 große Krankenhäuser in Deutschland

Soweit die Diagnose der Leopoldina. Als Therapie empfiehlt das Autorenteam eine Radikalkur, ähnlich wie beim skandinavischen Nachbarn Dänemark: „Hätte Deutschland die Krankenhausstruktur von Dänemark mit einem Krankenhaus pro 250.000 Einwohner, wären es bei uns 330 – und alle mit CT, MRT (Magnetresonanztomografie) und Fachärzten für Innere Medizin/Kardiologie, Allgemeinchirurgie, Unfallchirurgie und Anästhesie/ Intensivmedizin, die rund um die Uhr und an allen Tagen der Woche verfügbar sind”, heißt es in dem Thesenpapier. Und, so muss man ergänzen, mit mehr Ärzten und Pflegenden pro Krankenhaus.

 
Eine Reduktion auf vielleicht 1.000 Krankenhäuser wäre aber denkbar. Prof. Dr. Volker Amelung
 

Bei einer solchen Radikalkur wird sogar dem Gesundheitssystemforscher an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und Geschäftsführer des Bundesverbandes Managed Care e.V., Prof. Dr. Volker Amelung, schwindlig – obwohl er im Beirat von „Healthcare Denmark” Embassador ist, wie er berichtet. Und als solcher sehr zustimmend zu dem, was die Leopoldina veröffentlich hat. „In Dänemark läuft eine beeindruckende Reform des stationären Sektors”, sagt Amelung. Und zwar genau nach dem Modell, das die Leopoldina vorgeschlagen hat.

Aber eine Radikalkur auf nur noch 330 Krankenhäusern in Deutschland sei unrealistisch, sagt Amelung. „Eine Reduktion auf vielleicht 1.000 Krankenhäuser wäre aber denkbar.”

Und wer soll das Ganze umsetzen? Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag, Dr. Edgar Franke (SPD), findet die Ideen der Leopoldina nicht wirklich richtig und schon gar nicht umsetzbar. „Dass wir zu viele Krankenhausbetten haben, ist unbestreitbar. Aber wenn sich nach den niedergelassenen Ärzten auch noch die kleinen Krankenhäuser aus der Fläche zurückziehen würden, wäre die medizinische Versorgung auf dem Land noch schwieriger”, so Franke zu Medscape. Im Übrigen sei „ein Krankenhaus zu schließen, politisch nicht durchsetzbar.”

 
Es braucht zusätzlich politischen Mut, die notwendigen Strukturveränderungen anzugehen. Leopoldina
 

Wohl wahr – wie das Beispiel Emden zeigt: In der ostfriesischen Küstenstadt stürzte die SPD im Rat bei der letzten Wahl im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 2011, wo sie 51,5% errang, auf 30,8% ab. Der Grund: Mit ihrer Ratsmehrheit hatten die Sozialdemokraten dafür gesorgt, dass das Emder Krankenhaus schließen wird, um mit den beiden Krankenhäusern aus Aurich und Norden an einem anderen Ort zu einem neuen, gemeinsamen Zentralkrankenhaus zu fusionieren. 

Natürlich kennen die Autoren des Leopoldina-Papiers das Problem. Deshalb heißt es in ihrer 8. These: „Es braucht zusätzlich politischen Mut, die notwendigen Strukturveränderungen anzugehen.”

 

REFERENZEN:

1. Leopoldina: „Zum Verhältnis von Medizin und Ökonomie im deutschen Gesundheitswesen. 8 Thesen zur Weiterentwicklung zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft“, Oktober 2016

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....