Den geistigen Verfall aufhalten: Abwechslungsreiche Freizeitaktivitäten sind am wirkungsvollsten

Michael Simm

Interessenkonflikte

31. Oktober 2016

Mannheim – Wie lässt sich das Risiko für kognitiven Abbau im Alter und Demenz verringern? „Mediterrane Diät, aktiver Lebensstil und hohe Bildung schaden nicht. Die Frage, was Henne und was Ei ist, bleibt jedoch offen“, so das Fazit PD Dr. Christine von Arnim auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Von Arnim, die als Oberärztin am Institut für Neurologie der Neurologischen Universitätsklinik Ulm tätig ist, verwies auf mehrere Korrelationsstudien, die nahelegen, dass Veränderungen des Lebensstils inklusive der Ernährung das Demenzrisiko stärker senken können, als die bislang verfügbaren Medikamente. Allerdings haben viele dieser Untersuchungen auch Schwachpunkte: Sie sind retrospektiv angelegt, die Teilnehmer repräsentieren eher die „fitten Alten“ als die Allgemeinbevölkerung oder die Studien sind realitätsfern, wenn beispielsweise der Konsum von 1 Liter Olivenöl pro Woche mit einem verringerten Demenzrisiko in Verbindung gebracht wird.

Abwechslungsreiches Freizeitprogramm verbessert Kognition „hochsignifikant“

Stattdessen hat von Arnim mit ihrem Team eine Interventionsstudie unternommen mit dem Ziel, den kognitiven Abbau im Alter zu verzögern. Dazu teilten die Forscher 65 Senioren mit Gedächtnisproblemen im mittleren Alter von 71 Jahren in 3 Gruppen. Sie erhielten jeweils 10 Wochen lang wöchentlich 5 Stunden eines physischen oder auditorischen Trainings bzw. dienten als Kontrolle.

 
Mediterrane Diät, aktiver Lebensstil und hohe Bildung schaden nicht. Die Frage, was Henne und was Ei ist, bleibt jedoch offen. PD Dr. Christine von Arnim
 

Es fand sich dabei weder ein Trainingseffekt auf das Gedächtnis, noch auf die Kognition. „Allerdings erwies sich das auditorische Gedächtnis zu Studienbeginn als sehr guter Prädiktor für die kognitive Leistung im Fünf-Jahres-Follow-Up“, so von Arnim. „Es hat daher Potenzial als Biomarker.“

Weiterhin ergab die Auswertung nach 22 Wochen, dass  ein abwechslungsreicher Lebensstil mit einem besseren kognitiven Verlauf, insbesondere besserem Erinnerungsvermögen assoziiert war. „Egal ob Lesen, Radfahren oder ein Ehrenamt – jeder einzelne Punkt hat mehr gebracht“, so von Arnim. Die Intensität körperlicher und geistiger Anstrengungen spielte dagegen keine Rolle.

Welcher Mechanismus steckt hinter dem positiven Effekt auf die Kognition?

Wie könnte der positive Effekt des Lebensstils auf die Kognition vermittelt werden? Dazu suchten von Armin und ihr Team bei einer Stichprobe von 47 Senioren aus der Interventionsstudie nach den Biomolekülen im Serum und nach Korrelationen mit der kognitiven Leistung sowie mit der Anzahl an Aktivitäten zum Baseline-Zeitpunkt sowie nach 10 Wochen. „Mögliche zugrunde liegende biologische Wirkfaktoren könnten der brain-derived neurotrophic factor (BDNF), das ‚Exercise-Hormon‘ Irisin sowie Veränderungen des Kynurenin-Metabolismus sein“, hieß es dazu auf einem Poster, das ebenfalls auf dem DGN-Kongress präsentiert wurde.

 
Allerdings erwies sich das auditorische Gedächtnis zu Studienbeginn als sehr guter Prädiktor für die kognitive Leistung im Fünf-Jahres-Follow-Up. Es hat daher Potenzial als Biomarker. PD Dr. Christine von Arnim
 

BDNF und Irisin waren in von Armins Studie positiv mit der Kognition allgemein und insbesondere mit den Gedächtnisleistungen assoziiert. Innerhalb der Trainingsgruppen stieg BDNF signifikant an, wohingegen die Konzentration in der Kontrollgruppe gleich blieb. Irisin hilft unter anderem bei der Transformation weißer in braune Fettzellen,führt zu einer vermehrten Energiefreisetzung und Wärmeerzeugung und damit auch zu einem leichten Gewichtsverlust, einem vermehrten Gesamtenergiebedarf und einer verbesserten Glukosetoleranz. Kynurenin ist ein Stoffwechselzwischenprodukt beim Abbau der Aminosäure Tryptophan, das in Tiermodellen neuroprotektive Effekte gezeigt hat.

Als wichtigen Mediator von Training auf kognitiven Abbau und Demenz müssten BDNF ebenso wie Irisin und der Kynurenin-Metabolismus in größeren Stichproben bei neurodegenerativen Erkrankungen weiter untersucht werden, forderten die Wissenschaftler.

Insgesamt seien Einzelinterventionen bisher aber eher enttäuschend verlaufend, sagte von Arnim auch mit Blick auf die eigene Studie. Als erste prospektive Untersuchung mit einem multimodalen Ansatz – einer Kombination aus gesunder Ernährung, Bewegung, Kognitionstraining sowie einer engmaschigen Überwachung vaskulärer Risiken – hob sie die FINGER-Studie hervor. Dort wurden Ernährungsberatung, Sport, kognitives Training und die Behandlung kardialer Risikofaktoren bei 1.260 älteren Risikopatienten erprobt und in der 2-Jahres-Analyse auch teilweise signifikante Verbesserungen der Kognition nachgewiesen (wie Medscape berichtete). Insgesamt ist die FINGER-Studie auf 6 Jahre angelegt. Ähnliche Untersuchungen wurden mittlerweile auch in Frankreich und Holland initiiert.

Langzeituntersuchungen seien schwierig, etwa die Motivation der Studienteilnehmer so lange aufrechtzuerhalten, so von Arnim. Und insgesamt gebe es nur wenige Daten, um Risikopatienten oder auch Gesunden zu sagen: „Sie müssen Ihren Lebensstil ändern“.

 

REFERENZEN:

1. 89. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 21. bis 24. September 2016, Mannheim

 

Kommentar

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