Nach EuGH-Urteil: Bundesgesundheitsminister Gröhe will Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten verbieten

Susanne Rytina

Interessenkonflikte

2. November 2016

Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente im Versandhandel gekippt hat, folgt nun die Reaktion von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: Er bereitet ein Gesetz vor, das den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten verbieten soll, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Ungewiss sei allerdings noch, ob und wann Gröhe sein Vorhaben umsetzen kann.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte kürzlich entschieden, dass die Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente in Deutschland für ausländische Anbieter nicht länger verbindlich ist [1]. Ausländische Versandapotheken können künftig Medikamente für den deutschen Markt billiger anbieten, indem sie den Patienten Preisnachlässe geben dürfen.

Während die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in der Folge die flächendeckende Versorgung der Patienten bedroht sieht und das gänzliche Verbot des Versandhandels fordert, sieht der Verbraucherzentrale-Bundesverband den schnellen Ruf nach Verbot des Versandhandels kritisch.

EuGH-Urteil: Wettbewerbsnachteile der ausländischen Versandapotheken ausgleichen

Im zugrunde liegenden Fall für das EuGH-Urteil hatte die niederländische Versandapotheke DocMorris den Mitgliedern der Deutschen Parkinson Vereinigung Boni für rezeptpflichtige Parkinson-Medikamente eingeräumt. Dagegen klagte jedoch die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (ZBW) vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, da die Preisbindung für die deutschen Apotheken verbindlich bleibt. Nachdem verschiedene deutsche Bundesgerichte und das Verfassungsgericht die gültige Preisbindung für alle bestätigt hatten, hat das OLG Düsseldorf zur Unterstützung seiner Entscheidung den EuGH angerufen.

Die EU-Richter stellten in ihrem Urteil jedoch den ökonomischen Aspekt, den freien Warenverkehr als Grundpfeiler des europäischen Binnenmarktes, in den Mittelpunkt. Damit wurde entschieden, dass die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente gegen EU-Recht verstößt, da sie den grenzüberschreitenden Warenverkehr einschränkt, wie das Gericht in einer Mitteilung zum Urteil schreibt.

So sei der Versandhandel für die ausländischen Apotheken der einzige Weg, um Zugang zum deutschen Markt zu bekommen, hieß es in der Begründung. Entsprechend seien Preisvorteile für den ausländischen Versandhandel ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für traditionelle Apotheken, die ihre Patienten vor Ort beraten können.

„Ein Preiswettbewerb könnte auch den Patienten Vorteile bringen, da er es gegebenenfalls ermöglichen würde, verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen anzubieten als sie derzeit festgelegt werden“, so die EU-Richter weiter.

Verbraucherzentrale: Patienten können sparen

Verbraucher könnten als Folge des Urteils künftig Kosten sparen, im Schnitt etwa in Höhe von 100 Euro pro Jahr, wenn ihnen Rabatte durch die ausländischen Versandapotheken eingeräumt werden, betont Kai Vogel, Leiter des Bereichs Pflege und Gesundheit bei dem Verbraucherzentrale-Bundesverband, gegenüber Medscape.

 
Man sollte das Ganze aber nicht überbewerten, zumal die Akutversorgung vor Ort nicht durch ausländische Anbieter ersetzt werden kann. Kai Vogel
 

„Man sollte das Ganze aber nicht überbewerten, zumal die Akutversorgung vor Ort nicht durch ausländische Anbieter ersetzt werden kann“, gibt Vogel zu bedenken. Wer schnell versorgt werden müsse, werde nach wie vor der Apotheke vor Ort den Vorzug geben, anstatt Tage auf die Zusendung im Versandhandel aus dem Ausland zu warten.

Verbraucher sollten bei Versandapotheken darauf achten, wie ihnen Rabatte oder Boni gegeben werden – ob ihnen Geld von der Versandapotheke bar erstattet oder nur für die Bestellung weiterer Produkte gutgeschrieben wird.

Wettbewerbszentrale: Inländischer Handel wird diskriminiert

Dr. Rainer Münker, geschäftsführendes Mitglied der Klägerin – der Wettbewerbszentrale – sieht durch das Urteil massive Auswirkungen auf den Apothekenmarkt in Deutschland: „Die Apotheken in Deutschland müssen sich an die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel halten, während ausländische Apotheken Kunden in Deutschland Rabatte gewähren dürfen. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil der hiesigen Apotheken – also zu einer Inländerdiskriminierung“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Der Gesetzgeber müsse sich nun überlegen, wie gleiche Wettbewerbsbedingungen für die Apotheken erreicht werden können. Dazu seien 2 Möglichkeiten denkbar: Entweder man schaffe die Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel komplett ab oder aber man verbiete den Versandhandel für diese Arzneimittel, so Münker.

Die Preisbindung für den deutschen Apothekenversand und deutsche Apotheker ist weiterhin verbindlich. Apotheker können gesetzlich festgelegt 3% vom Einkaufspreis plus 8,35 Euro je Packung aufschlagen, hinzu kommt noch ein Notdienstaufschlag von 0,16 Euro, wie es in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegt ist.

Hintergrund der Preisbindung im Inland ist, dass Patienten für ein verschreibungspflichtiges Medikament mit ihrer Zuzahlung für das Rezept überall nur den gleichen Betrag zahlen sollen. Die Regulierung soll außerdem einen „destruktiven Verdrängungswettbewerb“ verhindern, der zu einer „Ausdünnung des Apothekennetzes in der Fläche und damit zu einer schlechteren Patientenversorgung führt“, wie die Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA) in ihrem Positionspapier vom Oktober 2016 in der Deutschen Apotheker Zeitung betont.

Apotheker fordern Verbot von Versandhandel

„Die Richter haben sämtliche geltende Rechtsprechung über den Haufen geworfen“, kritisierte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt in einem Video und einer Pressemitteilung auf der Homepage des Verbandes. Dies sei für die Apotheker eine böse Überraschung. Es klinge wie ein schlechter Scherz, weil sich der EuGH überhaupt nicht mit der Arzneimittelversorgung als Teil des deutschen Gesundheitswesens befasst habe, sondern Regeln anwende wie beim normalen Konsumgut Schuhe. „Es kann nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren“, so Schmidt.

Friedemann Schmidt

Den Patienten schütze die Preisbindung davor, dass seine Notlage durch erhöhte Preise ausgenutzt werde. Die Richter hätten sich nicht mit dem Prinzip der Gleichpreisigkeit in Deutschland in der gesundheitlichen und ärztlichen Versorgung auseinandergesetzt. „Da ist jetzt ein Einfallstor geöffnet, was schnellstens wieder geschlossen werden muss für Rosinenpicker aus anderen europäischen Ländern.“ Hier sei nun die Politik gefragt. Die Zuständigkeiten müssten schnell wieder hergestellt werden, forderte Schmidt.

Dass die Gemeinwohlpflichten im Bereich Notdienste als Wettbewerbsargument und Möglichkeit von Zusatzgeschäften herangezogen werden, finden die Apotheker unerträglich. Dies sei ein Zuschussgeschäft, das querfinanziert werden müsse, heißt es bei der AGBA. Insgesamt gehe die Apothekenlandschaft seit Jahren zurück.

Zudem ist in lediglich 7 von 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) der Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln erlaubt – und das zum Teil nur unter sehr restriktiven Bedingungen, so der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in einer weiteren Mitteilung. Demnach verbieten drei Viertel aller EU-Mitgliedstaaten den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln.

DocMorris: Wäschekörbe Post von Patienten

Zufriedenheit herrscht dagegen bei DocMorris: „Wir freuen uns über das Urteil“, sagt Torben Bonnke, Kommunikationschef von DocMorris gegenüber Medscape. Man könne nun den Verbrauchern einen Bonus von 2 Euro pro Rezept und abgegebener Packung einräumen. Da Versandapotheken nur über den Preis Wettbewerb betreiben können, habe das EuGH den Nachteil der ausländischen Anbieter gegenüber traditionellen Apotheken ausgeglichen, die ihre Patienten vor Ort beraten und auch Notdienste anbieten können.

 
Die Richter haben sämtliche geltende Rechtsprechung über den Haufen geworfen. Friedemann Schmidt
 

„Das wird uns als Rosinenpickerei ausgelegt, aber wir können ja nur so Wettbewerb betreiben“, so Bonnke. Schließlich habe man einen Zeitverzug, da man in der Regel zwischen 24 und 48 Stunden brauche, um den Kunden mit dem Arzneimittel zu bedienen. Der Kunde muss zunächst über den Postweg das Rezept versenden, da die Bestellung über ein elektronisches Rezept noch nicht möglich ist.

Das Argument des möglichen Apothekensterbens in Deutschland ist für den DocMorris-Kommunikationschef kaum nachvollziehbar. Seit dem Gründungsjahr 2000 bis 2012 habe der Marktanteil an rezeptpflichtigen Medikamenten hierzulande nur 1% betragen, obwohl bis 2012 noch Boni gewährt werden durften, bis diese dann per Gesetz verboten wurden. „Das Wachstum verläuft hier sehr langsam“, so Bonnke. Bei nicht-verschreibungspflichtigen Präparaten im „over the counter“-Bereich betrage der Marktanteil von DocMorris zirka 10%.

Die Kunden im rezeptpflichtigen Bereich sind vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen, die ihre Medikamente planbar bestellen können, erläutert Bonnke. Da es sich oft um Menschen handelt, die durch ihre Krankheit nicht voll erwerbstätig und sozial schlechter gestellt sind, freuten sich diese über jede kleine Summe. Im Schnitt seien dies etwa 100 Euro pro Jahr, die sich die Kunden durch die Rabatte sparen könnten. „Nicht die jungen Hipster bestellen vor allem bei DocMorris, sondern Kunden über 55 Jahre.“

 
Das wird uns als Rosinenpickerei ausgelegt, aber wir können ja nur so Wettbewerb betreiben. Torben Bonnke
 

Nach dem Verbot der Boni habe man 2012 körbeweise Zuschriften von Kunden bekommen, für die Gewährung von Rabatten zu kämpfen. „Wir fallen hier auch nicht dem Gesundheitssystem zur Last, sondern wir zahlen das aus unserer eigenen Marge. Wir nehmen einen Teil der Vergütung, die wir für ein Rezept von den gesetzlichen Kassen bekommen, und geben davon ein Teil wieder zurück an unsere Patienten“, sagt Bonnke.

Folgen für Ärzteschaft noch nicht absehbar

Ob und welche Auswirkungen das EuGH-Urteil zur Preisbindung von Medikamenten auf Ärzte haben wird, ist noch völlig unklar, so der Deutsche Hausärzteverband auf Anfrage von Medscape. Der NAV-Virchow-Bund wollte sich gar nicht dazu äußern. Auch bei den kassenärztlichen Vereinigungen zuckt man mit den Schultern. „Wir wissen es nicht so genau, wie sich dies auswirken wird. Wir können nicht ausschließen, dass auch die niedergelassenen Ärzte für ihren Sprechstundenbedarf bei ausländischen Versandapotheken einkaufen“, sagt Kai Sonntag von der Stabstelle Presse- und Öffentlichkeit der KV Baden-Württemberg zu Medscape.

 

REFERENZEN:

1. Gerichtshof der Europäischen Union: Pressemitteilung vom 19. Oktober 2016

 

Kommentar

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