MEINUNG

Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz: „Ärzte müssen die Grenzen kennen“

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

26. Oktober 2016

Mannheim – Nicht nur  Menschen, sondern auch Computer können lernen – und zwar zunehmend schneller  und besser. Welchen Einfluss dies unter anderem auf die Medizinversorgung der  Zukunft haben könnte erforscht Prof. Dr.  Klaus-Robert Müller, Fachgebietsleiter für Maschinelles Lernen von der TU  Berlin. Auf dem Deutschen  Neurologenkongress berichtet er, wie die Schnittstelle Computer-Gehirn das  Leben von Patienten mit Locked-In-Syndrom grundlegend verbessern könnte, und  welche Risiken die Anwendung künstlicher Intelligenz in der medizinischen  Praxis mit sich bringt.

           

Prof. Dr. Klaus-Robert Müller

           

© FhG FIRST/TU Berlin

           

Medscape: Bei Ihrem  Vortrag haben Sie ein aktuelles Forschungsprojekt vorgestellt, das Patienten  dabei helfen soll, allein mit ihren Gedanken zu kommunizieren. Wie genau  funktioniert das sogenannte Brain-Computer-Interface?

Prof. Dr. Müller: Hirnsignale werden mithilfe von einer Elektrodenkappe gemessen und online  dekodiert. Der Computer sucht dann nach einer Funktion, die die  unterschiedlichen Hirnzustände optimal voneinander trennen kann. Patienten  können dann lernen, diese unterschiedlichen Hirnzustände zur Kommunikation zu  nutzen – beispielsweise, indem sie einen Cursor auf einem Bildschirm förmlich  mit ihren Gedanken bewegen.

Wir haben Studien dazu mit verschiedenen Kliniken und  Reha-Zentren durchgeführt. Ziel ist es dabei gewesen, ALS-Patienten diese  andere Art der Kommunikation beizubringen, damit sie auch noch in einem  fortgeschrittenen Krankheitsstadium kommunizieren können.

Medscape: Wie lange  dauert es, bis ein Patient eine Tastatur allein mit seinen Gedanken bedienen  kann?

Prof. Dr. Müller: Bei  vorangehenden Studien waren oft 50 Training-Sessions nötig, da die  Aufmerksamkeitsspanne von Patienten durch die Krankheit oftmals eingeschränkt  ist. Wir konnten mit unserem System allerdings zeigen, dass Patienten bereits  nach der 3. Session anfangen können, zu kommunizieren [1].

Allerdings muss man dazu sagen, dass die Erfolge sehr  unterschiedlich waren. Wir dürfen nicht erforschen, ob Patienten mit dem BCI  besser als ohne es kommunizieren können. Wer einen Knopf hat und diesen noch  gut bedienen kann, sollte ihn auch benutzen. Stattdessen sollten wir zeigen,  dass Patienten mit dem BCI besser als mit bereits etablierten Techniken  kommunizieren. Interessanterweise gab es vor unserer Studie fast keine, die das  zeigen konnte.

Unsere Technik hat es tatsächlich einem Schwerkranken  ermöglicht, besser als mit anderen unterstützenden Technologien zu  kommunizieren. Viel wegweisender könnte das BCI allerdings in einem anderen  Krankheitsstadium sein, nämlich wenn sich ein ALS-Patient bereits im  Locked-In-Status befindet, sich gar nicht mehr bewegen und somit auch keinen  Knopf mehr benutzen kann. Wir sollten die Zeit davor nutzen, um Patienten den  Umgang mit den BCI beizubringen, um ihnen so zu ermöglichen, auch noch in  diesem kritischen Stadium weiter kommunizieren zu können.

Medscape: Maschinelles Lernen kann nicht nur dabei helfen, verschiedene Gehirnzustände zu  unterscheiden. Erst in diesem Jahr hat die TU Berlin als erste Universität 4  neue Hochleistungsserver von Facebook erhalten, um diese unter anderem für die  medizinische Forschung zu nutzen. Was für Forschungsprojekte sind dabei  geplant?

 
Big Data und AI sollten Ärzte bei ihrem Entscheidungsprozess allenfalls unterstützen, und sie keinesfalls ersetzen.
 

Prof. Dr. Müller: Diese  Rechner sollen unter anderem in Zusammenarbeit mit der Charité Berlin zur  Verbesserung der Brustkrebsdiagnostik eingesetzt werden.

Medscape: Welche  Gefahren müssen wir bei der Integration von künstlicher Intelligenz in den  medizinischen Alltag beachten?

Prof. Dr. Müller: Derartige  System dürfen nicht zu „Black Boxen“ werden – es ist unverantwortlich, wenn man  nicht genau weiß, wie ein Instrument zu einer Diagnose gelangt. Denn es besteht  immer die Gefahr, dass dieses Instrument etwas ganz anderes als gedacht  beurteilt – zum Beispiel die Assay-Qualität, anstelle der Krankheit des  Patienten.

Glücklicherweise kenne ich keinen Arzt, der einem  künstlichen System die alleinige Verantwortung übergibt. Big Data und AI sollten Ärzte  bei ihrem Entscheidungsprozess allenfalls unterstützen, und sie keinesfalls  ersetzen. Tatsächlich können sie dabei sehr hilfreich sein, weil sie  weltweit verfügbare Informationen sauber zusammenfassen und in einen sinnvollen  Kontext bringen können. Am Ende muss aber immer der Arzt selbst entscheiden, ob  er mit der vorgeschlagenen Diagnose einverstanden ist oder nicht. Ärzte müssen  die Grenzen künstlicher Systeme kennen, und Ergebnisse kritisch bewerten. Unter  diesen Voraussetzungen bieten Big Data und AI phänomenale Optionen, die  gesundheitliche Versorgung zu verbessern.

 

REFERENZEN:

1. 89. Kongress der Deutschen  Gesellschaft für Neurologie, 21. bis 24. September 2016, Mannheim

2. Höhne, J,  Tangermann M: PLOS ONE, 2. Juni 2014.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....