Meinung

WHO-Aktionsplan gegen Antibiotika-Resistenzen: „Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um das Problem zu lösen“

Dr. Shari Langemak

Interessenkonflikte

24. Oktober 2016

Dr. Marc Sprenger

Berlin – Antibiotika-Resistenzen stellen ein schnell wachsendes und globales Gesundheitsproblem dar – und sind damit ein Schlüsselelement der WHO-Agenda. Dr. Marc Sprenger, Direktor des WHO-Sekretariats für Antibiotika-Resistenzen, diskutierte auf dem World Health Summit in Berlin zusammen mit weiteren internationalen Experten, wie groß die Bedrohung durch Antibiotika-Resistenzen bereits ist, und welche dringenden Maßnahmen getroffen werden müssen.

Medscape: Können Sie uns etwas mehr über die derzeitigen Pläne und Anstrengungen der WHO erzählen?

Dr. Sprenger: Vor etwa einem Jahr einigte sich die Weltgesundheitsversammlung (Anm. d. Red.: Die World Health Assembly (WHA) stellt das Entscheidungsorgan der WHO dar, die die Gesundheitsminister aller Staaten miteinschließt) auf einen globalen Aktionsplan zu Antibiotika-Resistenzen (antimicrobial resistance, AMR). Allerdings kann man AMR nicht aus einer medizinischen Perspektive allein bekämpfen, sondern man muss ebenso die Landwirtschaft miteinschließen.

Da sich die WHO auf das Gesundheitssystem konzentriert, wurde dieser Aktionsplan zu der General Assembly der Vereinten Nationen (UN) weitergeleitet. Die nationalen Delegationen dieses Forums bestätigten, dass sich alle Länder für eine Einigung auf einen gemeinsamen Actionplan einsetzen müssen, sowie dessen anschließende Implementierung – in allen dafür nötigen Sektoren.

In diesem Forum wurde ebenso eine gemeinsame Verantwortung zu Research&Development (R&D) thematisiert. All diese Elemente wurden in einem Ergebnis-Dokument zusammengefasst, was von den Staatsoberhäuptern bestätigt worden ist. Mit anderen Worten: Nicht nur die Gesundheitsminister unterstützen die Initiative, sondern auch die Landwirtschaftsminister.

Medscape: Selbst wenn die Staatsoberhäupter mit an Board sind, bleiben globale Einigungen immer noch eine Herausforderung, wie wir es aus der Debatte zur Klimaveränderung in den letzten Jahren gelernt haben. Wie verhält sich die Klimaschutz-Debatte im Vergleich zur AMR-Debatte?

Dr. Sprenger: Ich glaube, dass die Klimaschutz-Debatte deutlich weiter entwickelt ist. Außerdem gibt es einen großen Vorteil gegenüber der AMR-Debatte – es gibt einen klaren Indikator und ein klares Ziel: Der Temperatur-Anstieg soll weniger als 2 oder 1,5 Grad betragen. Bei AMR ist das deutlich schwieriger. Was genau ist hier das richtige Ziel? Sollen wir nach weniger nosokomialen Infektionen streben, oder weniger Resistenzen gegen Bakterium A, B oder C? Das ist eine sehr schwierige Frage. Was wir also zunächst brauchen, ist ein klarer Indikator. Das ist es, was wir entwickeln und worauf wir uns einigen müssen.        

 
AMR können nicht aus einer medizinischen Perspektive allein bekämpft werden, sondern man muss ebenso die Landwirtschaft miteinschließen.
 

Wir müssen uns auch mehr mit der Landwirtschaft befassen, und mehr von Ländern wie Dänemark lernen, wo der Antibiotika-Gebrauch trotz des großen Tierwirtschaftssektors gering ist, und wo Antibiotika nur dann verwendet werden, wenn ein Nutztier tatsächlich krank ist. Das ist möglich, weil Dänemark ein hohes Niveau bei der Haltung und dem Verkauf von Nutztieren zeigt. Wir würden gerne anderen Ländern helfen, ihre Praxis auf ähnliche Art und Weise zu verändern. Aber wir brauchen dazu finanzielle Unterstützung. Deswegen müssen wir Hand in Hand mit der Weltbank, die normalerweise solche Umstellungen finanziert, arbeiten und gemeinsam neue Ideen entwickeln.

Medscape: Da sich viele Länder mit Sicherheit schwer tun werden, alle nötigen Investments für diese Transition selbst bereitzustellen, müsste die Weltbank einen ziemlich großen Fond für AMR schaffen – in Zeiten wie diesen keine einfache Aufgabe. Wie viel Zeit bleibt uns noch, und wie schlimm ist das Problem bereits?

Dr. Sprenger: Das Problem ist bereits sehr groß, und wächst zudem sehr schnell. Wenn man zum Beispiel einen Blick auf Tuberkulose (Tbc) in Südafrika wirft, sieht man, dass es hier bereits viele Mehrfach-Resistenzen gibt. Wer sich mit einer solchen Tbc infiziert, hat eine Überlebenschance von nur 50%.

 
Was wir zunächst brauchen, ist ein klarer Indikator.
 

Auch in Europa gibt es ein paar sehr gefährliche Krankenhaus-Infektionen, zum Beispiel mit Klebsiella pneumoniae. AMR ist also ein weltweites Problem, und uns bleibt nicht mehr viel Zeit, es zu lösen.

Medscape: Wie können wir es denn lösen?

Dr. Sprenger: Zuallerst müssen wir die Infektions-Präventions-Kontrolle sehr viel ernster nehmen. Hier geht es nicht um Raketenwissenschaft: Hände regelmäßig waschen, die Kleidung in Krankenhäusern regelmäßig wechseln, und den Boden zu waschen – all das macht bereits einen großen Unterschied.

Die Entwicklung von neuen Antibiotika ist dagegen sehr schwer. Nicht nur, weil es teuer ist, sondern weil es auch einer Menge an Zeit und Forschung bedarf. Wir sehen zwar ein paar vielversprechende Entwicklungen, aber wir brauchen wirklich mehr Zeit und Geld.

Das nächste Problem ist – wie wir es auch heute bei unserer Diskussion erwähnt haben – dass neu entwickelte Antibiotika nicht oft verwendet werden sollten. Neue Antibiotika müssen der letzte Ausweg, die letzte Option sein. Anderenfalls kann erwartet werden, dass sich innerhalb von 2 Jahren eine neue Resistenz gegen dieses Antibiotikum bildet. Wir brauchen deshalb eine Art Mechanismus, der sicherstellt, dass die richtigen Antibiotika für die richtigen Indikationen genutzt werden.

Medscape: Zum Beispiel die systematische Resistenz-Testung eines Bakteriums, noch bevor man ein Antibiotikum verschreibt?

Dr. Sprenger: Ja, zum Beispiel.

Medscape: Welche anderen Kontroll-Mechanismen könnten den Gebrauch von neuen Antibiotika reduzieren?

Dr. Sprenger: Es muss ebenso ein finanzieller Anreiz geschaffen werden. Wenn man Geld damit verdient, ein neues Medikament zu verkaufen, dann ist das natürlich ein Anreiz dafür, mehr davon zu verkaufen. Wir müssen also über andere Anreize nachdenken. Wenn wir eine Art Belohnung zu Beginn bezahlen, könnten wir den Anreiz eliminieren, größere Mengen eines Wirkstoffes zu verkaufen. Aber das müssen wir zunächst aus ökonomischer Sicht diskutieren.

Medscape: Ärzte sind ebenso wichtige Wächter des System, da sie diejenigen sind, die die Antibiotika letztendlich verschreiben. Derzeit entwickelt die WHO neue Leitlinien, die ihnen dabei helfen sollen, weniger und spezifischere Antibiotika zu verschreiben. Können Sie uns etwas mehr zu diesen Leitlinien erzählen?

Dr. Sprenger: Derzeit entwickeln wir Leitlinien zur Otitis media, ambulant erworbener und nosokomialer Pneumonie, Endokarditis und zu weiteren Erkrankungen. Die Erst- und Zweitlinien-Empfehlungen kommen dabei von einer externen und internationalen Experten-Kommission. Es handelt sich hierbei um keine einfache Diskussion, da es natürlich kulturelle Unterschiede gibt. Aber es ist wichtig, dass wir am Ende zu einem Konsensus gelangen. Unser Ziel ist es, diese Leitlinien als neuen Standard zu etablieren, der von Organisationen weltweit angenommen wird.

 
Wir müssen über andere Anreize nachdenken.
 

Medsape: Zum Beispiel von medizinischen Gesellschaften?

Dr. Sprenger: Auf jeden Fall. Wir müssen die Diskussion zusammen mit den medizinischen Gesellschaften führen, damit diese am Ende alle Leitlinien annehmen. Wir müssen aber auch Verstärkungsmechanismen in jedem Land etablieren. In Ländern mit einem unzureichendem Gesundheitssystem stellt dies ein großes Problem dar. Sie haben keine oder nur eingeschränkte Aufsichtsbehörden. Wenn wir sicherstellen wollen, dass unser globaler Aktionsplan und unsere Leitlinien  befolgt werden, müssen wir uns auch den ungleich verteilten Gesundheits-Ressourcen annehmen und sicherstellen, dass gute Gesundheitssysteme geschaffen werden.

 

REFERENZEN:

1. World Health Summit, 9.-11. Oktober in Berlin

 

Kommentar

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