Leipzig – „Uns wird vorgeworfen, dass wir PSA-Tests nur wegen des Geldes durchführen. Lassen Sie mich deshalb klarstellen: Aus unserer Sicht ist der PSA-Wert der beste Tumormarker“, machte Prof. Dr. Oliver Hakenberg auf der Pressekonferenz des diesjährigen Urologenkongresses in Leipzig seine Position zum PSA-Test deutlich.

Prof. Dr. Oliver Hakenberg
„12.000 Männer sterben jedes Jahr an Prostatakrebs in Deutschland, jeder fünfte Patient, bei dem ein Prostatakarzinom diagnostiziert wurde, stirbt daran.“ Mit diesen Zahlen unterstrich der Direktor der Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Rostock und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) seine Position [1].
Der Streit um den PSA-Test schwelt seit langem. In den USA, einst das Land des flächendeckenden PSA-Screenings, geriet der Test vollkommen in Verruf. Der Grund: Die Ergebnisse der 2009 im New England Journal of Medicine publizierten PLCO-Studie. Die große Screening-Studie (n = 76.693 Männer) ergab, dass eine Früherkennung des Prostatakarzinoms anhand des PSA-Wertes letztlich keinen Effekt auf die krebsbedingte Mortalität hat.
In der Studie waren die Männer auf 2 Gruppen randomisiert worden: Die erste Gruppe (n = 38.343) unterzog sich 6 Jahre lang jährlich einer Früherkennung aus PSA-Test und rektaler Untersuchung, die zweite Gruppe (n = 38.350) nahm an keinen Früherkennungsmaßnahmen teil. In der Screening-Gruppe fanden sich 22% mehr Prostatakarzinome als in der Kontrollgruppe: 2.820 vs 2.322.
Doch in der Prostatakarzinom-bedingten Mortalität fand sich kein signifikanter Unterschied: 50 vs 44 Fälle. Die Autoren der PLCO-Studie folgerten, dass ein PSA-basiertes Screening zur Früherkennung sinnlos ist, da es die Krebsmortalität nicht beeinflussen könne und darüber hinaus auch Risiken beinhalte.
Allerdings wurde schon bei der Durchführung der Studie klar, dass auch in der Kontrollgruppe bei Patienten PSA-Tests stattgefunden hatten – bei 40 bis 50%. In der Publikation schrieben die Autoren dazu: „Fast 50 Prozent der Männer in der Kontrollgruppe haben im Verlauf der Studie mindestens einen PSA-Test durchführen lassen.“
Überprüfung der PLCO zeigt: 90 Prozent der Patienten der Kontrollgruppe erhielten PSA-Tests

Prof. Dr. Christian Wülfing
Die Veröffentlichung der PCLO-Ergebnisse hatte enorme gesundheitspolitische Auswirkungen: „Es kam zu einer Kehrtwende sondergleichen“, berichtete Hakenberg beim DGU-Kongress. Inzwischen wird in den USA vom PSA-Test zur Früherkennung aufgrund einer Empfehlung der USPSTF (US Preventive Services Task Force) abgeraten. In dessen Folge ging die PSA-Anwendung in den USA erheblich zurück. „In den USA steigt inzwischen die Zahl der Prostatakrebsfälle wieder, das ist eine Folge der Unterdiagnostik“, zeigt sich jedoch Prof. Dr. Christian Wülfing, Asklepios Klinik Hamburg-Altona und Sprecher der DGU, überzeugt.
Eine Untersuchung von Dr. Jonathan Shoag, niedergelassener Urologe in New York, und Dr. Jim Hu, Direktor des LeFrak Center for Robotic Surgery am New York Presbyterian/Weill Cornell Medical Center, lässt nun an der Aussagekraft der PLCO-Ergebnisse weiter zweifeln. In einem Brief an die Herausgeber des New England Journal of Medicine berichten die beiden Ärzte über ihre Auswertung von Befragungen der damaligen Studienteilnehmer. Diese zeigt, dass die meisten Teilnehmer der Kontrollgruppe sich außerhalb der Studie weiterhin PSA-Tests unterzogen hatten: Insgesamt 90% der Männer. Das bedeutet, dass sich Screening- und Kontrollgruppe bezüglich der PSA-Anwendung tatsächlich so gut wie nicht unterschieden und damit im Ergebnis auch keinerlei Unterschied in der Prostatakrebsmortalität gefunden werden konnte.

Prof. Dr. Kurt Miller
Wie Hakenberg betont, haben seriöse Studien, wie die Europäische Screeningstudie (ERSPC) eine Senkung der Mortalität am Prostatakarzinom durch PSA-basierte Früherkennung gezeigt. Die Ergebnisse wurden aber aufgrund der PLCO-Ergebnisse angezweifelt und relativiert – dies vor allem in den USA, wo amerikanische Studien mehr Gewicht haben als europäische.
Auch in Deutschland werde der PSA-Test von den Kostenträgern der GKV schlecht geredet, aus durchaus vordergründigen Motiven, meint DGU-Präsident Prof. Dr. Kurt Miller, Charité Berlin. Doch: „Die Datenlage zum PSA-Test hat sich verändert, nachdem sich mit PLCO eine wichtige Studie, die gegen den Nutzen der PSA-basierten Früherkennung sprach, als fehlerhaft herausgestellt hat“, stellt er klar.
Auch BDU-Präsident Dr. Axel Schröder sieht in der aktuellen Entwicklung bei der PLCO-Studie einen Trend zugunsten des PSA-Tests. Und fügt hinzu: „DGU und BDU werden weiter die laufende europäische ERSPC-Studie und die PROBASE-Studie beobachten und die gemeinsamen Empfehlungen zur Früherkennung weiterhin auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse abgeben.“
Die DGU, so Hakenberg, befürworte den sachgerechten Umgang mit dem PSA-Test zur Früherkennung ausdrücklich, wie auch alle anderen nationalen und internationalen urologischen Fachgesellschaften dies tun. Unter sachgerecht sei dabei die altersbezogene Anwendung (50 bis 65 Jahre) und die Beachtung des Ausgangswertes entsprechend der S3-Leitlinie Prostatakarzinom zu verstehen.
Mit Bezug auf die Tatsache, dass der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) anlässlich der Präsentation seines aktuellen IGeL-Monitors individuelle Gesundheitsleistungen relativ pauschal verurteilt hatte, machte Hakenberg deutlich: „Diese Pauschalverurteilung ist eine Frechheit. IGeLn ist kein Volkssport unter Fachärzten, und Ärzte sind keine Abzocker.“
Auch BDU-Präsident Schröder betonte: „Selbstzahlerleistungen können im individuellen Fall medizinisch sinnvoll sein. Dazu zählen DGU und BDU ausdrücklich auch den PSA-Test zur individuellen Früherkennung“.
Die Früherkennung des häufigsten Tumors des Mannes solle eine ähnliche politische Bedeutung bekommen, wie sie die staatliche geförderte Früherkennung des häufigsten Tumors der Frau seit Jahrzehnten habe, so Hakenberg. Noch in diesem Jahr, so kündigte Hakenberg an, ist ein Antrag an den G-BA geplant, die Anfangs-Erhebung des PSA-Wertes zur Kassenleistung zu machen.
REFERENZEN:
1. 68. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie, 28. September bis 01. Oktober 2016, Leipzig
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Kommt die Rehabilitation des PSA-Testes? Neubewertung einer alten Studie wertet Früherkennung mittels PSA auf - Medscape - 24. Okt 2016.
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