Kein Grund zur Resignation: Auch Träger des Adipositas-Gens FTO können erfolgreich abnehmen

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

24. Oktober 2016

Der Einfluss des im Zuge der Entschlüsselung des Genoms entdeckten „Adipositas-Gens“ FTO auf die Gewichtsreduktion scheint verschwindend gering zu sein. Das zeigt eine neue Meta-Analyse zum Zusammenhang dieses „fat mass and obesity associated“(FTO)-Gens mit der Fähigkeit Gewicht durch Diät, Sport oder Medikamente loszuwerden [1].

Prof. Dr. Martin Wabitsch

In den 8 analysierten Studien mit fast 10.000 Teilnehmern hatten Probanden mit Adipositas-assoziierten Mutationen im FTO-Gen im Schnitt nicht signifikant weniger Gewicht verloren als Nicht-Träger dieser Mutation.

Effekt des FTO-Gens geht unter

„Mich verwundern diese Ergebnisse nicht. Sie zeigen, dass Risiko-Allele, die bei Genanalysen in Zusammenhang mit Adipositas gebracht wurden, einen derart geringen Effekt auf die Gewichtsreduktion haben, der zudem noch von vielen Einflussfaktoren abhängt, dass er in einer solch großen Gruppe untergeht“, kommentiert Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Ulm, im Gespräch mit Medscape. Damit hätten sich die Hoffnungen, dass sich Übergewicht zumindest teilweise über Genmutationen erklären lasse, so nicht erfüllt, fügt er an.

Viele Studien haben gezeigt, dass Variationen im FTO-Gen mit Übergewicht und einer erhöhten Körperfettmasse korrelieren. Im Schnitt wiegen Träger der Risiko-Mutation 3 kg mehr und haben ein 1,7-fach erhöhtes Risiko für eine Adipositas im Vergleich zu denjenigen, die diese Mutation nicht aufweisen.

Studien mit fast 10.000 Patienten ausgewertet

Die Wissenschaftler um Dr. Katherine Livingstone, Newcastle University, UK, haben anhand von individuellen Patientendaten aus 8 Studien (n = 9.563; 3 Studien mit Diät-Interventionen, 3 mit Diät- und Bewegungs-Interventionen, 1 ausschließlich mit Bewegungs-Intervention und 2 mit Medikamenten-Interventionen; Durchschnittsalter der Probanden: 52 Jahre; durchschnittlicher BMI: 32,2) untersucht, ob der FTO-Genotyp auch die Ausprägung des Gewichtsverlusts innerhalb eines randomisierten Abnehm-Programms (durch Diät, Sport oder Medikamente) beeinflusst.

 
Mich verwundern diese Ergebnisse nicht. Prof. Dr. Martin Wabitsch
 

Bei allen untersuchten Studien handelte es sich um randomisierte kontrollierte Interventionsstudien mit übergewichtigen oder adipösen (BMI ≥ 25) Teilnehmern, die ein Programm zur Gewichtsreduktion durchliefen und deren Gewichtsverlust bzw. Veränderungen in BMI oder Bauchumfang mit dem FTO-Genotyp in Zusammenhang gebracht wurde.

In den 8 analysierten Studien wogen die Träger eines Risiko-Allels des FTO-Gens zu Studienbeginn im Schnitt 0,89 kg mehr als Nicht-Träger des Allels. Nach den Interventionen zur Gewichtsabnahme stellten die Wissenschaftler hinsichtlich Gewichtsverlust, BMI und Bauchumfang jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden unterschiedlichen FTO-Genotypen fest.

Adipositas-Ursache nicht monogenetisch 

„Wahrscheinlich spielen nicht ein einziges oder wenige, sondern eine Vielzahl an Genen bei der Gewichtsregulation eine Rolle“, vermutet Wabitsch. Ausgenommen davon seien Patienten mit funktionellen Defekten im Sättigungs-Rezeptor Melanocortin(MC)-4 oder solche mit Leptin-Mangel, beides mit Auswirkungen auf das Körpergewicht, die am Mausmodell experimentell untersucht und belegt wurden. Diese Fälle seien jedoch sehr selten und treten bereits in der frühen Kindheit auf. Eine genetische Analyse mache bei Verdacht auf einen solchen Defekt Sinn, auch, „da vielleicht in Zukunft neue pharmakologische Therapien für diesen einen Defekt gefunden werden können, der für die Adipositas verantwortlich ist“, wie Medscape berichtete.

 
Wahrscheinlich spielen nicht ein einziges oder wenige, sondern eine Vielzahl an Genen bei der Gewichtsregulation eine Rolle. Prof. Dr. Martin Wabitsch
 

Bei Übergewichtigen, bei denen diese Defekte nicht vorliegen, seien dagegen Genanalysen nicht zielführend, sagt Wabitsch. Ein Risiko-Allel des FTO-Gens tragen immerhin 42% der allgemeinen Bevölkerung, fügt er an.

Zwar könne sich diese Mutation beim Einzelnen auf die Ernährung auswirken – es bestehe beispielsweise eine Neigung, mehr fett- und zuckerhaltiger Nahrung zu sich zu nehmen und damit mehr Energie aufzunehmen und auch langsamer satt zu werden, sagt Wabitsch. Diese Effekte können jedoch nur unter sehr standardisierten Bedingungen herausgearbeitet werden und verlören bei Gewichtsreduktionsprogrammen, wie sie in den untersuchten Studien durchgeführt werden, jegliche Bedeutung. „Daher bringen individualisierte Therapien basierend auf einer Gen-Analyse bei Übergewichtigen nichts“, schussfolgert der Experte.

Der gleichen Ansicht sind Livingstone und ihre Kollegen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Träger des mit Adipositas assoziierten Allels ebenso gut auf diätische, sportliche und Medikamenten-basierte Gewichtsreduktions-Maßnahmen reagieren wie solche, bei denen dieses Allel nicht vorkommt“, schlussfolgern sie. Daher können solche Maßnahmen einer genetischen Prädisposition für Adipositas „zumindest teilweise gegensteuern“. Die Studienautoren bezeichnen das als „wichtige Erkenntnis für die Entwicklung effektiver Maßnahmen zur Gewichtsreduktion“ zum Kampf gegen die weltweite Adipositas-Epidemie.

Systemische Strategien statt individuelle Maßnahmen gegen Adipositas

Dr. Alison Tedstone, leitende Ernährungswissenschaftlerin bei Public Health England, empfiehlt daher beim Kampf gegen Adipositas den Fokus weg von individuellen Maßnahmen, bei denen auch genetische Variationen berücksichtigt werden, hin zu systemischen Strategien zu lenken.

 
Jeder, der mit Übergewicht kämpft, hat eine starke biologische Anlage hierfür und muss deutlich mehr tun … Prof. Dr. Martin Wabitsch
 

Zwar könne das Wissen über die Verbindung von Diät und genetischen Variationen Menschen mit sehr seltenen Formen von Adipositas helfen, sagt sie in einem Editorial zu der Meta-Analyse [2]. Jedoch „dürfte sich die Idee, dass die Gesamtbevölkerung von personalisierten Interventionen, die auf dem Genom basieren, profitiert, wahrscheinlich nicht auszahlen, zumindest nicht kurzfristig“, schreibt sie.

Um die Adipositas-Welle stoppen zu können, seien gesamtgesellschaftliche Strategien wohl effektiver. Auch Wabitsch ist der Meinung, dass Adipositas eher durch die Förderung eines gesunden, aktiven Lebensstils als durch Genanalysen bekämpft werden kann. „Trotzdem sollten Betroffene nicht stigmatisiert werden“, bemerkt er. „Jeder, der mit Übergewicht kämpft, hat eine starke biologische Anlage hierfür und muss deutlich mehr tun, um sein Gewicht im Normalbereich zu halten.“

 

REFERENZEN:

1. Livingstone KM, et al: BMJ 2016;354:i4707

2. Tedstone A: BMJ 2016;354:i4980

 

Kommentar

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