Die aktive Überwachung (Active Surveillance, AS) ist bei Männern mit lokalem Prostatakarzinom zwar mit einer stärkeren Krankheitsprogression assoziiert als die radikale Prostatektomie oder die Radiotherapie. Dennoch bleibt die Art der Therapie in den ersten 10 Jahren ohne Auswirkung auf das Überleben. Das zeigt die Auswertung der ProtecT-Studie (Prostate Testing for Cancer and Treatment) durch Prof. Dr. Freddie C. Hamdy von der Oxford Universität und Kollegen [1].
Um die Effektivität von AS, radikaler Prostatektomie und Strahlentherapie zu prüfen, wurden für die britische ProtecT-Studie zwischen 1999 und 2009 aus 82.429 Männern im Alter zwischen 50 und 69 Jahren 2.664 Männer selektiert, bei denen mittels PSA-Test ein lokales Prostatakarzinom festgestellt worden war. 1.643 Probanden nahmen an der randomisierten Studie teil: 545 Männer wurden aktiv überwacht, 553 radikal prostatektomiert und 545 Männer erhielten eine Bestrahlung. Primärer Endpunkt der Studie war die prostatakarzinom-assoziierte Mortalität nach 10 Jahren.
Sekundäre Endpunkte waren die Krankheitsprogression, Metastasen und die Gesamtmortalität. Median waren die Männer 62 Jahre alt und hatten einen PSA-Wert von 4,6 ng/ml. 77% der Teilnehmer wiesen einen Gleason-Score von 6 auf und 76% der Teilnehmer hatten einen T1c-Tumor. Aufgrund ihres erhöhten PSA-Wertes wurden von den 545 Männern der aktiven Überwachungs-Gruppe bis Ende 2015 insgesamt 291 doch noch operiert (n = 142) oder bestrahlt.
Innerhalb von 10 Jahren starben 17 Patienten an Prostatakrebs: Darunter waren 8 aus der Überwachungs-Gruppe (1,5 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre), 5 aus der Gruppe mit radikaler Prostatektomie (0,9 pro 1.000 Personenjahre) und 4 aus der Gruppe mit Strahlentherapie (0,7 pro 1.000 Personenjahre). Diese Unterschiede waren nicht signifikant (p = 0,48). Auch bei der Gesamtmortalität zeigten sich keine signifikanten Unterschiede (10,9 vs 10,1 vs 10,3 pro 1.000 Personenjahre).
Metastasen unter aktiver Beobachtung häufiger
Laut Hamdy und Team war jedoch ein Trend für eine häufigere Metastasierung unter aktiver Überwachung erkennbar. Metastasen fanden sich bei 33 Männern aus der AS-Gruppe (6,3 Ereignisse pro 1.000 Personenjahre). In der Gruppe mit radikaler Prostatektomie gab es 2,4 Metastasierungen, unter Bestrahlung 3,0 – jeweils pro 1.000 Personenjahre.
Statistisch signifikant (p<0,001) unterschied sich die Zahl von Patienten mit Krankheitsprogression. Dokumentiert wurden hier ein Tumorstadium T3 oder T4, die Aufnahme einer Hormontherapie sowie Harnwegsobstruktionen, rektale Fisteln oder die Notwendigkeit eines Blasenkatheters. In der AS-Gruppe betrug die Ereignisrate 22,9, in der Prostatektomie-Gruppe 8,9 und nach Bestrahlung 9,0 pro 1.000 Personenjahre.
Auf Basis der Studienergebnisse berechneten Hamdy und Kollegen auch die Number Needed to Treat (NNT). Danach müssten sich 27 Männer – statt nur aktiv überwacht zu werden – einer Operation unterziehen, um bei einem Patienten die Metastasierung zu verhindern. Entsprechend müssten 33 Männer bestrahlt werden, um bei einem Patienten die Krankheitsprogression zu verhindern.
„Chirurgie und Radiotherapie waren im Vergleich zur aktiven Beobachtung assoziiert mit geringeren Inzidenzen für Krankheitsprogression und Metastasen“, bilanziert Hamdy.
Die Patienten sind inzwischen im Durchschnitt 72 Jahre alt und bewegen sich auf die durchschnittliche Lebenserwartung zu, die in Großbritannien für Männer derzeit bei 78 Jahren liegt. Die meisten Männer in der Gruppe mit aktiver Überwachung dürften daher an anderen Ursachen sterben, bevor ihr Tumor metastasiert.
Im begleitenden Editorial schreibt Prof. Dr. Anthony V. D’Amico vom Brigham and Women’s Hospital in Boston hierzu: „Wir können jetzt mit Evidenzgrad Ia sagen, dass aktive Überwachung – verglichen mit frühzeitiger Therapie – die Metastasierung fördert“. Deshalb, so D`Amico, solle bei einem Mann, der eine Metastasierung und die Nebenwirkungen einer Therapie vermeiden wolle, nur dann aktiv überwacht werden, wenn er an einer anderen Erkrankung mit einer Lebenserwartung unter 10 Jahren leide.
Prostatektomie und Bestrahlung: Stärkere Nebenwirkungen als unter AS
Prof. Dr. Jenny L. Donovan und Kollegen werteten in einer zweiten Analyse die Daten zur Lebensqualität der Patienten aus der ProtecT-Studie aus – und zwar anhand der Angaben der Patienten [2].
Viele Patienten berichteten demnach über Erektionsstörungen: Hatten vor Beginn der Studie noch 67% der Männer eine Erektion, die sie zum Koitus befähigte, waren es nach 6 Monaten deutlich weniger: 52% unter AS, 12% in der Prostatektomie-Gruppe und 22% nach Bestrahlung. Nach 6 Jahren hatte sich die Rate der Erektionsfähigkeit in der Prostatektomie-Gruppe bei 17% eingependelt, unter Bestrahlung bei 27% und in der AS-Gruppe bei 30%.
Die Harnwegsfunktion war nach Prostatektomie am deutlichsten langfristig beeinflusst: Nach 6 Monaten waren 46% der prostatektomierten Patienten auf Einlagen angewiesen, im Vergleich zu 4% in der AS-Gruppe und 5% in der Bestrahlungsgruppe. Nach 6 Jahren waren in der Prostatektomie-Gruppe noch 17% der Männer auf Einlagen angewiesen, 8% in der AS-Gruppe und 4% unter Bestrahlung.
Auch wenn die Bestrahlung auf die Harnwegskontinenz damit nur einen geringen Effekt hatte, sah dies bei der Darmfunktion ganz anders aus. Die war unter Bestrahlung nach 6 Monaten schlechter als in den anderen Gruppen, erholte sich aber etwas. Bestehen blieb allerdings eine erhöhte Neigung zu Blutstühlen.
In den anderen Gruppen war die Darmfunktion unverändert. Auch zu unwillkürlichem Harnabgang und Nokturie kam es nach 6 Monaten unter Bestrahlung häufiger, die Probanden erholten sich aber und die Ergebnisse waren nach 12 Monaten mit denen aus den anderen beiden Gruppen vergleichbar. Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen wurden bei den Parametern Ängstlichkeit, Depression oder generelle Lebensqualität beobachtet.
REFERENZEN:
1. Hamdy FC, et al: NEJM (online) 14. September 2016
2. Donovan JL, et al: NEJM (online) 14. September 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Aktive Überwachung beim lokalen Prostatakarzinom: Nach zehn Jahren häufiger Metastasen als nach OP oder Bestrahlung - Medscape - 20. Okt 2016.
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