Aktive Überwachung beim lokalen Prostatakarzinom: Nach zehn Jahren häufiger Metastasen als nach OP oder Bestrahlung

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

20. Oktober 2016

Die aktive  Überwachung (Active Surveillance, AS) ist bei Männern mit lokalem  Prostatakarzinom zwar mit einer stärkeren Krankheitsprogression assoziiert als  die radikale Prostatektomie oder die Radiotherapie. Dennoch bleibt die Art der  Therapie in den ersten 10 Jahren ohne Auswirkung auf das Überleben. Das zeigt die  Auswertung der ProtecT-Studie (Prostate Testing for Cancer and Treatment) durch Prof. Dr. Freddie C. Hamdy von der  Oxford Universität und Kollegen [1].

Um die Effektivität  von AS, radikaler Prostatektomie und Strahlentherapie zu prüfen, wurden für die  britische ProtecT-Studie zwischen 1999 und 2009 aus 82.429 Männern im Alter  zwischen 50 und 69 Jahren 2.664 Männer selektiert, bei denen mittels PSA-Test ein  lokales Prostatakarzinom festgestellt worden war. 1.643 Probanden nahmen an der  randomisierten Studie teil: 545 Männer wurden aktiv überwacht, 553 radikal  prostatektomiert und 545 Männer erhielten eine Bestrahlung. Primärer Endpunkt der  Studie war die prostatakarzinom-assoziierte Mortalität nach 10 Jahren.

Sekundäre Endpunkte waren  die Krankheitsprogression, Metastasen und die Gesamtmortalität. Median waren  die Männer 62 Jahre alt und hatten einen PSA-Wert von 4,6 ng/ml. 77% der Teilnehmer wiesen einen Gleason-Score von 6 auf und 76%  der Teilnehmer hatten einen T1c-Tumor. Aufgrund ihres erhöhten PSA-Wertes  wurden von den 545 Männern der aktiven Überwachungs-Gruppe bis Ende 2015  insgesamt 291 doch noch operiert (n = 142) oder bestrahlt.

 
Chirurgie und Radiotherapie waren im Vergleich zur AS mit geringeren Inzidenzen für Krankheitsprogression und Metastasen assoziiert. Prof. Dr. Freddie Hamdy
 

Innerhalb von 10  Jahren starben 17 Patienten an Prostatakrebs:  Darunter waren 8 aus der Überwachungs-Gruppe (1,5 Ereignisse pro 1.000  Personenjahre), 5 aus der Gruppe mit radikaler Prostatektomie (0,9 pro 1.000  Personenjahre) und 4 aus der Gruppe mit Strahlentherapie (0,7 pro 1.000  Personenjahre). Diese Unterschiede waren nicht  signifikant (p = 0,48). Auch bei der Gesamtmortalität zeigten sich keine signifikanten  Unterschiede (10,9 vs 10,1 vs 10,3 pro 1.000 Personenjahre).

Metastasen unter aktiver Beobachtung häufiger

Laut Hamdy und Team war  jedoch ein Trend für eine häufigere Metastasierung unter aktiver Überwachung erkennbar.  Metastasen fanden sich bei 33 Männern aus der AS-Gruppe (6,3 Ereignisse pro 1.000  Personenjahre). In der Gruppe mit radikaler Prostatektomie gab es 2,4 Metastasierungen,  unter Bestrahlung 3,0 – jeweils pro 1.000 Personenjahre.

Statistisch  signifikant (p<0,001) unterschied sich die Zahl von Patienten mit Krankheitsprogression.  Dokumentiert wurden hier ein Tumorstadium T3 oder T4, die Aufnahme einer  Hormontherapie sowie Harnwegsobstruktionen, rektale Fisteln oder die  Notwendigkeit eines Blasenkatheters. In der AS-Gruppe betrug die Ereignisrate 22,9, in der Prostatektomie-Gruppe 8,9 und nach Bestrahlung 9,0 pro 1.000 Personenjahre.

Auf Basis der  Studienergebnisse berechneten Hamdy und Kollegen auch die Number Needed to Treat  (NNT). Danach müssten sich 27 Männer – statt nur aktiv überwacht zu werden –  einer Operation unterziehen, um bei einem Patienten die Metastasierung zu  verhindern. Entsprechend müssten 33 Männer bestrahlt werden, um bei einem  Patienten die Krankheitsprogression zu verhindern.

„Chirurgie und Radiotherapie  waren im Vergleich zur aktiven Beobachtung assoziiert mit geringeren Inzidenzen  für Krankheitsprogression und Metastasen“, bilanziert Hamdy.
Die Patienten sind inzwischen im  Durchschnitt 72 Jahre alt und bewegen sich auf die durchschnittliche  Lebenserwartung zu, die in Großbritannien für Männer derzeit bei 78 Jahren  liegt. Die meisten Männer in der Gruppe mit aktiver Überwachung dürften daher an  anderen Ursachen sterben, bevor ihr Tumor metastasiert.

Im begleitenden  Editorial schreibt Prof. Dr. Anthony  V. D’Amico vom Brigham and Women’s Hospital in Boston hierzu: „Wir können jetzt mit Evidenzgrad  Ia sagen, dass aktive Überwachung – verglichen mit frühzeitiger Therapie – die  Metastasierung fördert“. Deshalb, so D`Amico, solle bei einem Mann, der  eine Metastasierung und die Nebenwirkungen einer Therapie vermeiden wolle, nur  dann aktiv überwacht werden, wenn er an einer anderen Erkrankung mit einer  Lebenserwartung unter 10 Jahren leide.

Prostatektomie und  Bestrahlung: Stärkere Nebenwirkungen als unter AS

Prof. Dr. Jenny L.  Donovan und Kollegen werteten  in einer zweiten Analyse die Daten zur Lebensqualität der Patienten aus der  ProtecT-Studie aus – und zwar anhand der Angaben der Patienten [2].

Viele Patienten berichteten demnach über Erektionsstörungen: Hatten vor Beginn der Studie noch 67% der Männer eine  Erektion, die sie zum Koitus befähigte, waren es nach 6 Monaten deutlich  weniger: 52% unter AS, 12% in der Prostatektomie-Gruppe und 22% nach  Bestrahlung. Nach 6 Jahren hatte sich die Rate der Erektionsfähigkeit in der  Prostatektomie-Gruppe bei 17% eingependelt, unter Bestrahlung bei 27% und in  der AS-Gruppe bei 30%.

 
Wir können jetzt mit Evidenzgrad Ia sagen, dass aktive Überwachung – verglichen mit frühzeitiger Therapie – die Metastasierung fördert. Prof. Dr. Anthony V. D’Amico
 

Die Harnwegsfunktion war nach Prostatektomie am  deutlichsten langfristig beeinflusst: Nach 6 Monaten waren 46% der  prostatektomierten Patienten auf Einlagen angewiesen, im Vergleich zu 4% in der  AS-Gruppe und 5% in der Bestrahlungsgruppe. Nach 6 Jahren waren in der  Prostatektomie-Gruppe noch 17% der Männer auf Einlagen angewiesen, 8% in  der AS-Gruppe und 4% unter Bestrahlung.

Auch wenn die Bestrahlung auf die Harnwegskontinenz  damit nur einen geringen Effekt hatte, sah dies bei der Darmfunktion ganz  anders aus. Die war unter Bestrahlung nach 6 Monaten schlechter als in den  anderen Gruppen, erholte sich aber etwas. Bestehen blieb allerdings eine  erhöhte Neigung zu Blutstühlen.

In den anderen Gruppen war die Darmfunktion  unverändert. Auch zu unwillkürlichem Harnabgang und Nokturie kam es nach 6  Monaten unter Bestrahlung häufiger, die Probanden erholten sich aber und die  Ergebnisse waren nach 12 Monaten mit denen aus den anderen beiden Gruppen  vergleichbar. Keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen wurden bei  den Parametern Ängstlichkeit, Depression oder generelle Lebensqualität beobachtet.

 

REFERENZEN:

1. Hamdy FC,  et al: NEJM (online) 14. September 2016

2. Donovan JL,  et al: NEJM (online) 14. September 2016

 

Kommentar

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