Enzyme in vielen Lebensmitteln und Haushaltsprodukten sind starke Allergene. Leider gibt es für die meisten zurzeit noch keine passenden Testverfahren, mit denen das individuelle Gesundheitsrisiko eingeschätzt werden kann. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin in Hamburg [1].
In einer Querschnittstudie mit 813 Arbeitern, die während der Produktion von Verbrauchsgütern und Lebensmitteln unterschiedlichen künstlichen Enzymen ausgesetzt waren, stellte das Autorenteam um Prof. Dr. Lygia Budnik fest, dass das Risiko für die Arbeiter mit etwa 23% hoch war, Sensibilisierungen und Allergien zu entwickeln.
Zuverlässige IgE-Testverfahren fehlen allerdings, sodass die Forscher zunächst selbst einen Test entwickeln mussten. Johannes Schulze, Toxikologe und Pharmakologe am Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Goethe-Universität Frankfurt, sieht hier Handlungsbedarf. Er sagt: „Ich lese aus der Studie einen deutlichen Appell heraus, gute Testverfahren für veränderte Enzyme zu entwickeln.“
Aromen, Düfte, Geschmacks- und Wirkkraftverstärker – künstliche Enzyme nehmen zu
Bei den Enzymen handelt es sich um solche, die als Aromen und Geschmacksverstärker in Lebensmitteln verwendet werden (Proteinasen wie Papain, auch Xylanase, Glucanase) sowie um Wirkkraftverstärker und Düfte in Reinigungsmitteln, Waschmitteln und Arzneimitteln (z.B. Stainzyme, wie -Amylase, Proteinasen wie Savinase, Papain und Trypsin sowie Phytase und Lipase). Weitere in der Studie untersuchte Enzyme waren Cellulase, Pancreatinin und Ovozyme.
Künstliche Enzyme haben in den vergangenen Jahren immens an Bedeutung gewonnen. Der Wert dieses Industriezweiges wird auf mehr als 10 Milliarden Dollar geschätzt, Tendenz steigend. Neue Herstellungsverfahren und der Wunsch der Verbraucher nach aromatisierten und fettreduzierten Lebensmitteln hat zu einem explosionsartigen Produktionsanstieg geführt. Auf welchem Herstellungsverfahren die in der Studie untersuchten Enzyme beruhen, wird in der Arbeit nicht erklärt. Die Rezepturen der hergestellten Produkte waren den Wissenschaftlern nicht zugänglich.
Herstellungsverfahren beeinflussen allergene Eigenschaften der Enzyme
Dass Enzyme Sensibilisierungen und Allergien auslösen können, ist schon lange bekannt. Bereits seit den 1960er-Jahren gibt es Studien, die das Allergiepotenzial von natürlichen Enzymen belegen. Die im September in der Fachzeitschrift Occupational and Environmental Medicine erschienene Studie der Hamburger Forschungsgruppe suchte nach Hinweisen, dass auch künstlich hergestellte Enzyme Sensibilisierungen hervorrufen können.
Sie vermuteten, dass die Herstellungsverfahren die allergenen Eigenschaften beeinflussen. Dabei fanden die Wissenschaftler deutliche Belege dafür, dass insbesondere diese „neuen“ Enzyme potente Allergene sind, die Sensibilitäten vom Sofort-Typ hervorrufen.
Arbeiter auf IgE-Antikörper getestet
Die in die Studie eingeschlossene Population arbeitete in unterschiedlichen Produktionsstätten und war zwischen 2 und 4 unterschiedlichen Enzymen für einen Zeitraum zwischen 3 Monaten und 10 Jahren ausgesetzt. Die Arbeiter wurden von 2007 bis 2013 mit eigens entwickelten Testverfahren auf spezifische IgE-Antikörper getestet.
23% der Arbeiter, die über einen längeren Zeitraum enzymhaltigen trockenen Stäuben oder flüssigem Aerosol ausgesetzt waren, zeigten eine Typ-I-Sensibilisierung mit IgE-Antikörpern. Die höchste Sensitivität wurde bei Enzymen in Reinigungsmitteln festgestellt: Beta-Amylase (44% der sensibilisierten Arbeiter), Stainzyme (41%) und Pancreatinin (35%). Die höchste Antikörperkonzentration wurde bei Phytase, Xylanase und Glucanase gemessen: bis zu 110 kU/l.
Bei einer repräsentativen Gruppe von 134 Arbeitern war es möglich, zusätzlich allergische Symptome zu erfassen. 64% dieser Subgruppe war asymptomatisch, 19% litten unter Rhinitis und/ oder Konjunktivitis, 17% zeigten eine exspiratorische Atemstörung und/oder weitere asthmatische Symptome. Eine Korrelation zwischen spezifischen IgE-Werten und den Symptomen konnte festgestellt werden.
Spezifische Allergie-Tests für künstliche Enzyme fehlen
Beachtenswert an der Studie ist unter anderem, dass die herkömmlichen IgE-Tests keine zuverlässigen Ergebnisse lieferten, sodass ein geeigneter Test erst entwickelt werden musste. Die Autoren halten es für problematisch, dass das individuelle Gesundheitsrisiko von Arbeitern unter Expression von künstlichen Enzymen derzeit nicht ermittelt werden kann, weil keine passenden Testverfahren erhältlich sind.
Schulze sagt: „Gute Testverfahren für veränderte Enzyme zu entwickeln ist langwierig, weil die Tests das gesamte Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Außerdem gibt es hier auch eine Marktkomponente. Möglicherweise ist das Problem ähnlich wie bei den Orphan Drugs: Die Entwicklungskosten für die Tests werden nicht wieder erwirtschaftet.“ Die Frage ist jedoch: Sind möglicherweise nicht nur Arbeiter, sondern auch Verbraucher gefährdet? Ob auch der Umgang mit den Endprodukten das Allergierisiko erhöht, wurde in der Studie nicht untersucht.
Die Risikobewertung läuft erst an
Medscape fragte beim Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nach, wie das in der Studie gefundene Risiko für Endverbraucher dort eingeschätzt wird. Das BfR sagt dazu: „Die Autoren der Studie machen ihre Aussagen im Wesentlichen im Hinblick auf Gefahren für Menschen, die am Arbeitsplatz bestimmten Enzymen massiv ausgesetzt sind. Dies trifft auf Verbraucher nicht zu. Allergische Reaktionen bei Arbeitern treten in erster Linie nach Einatmen von Stäuben auf, die während der Herstellung entstehen. Proteasen können zu Irritationen von Haut, Auge und Atemwegen führen. Deshalb werden Enzyme in Detergenzien in einer eingekapselten Form eingesetzt, die einen direkten Kontakt des Verbrauchers mit den Enzymen verhindert, auch wenn das Waschmittel staubt.“
Um das Risiko für Verbraucher einzuschätzen, ist für jede Substanz eine Einzelfallbetrachtung notwendig. Und für jede Risikobewertung einer Einzelsubstanz wird eine Reihe toxikologischer Endpunkte, wie z.B. die akute Toxizität, die chronische Toxizität, die Kanzerogenität oder die Sensibilisierung, herangezogen. Die Bewertungsverfahren für Risiken sind meist ähnlich oder gleich, aber die Prüfmethoden und Bewertungsansätze sind durchaus verschieden. Das ist sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene so.
Wer für die Risikobewertung letztlich zuständig ist, hängt davon ab, wofür die zu bewertende Substanz verwendet wird. So kommt es, dass das BfR nicht die einzige zuständige Bundesbehörde ist. Das Umweltbundesamt bewertet Risiken für die Umwelt, die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) kümmert sich um den Schutz am Arbeitsplatz und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verfolgt die Aufgaben Risikomanagement und Verbraucherschutz, unter anderem bei Lebensmitteln, Verbrauchsgütern und Tierarzneimitteln.
Alle müssen sich mit unterschiedlichen EU-Behörden abstimmen. Die Einhaltung der Regelungen wird wiederum von den Überwachungsbehörden der Bundesländer überprüft, die auch für die Auslegung der Vorschriften verantwortlich sind. So kommt es, dass die Risikobewertung ein langwieriger Prozess ist und die Regulierung ein unübersichtliches Feld.
In welchen Produkten genau die künstlichen Enzyme zurzeit enthalten sind, wissen nur die Hersteller selbst. Sie sind in der Pflicht, diese Informationen im Internet zur Verfügung zu stellen. Im Lebensmittelbereich ist man im Hinblick auf die Regulierung von künstlichen Enzymen dennoch einen Schritt weiter als bei den Verbrauchsgütern. Dort ist auf EU-Ebene eine rechtlich bindende Gemeinschaftsliste in Planung. Sie kommt allerdings erst, wenn die beantragten Substanzen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewertet und das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene abgeschlossen ist. Geschätzte Bearbeitungsdauer: mehrere Jahre. Bis dahin kann man sich immerhin anschauen, für welche Enzyme ein Antrag zur Aufnahme gestellt wurde – es sind 300.
Schutzmaßnahmen für wen und wie?
Doch wie sollen so lange die Schutzmaßnahmen für Arbeiter und Verbraucher aussehen? Denn dass es ein erhöhtes Risiko gibt, ist laut der vorgelegten Studie unzweifelhaft. Standards für die Prävention von Allergien bei genetisch hergestellten Enzymen sind bislang nicht bekannt. Das für den Arbeitsschutz zuständige BAuA sagt: „Wie relevant der Beitrag einer erhöhten Verwendung von auf biotechnologisch hergestelltem Weg Enzymen zusätzlich zu den beruflichen Expositionen gegenüber ‚natürlichen‘ Enzymen und Chemikalien ist, ist noch genau einzugrenzen, da es ein relativ neues Thema darstellt."
Die Studienautoren empfehlen als Schutzmaßnahme für Arbeiter eine sorgfältige Arbeitshygiene. Dazu gehören regelmäßige Luftproben (Umgebungsmonitoring, z.B. durch Proben aus Luftfiltern) und IgE-Testung bei den Arbeitern (Biomonitoring unter Verwendung der in der Arbeitsumgebung verwendeten Enzyme). Biomonitoring ist aus Mangel an spezifischen Testverfahren jedoch schwierig.
Schulze sieht auch die Produktionsunternehmen in der Verantwortung: „Arbeitnehmer müssen über Gesundheitsrisiken und Vorbeugung informiert werden. Das ist bei Verbrauchern nicht nur wegen des derzeitig für sie unklaren Risikos schwieriger. Zumindest sollten alle Produkte, die künstliche Enzyme enthalten, gekennzeichnet werden. Sollte die Risikobewertung ein relevantes Risiko ergeben, müssten weitere Maßnahmen getroffen werden. Man sollte dabei bedenken, dass für Verbraucher eher eine abstrakte Gefährdung vorliegt, für Arbeiter besteht hingegen die reale Gefahr der Sensibilisierung.“
Das BVL bestätigt die Verantwortung der Unternehmer: „Die aufgeführten Enzyme Amylase, Papain und Trypsin sind in der CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) als Gefahrenklasse ‚Resp. Sens. 1‘ (Sensibilisierung der Atemwege) gelistet und sind daher mit dem Gefahrenhinweis ,Kann bei Einatmen Allergie, asthmaartige Symptome oder Atembeschwerden verursachen’ zu kennzeichnen. Für die Rechtskonformität und die Sicherheit von solchen Produkten ist der Inverkehrbringer, also in der Regel der Hersteller oder Importeur verantwortlich.“
Aus medizinischer Sicht sind die komplizierten Regularien nicht entscheidend. Aber für Menschen, die am Arbeitsplatz Allergien entwickeln, wird es durch die Komplexität schwierig, spezifische Schutzmaßnahmen einzufordern.
REFERENZEN:
1. Budnik LT, et al: Occup Environ Med (online) 21. September 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Viele in Lebensmitteln und Haushaltsprodukten enthaltene Enzyme sind offenbar starke Allergene – notwendige Tests gibt es noch nicht - Medscape - 19. Okt 2016.
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