Vorhofflimmern: Vorbote von deutlich mehr Erkrankungen als gedacht – gibt es einen kausalen Zusammenhang?

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

18. Oktober 2016

Vorhofflimmern kann nicht nur ein Vorbote eines Schlaganfalls sein, sondern auch einer ganzen Reihe anderer ernsthafter Erkrankungen, darunter Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz und chronische Nierenkrankheit. Dies hat ein Review ergeben mit Daten von mehr als 9,5 Millionen Patienten – rund 588.000 davon mit Vorhofflimmern [1].

Die Ergebnisse zeigen, so die Forscher, dass für Patienten mit Vorhofflimmern auch die Risiken zahlreicher anderer Erkrankungen deutlich höher sind – diese Patienten sind durch weit mehr gefährdet als durch das seit langem bekannte und wissenschaftlich belegte Risiko eines Schlaganfalls.

Die Metaanalyse „trägt zum immer größer werdenden Datenpool bei, der einen Zusammenhang von Vorhofflimmern und kardiovaskulären Outcomes über den Schlaganfall hinaus zeigen“, schreiben die Autoren um Ayodele Odutayo, University of Oxford, Großbritannien. Sie haben Daten aus 104 Studien zum Zusammenhang von Vorhofflimmern und den Risiken für kardiovaskuläre und renale Erkrankungen sowie der Mortalität untersucht.

Bisher werde Vorhofflimmern meist erst erkannt und die Patienten entsprechend behandelt, wenn sie Beschwerden wie Herzrasen, Herzstolpern oder Schwäche bemerken und als störend empfinden, sagt Prof. Dr. Thorsten Lewalter, Chefarzt der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin der Kliniken Dr. Müller, München. Bei Zufallsbefunden ohne Symptome finde nicht zwangsläufig eine Therapie statt. „Hier liegt der besondere Wert dieser Arbeit", sagt Lewalter gegenüber Medscape. „Wir lernen, dass Vorhofflimmern mit vielen negativen Ereignissen korreliert und vielleicht auch kausaliert.“ Entscheidend sei, dass die Metaanalyse Daten von mehr als 9,5 Millionen Patienten untersuche und damit verlässliche Ergebnisse liefere.

Herzinsuffizienz-Risiko steigt um das Fünffache

Bei Patienten mit Vorhofflimmern verdoppelt sich laut den Ergebnissen der Metaanalyse das Risiko an einer kardiovaskulären Ursache zu sterben; das Schlaganfallrisiko war 2,3-fach, das für schwere kardiovaskuläre Ereignisse 2,5-fach erhöht. Am stärksten stieg bei Patienten mit Vorhofflimmern das Risiko für eine Herzinsuffizienz. Dieses Risiko war um das Fünffache erhöht, stellten die Autoren fest.

 
Wir lernen, dass Vorhofflimmern mit vielen negativen Ereignissen korreliert und vielleicht auch kausaliert. Prof. Dr. Thorsten Lewalter
 

Das sei bisher nicht bekannt gewesen, genau wie das erhöhte Risiko für Nierenerkrankungen (relatives Risiko, RR 1,31), bemerkt Lewalter. „Das lenkt unseren Blick auf Erkrankungen, die wir bisher im Zusammenhang mit Vorhofflimmern nicht so deutlich im Visier hatten.“ Ebenfalls erhöht waren die Risiken für allgemeine Mortalität (RR 1,46), ischämische Herzkrankheit (RR 1,61), plötzlichen Herztod (RR 1,88) und periphere arterielle Verschlusskrankheit (RR 1,31). In Subgruppen und Sensitivitätsanalysen bestätige sich dieses Ergebnis weitgehend, bemerken die Autoren.

Aufgrund der erhöhten Risiken für zahlreiche Erkrankungen fordern sie klinische Risikomodelle, die die Wahrscheinlichkeit solcher Erkrankungen wie Herzinsuffizienz prognostizieren können. Ebenfalls indiziert seien Maßnahmen, die über die Schlaganfallprävention hinausgehen. „Unsere Studie hat möglicherweise Auswirkungen auf die Priorisierung öffentlicher Ressourcen im Gesundheitswesen und die Entwicklung neuartiger Interventionen für Erwachsene mit Vorhofflimmern“, schreiben Odutayo und Kollegen.

Viel habe sich in jüngster Vergangenheit auf die Entwicklung und Erprobung neuer oraler Antikoagulanzien (NOAK) bei Vorhofflimmern konzentriert. Jedoch zeigten aktuelle Studien, dass NOAK zwar die Schlaganfall-Mortalität verringerten, sich jedoch kaum auf die Mortalität durch Herzinsuffizienz und auf plötzlichen Herztod auswirkten, argumentieren die Forscher.

Prävention: Auch über das Risiko der Herzinsuffizienz aufklären!

 
Das lenkt unseren Blick auf Erkrankungen, die wir bisher im Zusammenhang mit Vorhofflimmern nicht so deutlich im Visier hatten. Prof. Dr. Thorsten Lewalter
 

Zudem habe auch die Wiederherstellung des Sinus-Rhythmus, worauf die pharmakologische Therapie von Vorhofflimmern vornehmlich abziele, bisher keine positiven Auswirkungen auf die Inzidenz eines plötzlichen Herztods, auf den Gesundheitszustand von Herzinsuffizienz-Patienten oder auf die Mortalität gezeigt. „Es könnte sein, dass Therapien zur Rhythmusstabilisierung Vorhofflimmern nicht effektiv behandeln oder Nebenwirkungen verursachen, die sich stärker auswirken als die Vorzüge der Rhythmuskontrolle“, vermuten sie.

Eventuell gebe es aber auch keinen kausalen Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern und den Risiken außerhalb des Schlaganfalls – auch das könne das Ausbleiben positiver Auswirkungen einer Rhythmuskontrolle erklären. Dementsprechend müsse auf Primärprävention und die Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren abgezielt werden – dazu gehöre auch die Berechnung des kardiovaskulären Alters von Patienten.

 
Patienten über 65 sollten von ihrem Hausarzt darauf hingewiesen werden regelmäßig ihren Puls zwei Minuten lang zu fühlen. Prof. Dr. Thorsten Lewalter
 

Zudem solle man Vorhofflimmern auch dann behandeln, wenn keine belastenden Symptome auftreten – dies auch mit dem Ziel, Folgeerkrankungen vorzubeugen, fordert Lewalter. „Dazu gehört auch, dass Kardiologen ihre Patienten mit Vorhofflimmern über mögliche Folgeerkrankungen, etwa das hohe Risiko einer Herzinsuffizienz, aufklären.“

Mit einfachen Maßnahmen könnten die Patienten das Vorhofflimmern zudem selbst spüren, erklärt er. „Patienten über 65 sollten von ihrem Hausarzt darauf hingewiesen werden regelmäßig ihren Puls zwei Minuten lang zu fühlen“, rät er. Das empfehle auch die European Society of Cardiology (ESC). „Das ist weitaus effektiver für die Erkennung von Vorhofflimmern, als alle ein bis zwei Jahre ein EKG machen zu lassen.“

Warum kardiovaskuläre und renale Erkrankungsrisiken bei Patienten mit Vorhofflimmern besonders hoch ausfallen, sei derzeit noch ungeklärt, schreiben die Autoren der Metaanalyse, ebenso wie die Frage, ob es sich um kausale Zusammenhänge handle. Das sei nur hinsichtlich des Schlaganfallrisikos erwiesen. Die Autoren vermuten, Vorhofflimmern könnte als Marker für Risikofaktoren, die allen kardiovaskulären Erkrankungen zu Grunde liegen, etwa Bluthochdruck, Diabetes oder obstruktive Schlafapnoe, fungieren. Bei rund 90% der Patienten mit Vorhofflimmern wird Bluthochdruck diagnostiziert.

 

REFERENZEN:

1. Odutayo A, et al: BMJ 2016;354:i4482

 

Kommentar

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