Studie „Global Burden of Diseases“: Drogen, Rauchen, Bewegungsmangel und falsche Ernährung sind die neuen „Killer“

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

18. Oktober 2016

Berlin – Die Menschen werden weltweit immer älter, aber nicht unbedingt gesünder. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Untersuchung „Global Burden of Diseases, Injuries and Risk Factors (GBD) 2015“, die ein internationales Forscherteam um Prof. Dr. Christopher J. L. Murray von der University of Washington (UW) in Seattle in The Lancet vorgestellt hat [1]. Finanziert wurde die neueste Auflage dieser weltweit größten Bestandsaufnahme zur globalen Gesundheit, in die Daten aus 195 Ländern und Regionen eingeflossen sind, von der Bill and Melinda Gates Foundation. Analysiert haben die Wissenschaftler 249 mögliche Todesursachen, 315 Krankheiten und Verletzungen sowie 79 gesundheitliche Risikofaktoren für den Zeitraum zwischen 1990 und 2015.

Prof. Dr. Detlev Ganten

„Die Bedeutung dieser Studie kann man gar nicht überschätzen“, sagt Prof. Dr. Detlev Ganten, Präsident des World Health Summit, einer internationalen Konferenz, die seit 2009 jedes Jahr im Oktober in Berlin stattfindet, im Gespräch mit Medscape. Die Weltgesundheit zu verbessern, sei unbedingt erforderlich. „Doch um das zu schaffen, muss erst einmal der Ist-Zustand gemessen werden“, betont der langjährige Vorstandsvorsitzende der Berliner Charité.

Nur wenn man erfasse, wo Fortschritte erzielt würden und wo Rückschläge zu verzeichnen seien, könne man sich entsprechende Ziele setzen und konkrete Schritte dorthin planen. „Methodisch ist eine solche weltweite Bestandsaufnahme sehr schwierig, doch mit der GBD-Studie ist ein wunderbarer Anfang gemacht“, sagt Ganten.

Seit 1990 ist die weltweite Lebenserwartung um zehn Jahre gestiegen

Fortschritte wurden in vielen Bereichen gemacht. Wie Murray, Professor für Globale Gesundheit und Direktor des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der UW, und seine fast 1.900 Koautoren in ihrem mehr als 80 Seiten umfassenden Werk berichten, ist die Lebenserwartung der Menschen allein im letzten Vierteljahrhundert weltweit um 10 Jahre auf nunmehr 71,8 Jahre gestiegen. Verantwortlich für diesen raschen Anstieg ist unter anderem der erfolgreiche Kampf gegen HIV und Aids in Schwarzafrika.

Krieg und Gewalt dagegen haben die Lebenserwartung in manchen Regionen der Welt drastisch reduziert: So ist sie etwa bei syrischen Männern seit dem Jahr 2005 im Schnitt um 11,3 Jahre gesunken. Die Sterblichkeit aufgrund gewaltsamer Auseinandersetzungen stieg im gleichen Zeitraum weltweit um mehr als das 3-Fache an.

Die höhere Lebenserwartung, die Murray und seine Kollegen insgesamt ausmachen konnten, bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die Menschen ihre gewonnenen Lebensjahre auch in guter Gesundheit verbringen. Rund 4 der 10 zusätzlichen Jahre leiden sie an einer Vielzahl von Erkrankungen, beispielsweise an Krebs, koronarer Herzerkrankung, Leberzirrhose und Alzheimer. Deutsche Frauen, die im Schnitt inzwischen 83 Jahre alt werden – und damit 5 Jahre älter als die Männer – sind etwa 11 Jahre davon krank. Ganz oben auf der Liste stehen zum Beispiel Rücken- und Nackenschmerzen, Sehverluste, Diabetes und Depressionen.

Sieben von zehn Menschen sterben an nicht-übertragbaren Krankheiten

Weltweit sind vor allem die Todesfälle durch Infektionskrankheiten auf dem Rückzug. An Viren, Bakterien oder Parasiten sterben dank einer verbesserten Prävention und medizinischen Versorgung heutzutage 17% weniger Menschen als noch vor 25 Jahren. Insbesondere die Erreger von Aids, Malaria und Tuberkulose töten zunehmend weniger Menschen.

 
Die Bedeutung dieser Studie kann man gar nicht überschätzen. Prof. Dr. Detlev Ganten
 

Eine weitere gute Nachricht der GBD-Studie ist auch, dass sich die Kindersterblichkeit seit 1990 mehr als halbiert hat. Sie sank innerhalb eines Vierteljahrhunderts von 12,1 auf 5,8 Millionen, unter anderem weil die Kinder seltener als früher unterernährt sind und häufiger Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Das Millenniumsziel der Vereinten Nationen, die Sterblichkeit der Unter-5-Jährigen auf ein Drittel zu reduzieren, wurde damit allerdings deutlich verfehlt.

Probleme bereiten der Menschheit zunehmend nicht übertragbare Erkrankungen. An ihnen sterben inzwischen 7 von 10 Menschen weltweit. Viele der Leiden sind dabei hausgemacht: Drogen- und Alkoholmissbrauch etwa führen der GBD-Studie zufolge immer öfter zu einem vorzeitigen Tod; innerhalb von nur 10 Jahren ist die Sterblichkeit infolge von Suchterkrankungen um 11,5% gestiegen. Vor allem der Konsum von Amphetaminen, Kokain und Opioiden verkürzt das Leben vieler Menschen.

Besonders betroffen von Drogenmissbrauch sind unter anderem die USA und Russland, aber auch europäische Länder wie Schottland oder Norwegen. In Dänemark, Finnland und vielen Ländern Osteuropas sterben dagegen überproportional viele Menschen an den Folgen des Alkohols.

Das Rauchen ist fast überall eine der größten Gefahren für die Gesundheit

Generell sind Europäer wie auch US-Amerikaner zunehmend von den Folgen ihres eigenen Lebensstils betroffen, der zu oft durch falsche Ernährung und Bewegungsmangel gekennzeichnet ist. In Deutschland gilt Bluthochdruck als wichtigster Risikofaktor für die Gesundheit, gefolgt von Rauchen, Übergewicht, hohen Blutzucker- und Cholesterinwerten sowie übermäßigem Alkoholkonsum. Auch Störungen der Nierenfunkton, Feinstaub sowie ein zu geringer Verzehr von Obst und Gemüse rangieren hierzulande unter den Top 10 der Risikofaktoren.

Rauchen ist weltweit nach wie vor ein großes Problem: In Großbritannien und den USA beispielsweise gilt der Tabakkonsum als die größte Gefahr für die Gesundheit; in immerhin 140 Ländern der Welt zählt er zu den 5 wichtigsten Risikofaktoren. An den Folgen des Rauchens sterben heutzutage jährlich 289.000 Menschen mehr als noch vor 10 Jahren – obwohl die meisten Länder den Rauchern inzwischen strengere Gesetze auferlegt haben. 6,4 Millionen Menschen waren es im Jahr 2015 insgesamt, die an den Folgen des Rauchens gestorben sind.

Menschen in den USA geht es vergleichsweise schlecht

Erstmals haben die Wissenschaftler um Murray auch analysiert, wie es den Menschen eines bestimmten Landes aufgrund des Entwicklungsstands gehen sollte – und inwieweit derartige statistische Vorhersagen mit der Realität übereinstimmen. Dazu haben die Forscher unter anderem das Pro-Kopf-Einkommen, das Bildungsniveau und die Fruchtbarkeitsrate der Länder berücksichtigt und anhand dieser Daten den sogenannten soziodemografischen Index (SDI) entwickelt.

 
Ärzte müssen ihren Patienten klarmachen, dass sich viele gesundheitliche Probleme allein durch eine Veränderung des Lebensstils lösen lassen. Prof. Dr. Detlev Ganten
 

Es gebe Länder, in denen die Menschen deutlich gesünder seien, als es Einkommen, Bildungsniveau und Fortpflanzungsrate vermuten lassen, sagt der Studienkoordinator Murray. Zu diesen Ländern gehören beispielsweise Marokko und Algerien, in Europa unter anderem Spanien, Frankreich und Griechenland. Doch zugleich sehe man Länder, unter ihnen auch die USA, deren Bewohner weit weniger gesund seien, als sie es gemessen an ihren Ressourcen sein sollten, betont Murray. Neben den USA sind dies zum Beispiel Russland, Indien und Südafrika. In den USA sind es der Studie zufolge vor allem Drogen und Typ-2-Diabetes, die den Bewohnern zu schaffen machen.

Hauptproblem: Bewegungsmangel und industrielle Ernährung

Handlungsbedarf sieht Ganten vorrangig bei solchen Erkrankungen, die sich durch das Verhalten steuern lassen: „Die Zunahme insbesondere an Diabetes und psychischen Erkrankungen lässt sich zum Großteil durch Bewegungsmangel und eine falsche Ernährung erklären“, sagt er. Beides werde durch den vorherrschenden Trend zur Verstädterung begünstigt. „Eine urbane Gesellschaft wird, auch in ärmeren Ländern, zunehmend industriell ernährt“, sagt Ganten. Hier seien die Politiker gefragt, die geeigneten Marktmechanismen in Gang zu setzen, damit gesunde Produkte zu vernünftigen Preisen angeboten werden können.

Aber auch die Mediziner sieht der Berliner Experte in der Pflicht, die Menschen zu mehr Selbstverantwortung zu erziehen. „Ärzte müssen ihren Patienten klarmachen, dass vielen gesundheitlichen Problemen allein durch eine Veränderung des Lebensstils beizukommen ist“, sagt er. Zugleich müssten die Ärzte eine ganzheitlichere Sicht auf ihre Patienten entwickeln und sich nicht nur auf ihr eigenes Fachgebiet beschränken.

„Der Grundstein hierfür sollte bereits in der Ausbildung gelegt werden“, fordert Ganten. Zwar würden einige Universitäten mittlerweile das Fach Public Health anbieten, in dem es unter anderem um die Vorbeugung von Krankheiten, die Verlängerung der Lebensdauer und allgemein um die Förderung von Gesundheit geht, „diesem Vorbild müssen aber weitere Hochschulen unbedingt folgen“, betont er. Nur so lasse sich das Ziel erreichen, die Gesundheit der Menschen weltweit dauerhaft zu verbessern.

 

REFERENZEN:

1. Murray C J L, et al: Lancet 2016;388:1459–544

 

Kommentar

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