Zu viel „Mut zur Lücke“: Die Dokumentation der Nebenwirkungen in onkologischen Schlüsselstudien ist unzureichend

Kristin Jenkins

Interessenkonflikte

14. Oktober 2016

Kopenhagen – Laut einem Review, der 81 Behandlungsstudien aus den vergangenen 15 Jahren umfasst, sind die Nebenwirkungen in den meisten Schlüsselstudien zu Medikamenten, die von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung solider Tumoren bei Erwachsenen zugelassen worden sind, nur „suboptimal“ erfasst worden.

91% der erfassten Studien zur Therapie beim fortgeschrittenen Kolorektal-, Lungen- oder Mammakarzinom sowie Melanom hatten wiederkehrende oder späten Anzeichen für eine Toxizität oder die Dauer der Nebenwirkungen schlecht dokumentiert, berichtete Dr. Paolo Bossi vom Istituto Nazionale dei Tumori in Mailand. Seine Ergebnisse wurden als Poster-Präsentation auf dem diesjährigen ESMO-Kongress vorgestellt (European Society for Medical Oncology) [1].

„Wir konnten eine unzureichende Dokumentation von Nebenwirkungen in Studien, die zur Zulassung von zielgerichteten und Immuntherapien führten, belegen“, sagte Bossi. „Die toxischen Wirkungen der zielgerichteten  und Immun-Therapeutika unterscheiden sich offensichtlich von denen, die wir normalerweise im Rahmen einer Chemotherapie sehen und behandeln und es gibt manche Aspekte zur Toxizität dieser neuen Wirkstoffe, über die wir noch nicht so viel wissen.“

Nebenwirkungen überwiegend mangelhaft dokumentiert

Die Studien mit den neuen Substanzen, die zwischen 2000 und 2015 von der FDA die Zulassung erhalten hatten, wurden für den Review von der FDA-Website geladen. Die Bewertung erfolgte unter Verwendung der Leitlinien im CONSORT-Statement (Consolidated Standards of Reporting Trials) mit einer 25-Punkte-Skala.

Die meisten Studien untersuchten die Wirksamkeit und Toxizität neuer Wirkstoffe als Einzelsubstanzen (51%) oder in Kombination mit einer Chemotherapie (32%). Die Gesamtzahl der Probanden aus diesen Studien lag bei über 45.000.

Demnach fanden sich bei einem Drittel der Studien keine Angaben zu Dosisreduktionen aufgrund von Nebenwirkungen. Der Zeitpunkt des Auftretens von Nebenwirkungen war in 86% der Studien unzureichend dokumentiert und 75% der Untersuchungen registrierten Nebenwirkungen erst oberhalb einer festgelegten Schwelle. Bei über 50% der klinischen Studien waren die Berichte über Nebenwirkungen, die zu einem Abbruch der Behandlung und der Verlaufskontrollen führten, nur bedingt tauglich, so Bossi.

Radikale Re-Evaluation sämtlicher Daten zu Nebenwirkungen nötig?

 
Wir konnten eine unzureichende Dokumentation von Nebenwirkungen in Studien, die zur Zulassung von zielgerichteten und Immuntherapien führten, belegen. Dr. Paolo Bossi
 

„Vor allem bei neuartigen Substanzen sollte die bessere Dokumentation der Nebenwirkungen in laufenden Studien und auch in Postmarketing-Analysen Priorität genießen.“ Die sorgfältige Bestimmung und Aufzeichnung der Dosierungen und der Dauer der Nebenwirkungen seien für die klinische Praxis absolut relevant, erklärte er weiter.

Auch wenn die Toxizitäten nur leicht oder mäßig ausgeprägt sind, könnten sie doch lang anhaltend oder auch rezidivierend sein und die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen. „Neue Wirkstoffe werden von den zuständigen Behörden aufgrund der Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten aus einzelnen Studien zugelassen, was diese Ergebnisse für die breitere Anwendung bedeuten, wird oftmals unterschätzt“, sagte Bossi.

Dr. Nathan Cherny vom Shaare Zedek Medical Center in Jerusalem, Israel, äußerte sich in einem Kommentar zu der Untersuchung und erklärte, dass die Nebenwirkungen und ihre Schwere in den ärztlichen Aufzeichnungen regelmäßig seltener bzw. leichter erschienen als in den Patientenberichten. Die Ergebnisse dieser Studie „sprechen weiterhin für den Vorschlag einer radikalen Re-Evaluation sämtlicher Daten zu den Nebenwirkungen und einer größeren Wichtung der Patientenangaben“, sagte er.

In den veröffentlichten Studienberichten fände sich aber wohl nicht das gesamte Datenmaterial, das den Zulassungsstellen zur Bewilligung und Registrierung zur Verfügung gestellt werde, fügte er hinzu.

 
Vor allem bei neuartigen Substanzen sollte die bessere Dokumentation der Nebenwirkungen in laufenden Studien und auch in Postmarketing-Analysen Priorität genießen. Dr. Paolo Bossi
 

Inzwischen habe sich die Dokumentation der Dauer von Nebenwirkungen – neben den Parametern Schwere und Häufigkeit –nach der Einführung neuer Messinstrumente verbessert. Diese Instrumente ermöglichen es sowohl den Ärzten als auch den Patienten, die Toxizität einer Therapie präziser zu bestimmen und zu bewerten. Ärzte können unter Verwendung der „allgemeinen Terminologiekriterien von unerwünschten Ereignissen“ (Common Terminology Criteria of Adverse Events; CTCAE) und Patienten mithilfe des Patientenfragebogens PRO-CTCAE zu Beginn, wöchentlich und nach der Behandlung toxische Effekte beurteilen und bewerten.

Auch andere Wissenschaftler haben schon ihre Besorgnis über die Registrierung von Nebenwirkungen zum Ausdruck gebracht, wie Medscape berichtete. Gegenwärtig würden nur schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (nach Definition der CTCAE) erfasst, die während der klinischen Studie auftreten, bemängelte eine Gruppe von Wissenschaftlern. Sie sprachen sich dafür aus, die Toxizität im zeitlichen Verlauf in die Rechnung mit einzubeziehen (Toxicity over Time, ToxT).

Sie plädierten auch dafür, Patientenberichte zu berücksichtigen, diese blieben als Nebenwirkungen einer Krebstherapie allzu oft von den Ärzten undokumentiert. Der vom NCI (National Cancer Institute) in den USA entwickelte und verbreitete PRO-CTCAE (Patient-Reported Outcomes-CTCAE) sei hier jedoch ein Schritt in die richtige Richtung.


Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

REFERENZEN:

1. Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), 7. bis 11.Oktober 2016, Kopenhagen/Dänemark

 

Kommentar

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