Riskanter Alkoholkonsum beginnt bei Männern bei über 20 Gramm reinem Alkohol pro Tag, was etwa einem halben Liter Bier oder einem Viertelliter Wein entspricht. Für Frauen gilt bereits die Hälfte dieser Menge durchschnittlich pro Tag als kritisch. Dies schreibt das Robert Koch-Institut (RKI) in der ersten Ausgabe seines neuen Journal of Health Monitoring, das künftig vierteljährlich online erscheinen wird [1].

Prof. Dr. Johannes Erdmann
Auf Basis verschiedener Erhebungen beschreiben die Autoren, welche Bevölkerungs- und Altersgruppen besonders anfällig für erhöhten Alkoholkonsum sind, und geben Empfehlungen zu Präventionsmaßnahmen.
„Das RKI ist eine wichtige Schnittstelle zwischen der Dokumentation gesundheitlicher Entwicklungen und der Formulierung von Maßnahmen, die daraus zu folgern sind. Wenn wir wissen, welche Probleme bestehen, können wir bessere Maßnahmen treffen, etwa zur Prävention. Deshalb macht es Sinn, regelmäßig Informationen über die Arbeit des RKI zu erhalten“, bewertet Prof. Dr. Johannes Erdmann, Diabetologe und Ernährungsmediziner an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, das neue Journal.
Insgesamt zeigen die neuen zitierten Ergebnisse der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1), dass 13,1% der Frauen und 18,5% der Männer Alkohol in den oben definierten kritischen Mengen konsumieren. Bei Männern steigt deren Anteil mit zunehmendem Alter. Bei den Frauen zeigt sich ein kurvenförmiger Verlauf: Die niedrigste Prävalenz liegt bei den 30- bis 39-Jährigen, was die Autoren auf Schwanger- und Mutterschaft zurückführen, die höchste liegt bei den 50- bis 59-jährigen Frauen.
Frauen mit hohem sozioökonomischen Status trinken öfter Alkohol in riskanter Menge als Frauen mit mittlerem und niedrigem Status. Bei Männern gibt es keinen solchen Zusammenhang. Gemeinsam ist beiden Geschlechtern die Koinzidenz von riskantem Alkoholkonsum und Tabakrauchen.
Wer regelmäßig Alkohol trinkt, profitiert von jedem Tag „ohne“
Diese Daten entsprechen auch anderen Erhebungen, betonen die Autoren um Dr. Cornelia Lange vom RKI in Berlin. So lagen die Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012 in ähnlicher Größenordnung. Wichtig ist, dass sich die Aussagen auf den durchschnittlichen täglichen Alkoholkonsum beziehen. Jeder Tag ohne Alkohol wird also mit solchen Tagen, an denen mehr als die als riskant eingestufte Menge konsumiert wurde, gegengerechnet. Deshalb ist jeder Tag ohne Alkoholkonsum eindeutig positiv zu bewerten.
Die gute Nachricht: Zwischen 1990 und 1992 sowie zwischen 2008 und 2011 hat der riskante Alkoholkonsum in der Altersgruppe von 23 bis 69 Jahren sowohl bei Frauen (von 50,9% auf 13,6%) als auch bei Männern (von 52,6% auf 18,3%) drastisch abgenommen, so die Autoren. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass Deutschland im Pro-Kopf-Konsum von Reinalkohol über dem Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten liegt. Allein dadurch sind weiterhin zielgruppenspezifische Maßnahmen erforderlich. Ganz wesentlich ist allerdings der Punkt, dass sich diese Daten nur auf Erwachsene beziehen und der Alkoholkonsum von Jugendlichen in diesem Artikel unbeachtet bleibt.
„Das zeigt doch, dass die vielen Aufklärungsmaßnahmen zumindest bei Erwachsenen auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Aber auch das Angebot an nichtalkoholischen Getränken ist in den letzten Jahren stark gestiegen, was zur Verringerung des angegebenen Alkoholkonsums beigetragen haben könnte“, bemerkt Erdmann.
Alkoholexzesse kommen bei Jugendlichen öfter vor als bei Erwachsenen
Ein weiterer Artikel derselben Ausgabe des Journal of Health Monitoring interpretiert die Ergebnisse einer Erhebung dokumentierter Alkoholvergiftungen [2]. So wurden in Deutschland im Jahr 2014 insgesamt 115.967 Personen im Alter von 10 bis 79 Jahren mit der Diagnose „akute Alkoholintoxikation“ stationär behandelt (ca. 1,5‰ der Bevölkerung).
Verteilt über alle Altersgruppen wurden mehr als doppelt so häufig Männer wie Frauen behandelt. In der Gruppe der 15- bis 19-Jährigen war der Anteil der Alkoholvergiftungen insgesamt am höchsten (ca. 5,7‰ für „Jungs“ und 3,8‰ für „Mädchen“). Der Anteil der Mädchen lag hier sogar höher als die jeweiligen Anteile aller anderen Altersgruppen der Männer (0,7-2,7‰). Der Grund liegt wohl darin, dass das sogenannte „Komatrinken“ bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wesentlich häufiger als bei Älteren vorkommt.
„Auszutesten, wieviel Alkohol man verträgt, darf doch kein Lebensziel sein“, warnt auch Erdmann. „Das ist wirklich alarmierend für die Gesellschaft. Hier sind bereits in der Schule Konzepte zur Prävention erforderlich.“ Der Lichtblick hier: Diese Zahlen sind seit 2012 wieder rückläufig. Zu hoffen ist also, dass der Zenit dieser besorgniserregenden Entwicklung unter Teenagern bereits überschritten ist.
Die Folgen hohen Alkoholkonsums sind mehr als kritisch
Jenseits der kritischen Grenzen entwickelt Alkoholkonsum ein weitgefächertes Schädigungspotential. Zum einen können zahlreiche Erkrankungen direkt durch Alkohol verursacht werden – wie Pseudo-Cushing-Syndrom, Pellagra, psychische Störungen und Verhaltensstörungen, Degeneration von Nerven, Muskeln und des Herzmuskels, Gastritis, Pankreatitis, Hepatitis sowie Schädigungen von Embryos und Neugeborenen (bei Alkoholkonsum von Schwangeren und Stillenden).
Außerdem hat übermäßiger Alkoholkonsum häufig negative sozioökonomische Folgen. Und der Alkoholkonsum kann sich auch auf andere auswirken: Gewalt, familiäre Probleme und die Gefährdung Unbeteiligter, z.B. durch Alkohol am Steuer, sind hier zu nennen.
Ein gesellschaftliches Problem braucht gesellschaftliche Lösungen
Abschließend zitieren die Autoren Empfehlungen, um auf gesellschaftlicher Ebene den Alkoholkonsum zu reduzieren:
1. die konsequente Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der Nüchternheit in Schwangerschaft und Stillzeit, am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr und beim Sport,
2. die Überprüfung der Möglichkeiten von Preisgestaltung und Regelungen zur Verfügbarkeit von Alkohol,
3. die Steigerung des Problembewusstseins in Politik und Gesellschaft sowie
4. die Förderung einer Kultur des „Hinschauens“, etwa bei Jugendlichen.
Schließlich sollten Früherkennung, Frühintervention sowie die Unterstützung suchtbelasteter Familien ausgebaut werden.
„Was wir brauchen, sind alternative Konzepte zur gesamten Lebensführung. Bewusste Ernährung und ein bewusster Umgang mit Alkohol passen doch gut zu einer aktiven Freizeit mit Sport und Kultur. Hier sind staatliche, aber auch nichtstaatliche Stellen gefordert, den Menschen entsprechende Angebote zu machen oder zumindest bestehende Angebote ausreichend zu unterstützen“, ergänzt Erdmann.
REFERENZEN:
1. Lange C, et al: Journal of Health Monitoring 2016;1(1):2–21
2. Rabenberg M, et al: Journal of Health Monitoring 2016;1(1):22–28
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Diesen Artikel so zitieren: Überraschende Erkenntnisse zum Alkoholkonsum in Deutschland: Risikogruppe Frau, gutsituiert und in den Fünfzigern - Medscape - 14. Okt 2016.
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