Stuttgart – Wie kann die Zusammenarbeit von Hausärzten mit Klinik- und niedergelassenen Geriatern in der Betreuung älterer Patienten aussehen? Das fragten sich beim Gerontologie- und Geriatriekongress in Stuttgart die Teilnehmer einer offenen Diskussion [1]. Die vorgestellten Modelle reichten vom direkten Teamwork beim gemeinsamen Besuch der Patienten im Alten- und Pflegeheim über ein geriatrisches Konsil zur Entlastung der Hausärzte bis hin zu Qualitätszirkeln der Hausärzte mit Informationsabenden zu speziellen geriatrischen Themen.
Neu: Gebührenordnungspositionen für geriatrische Assessments
Die Voraussetzungen für die Betreuung geriatrischer Patienten haben sich verbessert, berichtete Dr. Rüdiger Thiesemann, Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin am AMEOS-Klinikum Bremerhaven: Seit Juli 2016 existiert für die Leistungen der spezialisierten geriatrischen Diagnostik und Versorgung ein Abschnitt im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM; Abschnitt 30.13). Die Vergütung für geriatrische Assessments sowie für die Einleitung und Koordination der sich daraus ergebenden Therapiemaßnahmen ist damit erstmals klar geregelt.
Während das geriatrische Basis-Assessment weiterhin Aufgabe des Hausarztes ist (GOP 980), kann er seine Patienten für das weiterführende geriatrische Assessment an einen spezialisierten geriatrischen Vertragsarzt oder eine ermächtigte Geriatrische Institutsambulanz (GIA) überweisen. Sind deren Leistungen (ab GOP 981) besonders aufwändig und zeitintensiv, werden sie mit einem Zuschlag bedacht. Für die langfristige Weiterbehandlung nach der spezialisierten geriatrischen Diagnostik kehrt der Patient dann wieder zum Hausarzt zurück (GOP 988).
In der Praxis kann die Hin- und Rücküberweisung allerdings schwierig werden: Laut Thiesemann herrscht vor allem in ländlichen Regionen Geriatermangel und damit „eine massive Unterversorgung“.
Gemeinsame Visiten im Altenheim – der geriatrische Patient im Mittelpunkt
Dr. Hans-Christoph Heuer, Leitender Oberarzt an der Klinik für Geriatrie / Zentrum für Altersmedizin, Klinikum Essen-Mitte, fokussierte auf die Weiterbetreuung geriatrischer Patienten, die nach Klinikaufenthalt wieder – oder aber erstmals – in ein Altenheim entlassen werden. Diese wird häufig von ortsansässigen Hausärzten übernommen; es gibt jedoch Schnittpunkte, an denen eine gemeinsame Visite, ein interdisziplinäres Board aus Hausärzten und Klinikgeriatern, von Vorteil sein kann.
Heuer nannte beispielsweise:
die medizinische Versorgung, etwa von Patienten mit fortgeschrittener Demenz,
Fragen der Pharmakotherapie, etwa zu Schmerztherapie, Psychopharmaka oder Multimedikation,
die Beratung von Patienten und Angehörigen zur weitergehenden Diagnostik, zum Beispiel bei ungeklärter Gewichtsabnahme,
Fragen der pflegerischen Versorgung, etwa bei geplanter Anlage einer PEG-Sonde oder eines suprapubischen Blasenkatheters.
In dem von Heuer vorgestellten Projekt gehen die Anfragen nach gemeinsamen Visiten von den Hausärzten – oder auch vom Pflegeheim – aus. Voraussetzung ist die Zustimmung des Patienten und/oder Angehörigen. Die Treffen erfolgen meist 1- bis 2-mal wöchentlich und umfassen jeweils 3 bis 6 Bewohner. Der Zeitaufwand pro Visite liege bei insgesamt 1 bis 2 Stunden, berichtete der Klinikgeriater. Nach Anamnese, Untersuchung des Patienten und Durchsicht des Krankenblattes folgt eine Besprechung mit Vorschlägen zu Therapiemaßnahmen, die dann im Allgemeinen vom Hausarzt umgesetzt werden. Das Ganze wird auch dokumentiert.
Als Vorteile dieses gemeinsamen Vorgehens beschrieb Heuer ein besseres gegenseitiges Kennenlernen der betreuenden Ärzte, einen verbesserte und raschere Kommunikation (auch auf Pflegeebene), ein optimiertes Management (oder die Vermeidung) von Klinikaufenthalten, eine bessere Versorgung der Patienten im Krankenhaus, Sicherheit für Pflegepersonal, Patienten und Angehörige und nicht zuletzt eine Stärkung der Stellung des Hausarztes durch die gemeinsam getroffenen Entscheidungen.
Heuers Fazit: „Die gemeinsame Visite von Hausärzten und Klinikgeriatern wurde von allen Beteiligten als positiv und sinnvoll empfunden.“ Eine Bezahlung für den Zeitaufwand gab es nicht. Sie wurde in diesem Projekt auch nicht angestrebt, wäre aber für eine nachhaltige und flächendeckende Etablierung des Modells notwendig. Darin waren sich die anwesenden Experten einig.
Geriatrisches Konsil als Angebot für Hausärzte
PD Dr. Heinrich Burkhardt, Direktor der IV. Medizinischen Klinik/Geriatrie an der Universitätsmedizin Mannheim, setzte sich für eine Ausweitung des in Kliniken stattfindenden geriatrischen Konsils ein: Es sei durchaus sinnvoll, dieses auch extern anzubieten, um fragile Patienten frühzeitig (im hausärztlichen Umfeld) zu identifizieren, geriatrietypische Behandlungs- und Beratungsbedarfe zu ermitteln und präventiv tätig zu werden.
So sei etwa eine Lokomotionsanalyse und Medikamentenanamnese angezeigt, um das Sturzrisiko geriatrischer Patienten zu bewerten, damit der Hausarzt rechtzeitig eine Sturzprävention einleiten kann, nannte Burkhardt ein Beispiel.
Umfrage zeigt Missverständnisse und „Luft nach oben“
Eine Umfrage in Hessen und Baden-Württemberg umfasste eine repräsentative Stichprobe von insgesamt 323 Hausarztpraxen sowie 109 internistischen und 72 geriatrischen Akutkliniken. Sie wurden nach ihrer Einschätzung eines geriatrischen Konsils als ambulantes Angebot (eigentlich) in geriatrischen Zentren befragt. Etwa jede 3. Klinik und jede 7. Hausarztpraxis beantworteten den Fragebogen. Dabei wurde deutlich, dass nicht nur alle geriatrischen Kliniken, sondern auch 71% der internistischen Kliniken ein geriatrisches Konsil zur externen Nutzung anboten.
Burkhardt stellte weitere Ergebnisse der Befragung vor. Demnach nahmen 79% der Hausärzte selbst geriatrische (Basis-)Assessments vor. 42% waren nach eigener Aussage mit dem Konzept des geriatrischen Konsils vertraut und 31% konnten auf derartige Angebote in ihrer Region zurückgreifen. Trotzdem waren die wenigsten Hausärzte – nur gut 8% – der Meinung, dass diese schon ausreichend genutzt werden. „Die Hausärzte sehen noch ein großes Potenzial in unserem geriatrischen Assessment“, so Burkhardt, „ich sehe das als ein überaus positives Ergebnis auf der Nutzerseite.“
Dabei bestehen durchaus Diskrepanzen, was die Anlässe für ein geriatrisches Konsil angeht: Während die geriatrischen Akutkliniken am ehesten um die Übernahme eines Patienten zur Frührehabilitation oder Einleitung einer Rehabilitationsmaßnahme ersucht wurden, waren Fragen der Hausärzte nach der Einschätzung spezifischer geriatrischer Risiken oder zu Multimorbidität und Polypharmazie eher selten. 84% der geriatrischen Zentren würden aber gerade die Prävention kritischer Ereignisse – wie Stürze oder Krankheits-Exazerbationen – wichtig finden und hier ihre Aufgaben sehen.
Hausärztlicher Qualitätszirkel zu Geriatriefragen
Dr. Ralf Pilgrim, hausärztlicher Internist und Geriater in Berlin, berichtete von positiven Erfahrungen in dem von ihm mitbegründeten Arbeitskreis „Ambulante Geriatrie“, der inzwischen in einen Qualitätszirkel überführt wurde. Dieser trifft sich regelmäßig etwa alle 6 Wochen; neben geriatrisch interessierten Hausärzten ist meist auch ein leitender Klinikgeriater anwesend. Im Fokus jedes Treffens steht ein Impulsvortrag zu einem aktuellen geriatrischen Thema, gefolgt von einer Diskussion und Raum für Tipps unter Kollegen.
„Vorteile des Qualitätszirkels gegenüber einem Arbeitskreis sind der feste formale Rahmen, eine höhere Verbindlichkeit, der Fortbildungsanspruch und die damit verbundene Bepunktung durch die Kammer“, konstatierte Pilgrim. „Unser Zirkel hat den Erfahrungs- und Wissensaustausch sowie die Vernetzung der in Berlin tätigen Geriater befördert“, berichtete er und warb für die Gründung weiterer Qualitätszirkel in anderen Regionen.
Eine von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) initiierte S3-Leitlinie „Multimorbidität“ entsteht derzeit unter Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG), wie Thiesemann berichtete. Darin soll die vorhandene Evidenz zur primärärztlichen Versorgung multimorbider Patienten (durch Hausärzte, Internisten, Allgemeinärzte, Geriater) zusammengetragen und in hausärztlich relevante Empfehlungen umgesetzt werden. Die Fertigstellung wird für Ende 2016 erwartet.
REFERENZEN:
1. Gerontologie und Geriatrie Kongress 2016, 7. bis 10. September 2016, Stuttgart
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Gemeinsame Visite oder geriatrisches Konsil – Modellprojekte zeigen, wie Hausärzte und Geriater zusammenarbeiten können - Medscape - 13. Okt 2016.
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