Weichteilsarkom: Wie eine „formal negative“ Studie die derzeitige Therapie verändern wird

Sonja Böhm

Interessenkonflikte

12. Oktober 2016

Kopenhagen – „Formal war dies eine negative Studie – sie hat ihr primäres Studienziel nicht erreicht“ – so kommentierte Studienleiter Dr. Alessandro Gronchi, Leiter der Sarkom-Chirurgie am Nationalen Krebszentrum in Mailand, die Präsentation seiner Studie beim europäischen Krebskongress in Kopenhagen [1]. Jedoch: Trotzdem kann diese Studie die Behandlung von Patienten mit Weichteilsarkomen deutlich voranbringen, könnte die Leitlinien ändern und hat zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn beigetragen – auch wenn dieser anders ausfiel als eigentlich gedacht, waren sich Experten auf der Jahrestagung der ESMO (European Society for Medical Oncology) einig. Die Studie wurde auch aufgrund dieser Erkenntnisse vorzeitig beendet.

Ein unerwartetes Ergebnis: Der Vergleichsarm war eindeutig besser

Doch von vorne: Die prospektive randomisierte Studie von Gronchi, die kein Akronym hat, war geplant worden, um herauszufinden, ob eine an die Histologie des Tumors angepasste neoadjuvante Chemotherapie bei Patienten mit einem resektablen Hochrisiko-Weichteilsarkom der Extremitäten oder des Rumpfes deren Prognose verbessern kann. Verglichen wurde diese „maßgeschneiderte“ Chemotherapie vor der Operation mit einer konventionellen Volldosis-Therapie mit einem Anthrazyklin plus Ifosfamid.

 
Formal war dies eine negative Studie – sie hat ihr primäres Studienziel nicht erreicht. Dr. Alessandro Gronchi
 

Das unerwartete Ergebnis: Die adjuvante Chemotherapie mit Anthrazyklin und Ifosfamid erwies sich als eindeutig überlegen. Bei einer Interimsanalyse nach 46 Monaten waren unter ihr 62% der Patienten rezidivfrei, unter dem „maßgeschneiderten“ (tailored) Ansatz waren es nur 38% (p = 0,007). Zu diesem Zeitpunkt hatten 89% mit der normalen neoadjuvanten Chemotherapie überlebt, unter der histologisch angepassten Behandlung dagegen nur 64% (p = 0,033).

„Über den Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie beim Weichteilsarkom ist in den letzten Jahren so viel diskutiert worden, weil die Studienergebnisse dazu so widersprüchlich sind“, sagte Gronchi. Ihr prognostischer Nutzen war nicht eindeutig belegt und daher ihr Einsatz bisher – z.B. in der deutschen Leitlinie – ausschließlich im Rahmen kontrollierter Studien empfohlen.

Dies könnte sich nun ändern. Denn, so Gronchis Fazit, in der aktuellen Studie habe die neoadjuvante Chemotherapie bei Patienten, deren Rezidivrisiko im Schnitt etwa 60 bis 70% betrug, dieses im Verlauf von mehr als 3 Jahren um etwa 20% gesenkt – und die Überlebenswahrscheinlichkeit um etwa 10% erhöht. „Diese neue Evidenz sollten nicht nur künftige Studien sondern auch die derzeit existierenden Leitlinien berücksichtigen.“

 
Diese neue Evidenz sollten nicht nur künftige Studien sondern auch die derzeit existierenden Leitlinien berücksichtigen. Dr. Alessandro Gronchi
 

Nach neuen Ansätzen zur Behandlung von Weichteilsarkomen wird auch deswegen so verzweifelt gesucht, da diese Tumoren zwar selten sind (Häufigkeit etwa 2 Fälle pro 100.000 Einwohner und Jahr), aber gehäuft schon in jungen Jahren, auch im Kindes- und Jugendalter, auftreten, betonte Gronchi. Die Tumoren selbst sind sehr heterogen, was den Ansatz einer „maßgeschneiderten“ Therapie vielversprechend erscheinen ließ.

Subgruppen-Analyse erbringt weitere interessante Erkenntnisse

Für ihre Multicenter-Studie haben Gronchi und seine Kollegen zwischen Mai 2011 und Mai 2016 insgesamt 287 Patienten mit Hochrisiko-Weichteilsarkomen der Extremitäten oder des Körperstammes rekrutiert, die 5 unterschiedliche histologische Subtypen repräsentierten und etwa 80% aller Weichteilsarkome dieser Lokalisationen ausmachen.

Die Patienten wurden 1 zu 1 randomisiert und erhielten

  • im Standard-Vergleichsarm 3 Zyklen Epirubicin (120 mg/m²) plus Ifosfamid (9g/m²)

  • oder für die histologisch angepasste Therapie ebenfalls 3 Zyklen und zwar Gemcitabin plus Docetaxel beim undifferenzierten pleomorphen Sarkom, Trabectedin beim hochgradigen myxoiden Liposarkom, eine Hochdosis-Langzeitinfusion von Ifosfamid beim synovialen Sarkom, Etoposid plus Ifosfamid beim malignen peripheren Nervenscheidentumor oder Gemcitabin plus Dacarbazin beim Leiomyosarkom.

Alle Chemotherapie-Regime wurden präoperativ verabreicht. Die Patienten waren im Median 50 Jahre alt, die mediane Größe des Tumors lag bei 10 cm. Das mediane Follow-up betrug bei Abbruch erst 12,3 Monate. Insgesamt, so Gronchi, sei die Chemotherapie gut vertragen worden – bei 90% der Studienpopulation sei sie machbar gewesen – selbst bei Kombination mit Strahlentherapie.

Während also insgesamt die maßgeschneiderte Chemotherapie in dieser Studie versagte, lässt sich aus Subgruppen-Analysen schließen, dass Patienten mit einem hochgradigen myxoiden Liposarkom von der Therapie mit Trabectedin profitieren könnten, berichtete der italienische Onkologe. Sie hatten ähnliche Ergebnisse bezüglich Progressionsfreiheit und im Gesamtüberleben wie die nicht angepasste Chemotherapie. „Trabectedin ist aber deutlich weniger toxisch als die konventionelle Chemotherapie“, sagte Gronchi. „Daher werden wir diese Subgruppe nun ausbauen, um klarer entscheiden zu können, ob es bei den Endpunkten zwischen den beiden Regimen tatsächlich keinen Unterschied gibt.“

Studie stärkt eindeutig die neoadjuvante Therapie bei hohem Rezidivrisiko

Er sei „dankbar“ für diese Studie. „Sie hat einen ambitionierten Endpunkt gehabt“, kommentierte der deutsche Onkologe Prof. Dr. Dirk Arnold, Mitglied des ESMO Executive Board und derzeit an einer Klinik der Universität Lissabon, Portugal, tätig, die Ergebnisse auf Nachfrage von Medscape. Denn bislang erfolge die neoadjuvante Therapie – vor allem an peripheren Zentren eben nicht regelhaft. „Wenn man sich die Kurvenverläufe ansieht – handelt es sich ja um einen beträchtlichen Unterschied. Und es ist ja auch sinnvoll.“

 
Diese Studie stärkt auf jeden Fall die neoadjuvante Behandlung. Prof. Dr. Dirk Arnold
 

„Diese Studie stärkt auf jeden Fall die neoadjuvante Behandlung“, so der Onkologe weiter. „Und sie stärkt auf jeden Fall die Aussage – dies mit Ausrufezeichen – dass man diese Patienten mit großen komplizierten Tumoren an ein Zentrum transferieren sollte wo a) an eine neoadjuvante Therapie gedacht wird und b) Experten sind, die das Risikoprofil und damit Nutzen und Risiken einer solchen Behandlung gut abwägen können. Und: Diese Daten sprechen dagegen, dass man solche großen und komplizierten Tumore ohne große weitere Überlegungen einfach nur operiert.“

Der Studienkommentator im „Presidential Symposium“, wo die Studie vorgetragen wurde, Prof. Dr. Axel Le Cesne von der französichen Sarkoma-Gruppe in Villejuif, verwies darauf, dass die präoperative Chemotherapie bislang beim Weichteilsarkom meist nicht primär unter dem Aspekt der Prognoseverbesserung eingesetzt wird, sondern um die Operation zu erleichtern und bessere OP-Ergebnisse zu erzielen.

 
Diese Daten sprechen dagegen, dass man solche großen und komplizierten Tumore ohne große weitere Überlegungen einfach nur operiert. Prof. Dr. Dirk Arnold
 

Ein Vorteil der jetzigen Studie sei, dass es sich um ein großes Studienkollektiv handele – wenn man die Seltenheit der Erkrankung berücksichtige. Ein Nachteil sei jedoch die insgesamt und vor allem im Median – trotz beeindruckender Ergebnisse – kurze Beobachtungszeit. „Ein Rezidiv ist beim Weichteilsarkom auch nach vielen Jahren noch möglich.“

Aber auch sein Fazit lautete, dass die präoperative Chemotherapie bei Patienten mit resektablem Hochrisiko-Weichteilsarkom eindeutig durch die Daten gestärkt wird – und ihr Einsatz nun in spezialisierten Sarkom-Zentren jeweils individuell und multidisziplinär diskutiert werden müsse.

 

REFERENZEN:

1. Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO), 7. bis 11.Oktober 2016, Kopenhagen/Dänemark

 

Kommentar

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