Qualität in Gefahr? Immer mehr Kliniken unterschreiten bei radikalen Prostatektomien die Mindestfallzahl

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

11. Oktober 2016

Kliniken, die Prostatektomien anbieten, sollten mindestens 50 dieser Operationen pro Jahr durchführen und Operateure pro Jahr mindestens 25 dieser Eingriffe absolvieren – das empfiehlt die deutsche Prostatakrebsleitlinie als Orientierungswert für Zentren. Doch diese Empfehlung wird zunehmend ignoriert, wie eine Studie der Klinik und Poliklinik für Urologie der Universität Dresden zeigt [1].

„Die Studie zeigt sehr deutlich, dass es im deutschen Gesundheitswesen einen großen Nachholbedarf in der Frage der Qualitätssicherung durch Mindestmengen gibt“, so Prof. Dr. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Universitätsklinikums in einer Pressemitteilung.

Zwei Drittel der Kliniken unterschreiten Mindestzahl

PD Dr. Dr. Johannes Huber und seine Kollegen hatten festgestellt, dass sich im Untersuchungszeitrum 2006 bis 2013 der Anteil der Krankenhäuser, die die in den Leitlinien empfohlene Mindestfallzahl von 50 Eingriffen pro Jahr unterschreiten, von 49 auf 67% erhöht hat. „Das hat damit zu tun, dass es bei nahezu gleichbleibender Zahl an beteiligten Kliniken etwa ein Drittel weniger Eingriffe gibt“, erklärt Huber, Oberarzt an der Klinik und Poliklinik der Universität Dresden und Leiter der Studie, im Gespräch mit Medscape.

 
Die Studie zeigt sehr deutlich, dass es im deutschen Gesundheitswesen einen großen Nachholbedarf in der Frage der Qualitätssicherung durch Mindestmengen gibt. Prof. Dr. Michael Albrecht
 

2006 führten 396 Kliniken Prostatektomien durch, 2013 waren es 415. „Gleichzeitig gibt es auch eine gewisse Form von Zentrenbildung, da einige wenige Häuser sehr viele Prostatektomien durchführen“, ergänzt Huber.

Es existieren gute Belege dafür, dass die funktionellen und onkologischen Ergebnisse in erfahreneren Zentren besser sind. Doch ein gutes Viertel der radikalen Prostatektomien wird an Kliniken mit weniger als 50 Prostatektomien im Jahr vorgenommen. Dabei empfiehlt die deutsche Prostatakrebsleitlinie ganz ausdrücklich, dass der Eingriff nur in Einrichtungen mit mindestens 50 Operationen pro Jahr erfolgen soll.

„Dieses Ziel hat die Leitliniengruppe mit dem höchsten Empfehlungsgrad und auf der Basis von sehr belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen formuliert“, bekräftigt Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Wirth, Direktor der Klinik für Urologie am Uniklinikum und Vorsitzender der für die Leitlinie zuständigen Steuergruppe, gegenüber Medscape.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit steigt durch das Unterschreiten dieser Mindestanzahl die Zahl der Komplikationen“, erklärt Huber. Repräsentative Versorgungsdaten gibt es dazu für Deutschland momentan noch nicht. Huber arbeitet allerdings an einem Projekt, das diese Frage für Deutschland klären soll.

Prostatektomien ließen sich gut zentralisieren

 
Prinzipiell ist die radikale Prostatektomie ein elektiver Eingriff, der sich gut zentralisieren ließe. PD Dr. Dr. Johannes Huber
 

„Viele Gesundheitssysteme im Ausland nutzen bereits verbindliche Mindestmengenkataloge, um eine Zentralisierung von komplizierten Operationen zu erreichen. In Deutschland gibt es eine solche Regelung bisher aber erst für 6 Verfahren wie Leber- und Nierentransplantationen, operative Eingriffen an den Herzkranzgefäßen oder bei Operationen von Bauchspeicheldrüse und Speiseröhre. Die Radikaloperation der Prostata gehört nicht dazu“, berichtet Huber.

Doch ohne Mindestmengenkataloge sind die Kliniken nicht an die Empfehlungen der S3 Leitlinie gebunden. Länder wie beispielsweise Großbritannien sind Deutschland hinsichtlich der Qualitätssicherung durch Mindestmengen voraus. „In Großbritannien läuft das zentralisierter ab, Patienten werden dort entsprechenden Zentren zugewiesen. Prinzipiell ist die radikale Prostatektomie ein elektiver Eingriff, der sich gut zentralisieren ließe“, sagt Huber.

Die bessere Ausbildung junger Kollegen wäre ein weiterer Grund für die Zentralisierung. In Deutschland gibt es außer dem Facharzt für Urologie keine formale Qualifikation zur Durchführung von radikalen Prostatektomien. In zertifizierten Prostatakarzinomzentren hingegen sind die Vorgaben wesentlich strikter: Erst wer 100 radikale Prostatektomien unter Anleitung eines erfahrenen Operateurs durchgeführt hat, darf hier selbstständig operieren.

Ein Effekt der Mindestmengen sind geringere Komplikationsraten

Die Dresdner Urologen fordern deshalb Maßnahmen, um die Patientenversorgung zu zentralisieren. Denn eine Operation in Häusern mit hohen Fallzahlen steigert die Patientensicherheit und führt seltener zu schweren Nebenwirkungen wie Impotenz oder Inkontinenz.

„Von der Konzentration komplexer Therapien auf hochspezialisierte und sehr erfahrene Krankenhäuser profitieren nicht nur die Patienten, sondern auch das Gesundheitswesen insgesamt. Denn ein Effekt der Mindestmengen sind geringere Komplikationsraten, die sich positiv auf die Kosten auswirken“, sagt Albrecht.

Dass sich in Deutschland mehr als ein Viertel der Patienten nicht für spezialisierte Kliniken entscheiden, hat aus Hubers Sicht mehrere Gründe: „Häufig geben die überweisenden Ärzte eine Empfehlung, die sich an gewachsenen Strukturen orientiert. Wird die Diagnose in kleineren Häusern gestellt, operieren diese in erster Linie selbst. Und nicht zuletzt wollen einige Patienten möglichst nahe bei ihrer Familie sein.“

 

REFERENZEN:

1. Groeben C, et al: Prostate Cancer Prostatic Dis. (online) 23. August 2016

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....