Kopenhagen – Immun- statt Chemotherapie als Firstline-Behandlung könnte nun auch für einen erheblichen Anteil von Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs zum Standard werden. Beim europäischen Krebskongress in Kopenhagen sind die Ergebnisse der Phase-3-Studie KEYNOTE-024 vorgestellt worden. Sie hat den humanisierten PD(Programmed Death)-1-Antikörper Pembrolizumab (Keytruda®, Merck) bei Patienten mit fortgeschrittenem nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC = Non Small Cell Lung Cancer) und einer hohen PD-L1-Expression auf mindestens 50% der Tumorzellen gegen den bisherigen Standard einer platin-basierten Chemotherapie getestet [1].
Vier Monate länger ohne Progression
Das Ergebnis: Unter Pembrolizumab blieben die Patienten im Median 10,3 Monate progressionsfrei – und damit signifikant um mehr als 4 Monate länger als unter der bisher üblichen Chemotherapie mit 6,0 Monaten. Zudem waren unter Pembrolizumab nach 6 Monaten noch signifikant mehr Patienten am Leben (80 vs 72%) und dies bei insgesamt weniger Nebenwirkungen als unter der Chemotherapie. Auch waren die Ansprechraten unter Pembrolizumab höher (44,8 vs 27,8%) und die Ansprechdauer war länger (unter Chemotherapie im Median 6,3 Monate, unter Pembrolizumab Median noch nicht erreicht).
Pembrolizumab hat derzeit die Zulassung für die Zweitlinien-Therapie bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs und PD-L1 Expression.
„Diese Studie hat das Potenzial, die bisherige Praxis bei Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC zu ändern“, wird der belgische Onkologe Prof. Dr. Johan Vansteenkiste, Universität Leuven, in einer Pressemitteilung der ESMO (European Society for Medical Oncology) zitiert. „Zum ersten Mal hat eine Therapie das progressionsfreie Überleben im Vergleich zur derzeitigen Standard Firstline-Behandlung mit Platin-basierter Chemotherapie verbessert.“
Dies sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass in die Studie erstmals nur Patienten mit hoher PD-L1-Expression von über 50% aufgenommen worden seien – also „optimale Kandidaten für die Behandlung mit Pembrolizumab“. Er wünscht sich jedoch weitere Studien, um zum einen die KEYNOTE-024-Ergebnisse zu bestätigen und zum anderen, um zu testen, inwieweit vielleicht auch Patienten mit geringerer Expression von der Firstline-Therapie mit dem PD-1 Antikörper profitieren.
Studienkollektiv repräsentiert 30 Prozent der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC
Die Ergebnisse der Studie wurden zeitgleich zur Präsentation im New England Journal of Medicine veröffentlicht [2]. „KEYNOTE-024 ist die erste Phase-3-Studie mit Pembrolizumab als Erstlinien-Behandlung bei Patienten mit hoher PD-L1-Expression, die immerhin 27 bis 30 Prozent der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC repräsentieren“, betonte der deutsche Studienleiter Prof. Dr. Martin Reck, Abteilung für Thorax-Onkologie an der Lungenklinik Großhansdorf, bei der Präsentation der Studie.
Die 305 Teilnehmer der Studie mit fortgeschrittenem NSCLC hatten eine hohe PD-L1-Expression und gleichzeitig keine EGFR aktivierenden oder ROS1 Mutationen oder ALK Translokationen, die sie für andere Therapieansätze qualifiziert hätten. Gerade für diese Patienten besteht laut Reck „ein substanzieller Bedarf für bessere Optionen als die Chemotherapie“.
Alle Teilnehmer waren nicht vorbehandelt. Sie wurden in 2 Therapiearmen entweder auf Pembrolizumab oder eine herkömmliche Platin-basierte Chemotherapie randomisiert. Bei Progression der Tumorerkrankung unter der Chemotherapie war ein Crossover auf Pembrolizumab als Zweitlinientherapie erlaubt – bei 44% der Patienten fand ein solcher Wechsel statt.
Risiko für Progression oder Tod halbiert
Das progressionsfreie Überleben (PFS) war der primäre Endpunkt der Studie – dieses wurde durch den PD-1 Antikörper im Median um mehr als 4 Monate verlängert (Hazard Ratio: 0,5). Das Risiko für eine Progression der Krebserkrankung oder Tod wurde also im Vergleich zum bisherigen Standard halbiert. Nach einem Jahr waren unter Pembrolizumab noch 48% der Patienten, unter Chemotherapie aber nur 15% progressionsfrei.
Beim sekundären Endpunkt des Gesamtüberlebens nach 6 Monaten entsprach der Unterschied von 80 zu 72% einer Hazard Ratio von 0,6 – das Sterberisiko in den ersten 6 Monaten wurde also um 40% reduziert. Gerade vor dem Hintergrund, dass mehr als 40% der Patienten während der Studie vom Kontrollarm auf Pembrolizumab wechselten, sei die signifikante Verbesserung des Gesamtüberlebens „bemerkenswert“, betonte Reck.
Gleichzeitig wurde die Immuntherapie besser vertragen als die Chemotherapie – die Gesamtrate der Therapie-assoziierten Nebenwirkungen aller Schweregrade betrug 73,4% unter Pembrolizumab im Vergleich zu 90% unter der Chemotherapie. Bei den schweren Nebenwirkungen vom Grad 3 bis 5 lagen die entsprechenden Raten bei 26,6 im Vergleich zu 53,3%.
„Bei allen Endpunkten der Wirksamkeit und der Verträglichkeit schnitt Pembrolizumab besser ab“, betonte Reck. „Diese Daten werden das Management von Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC komplett verändern.“ Pembrolizumab sollte in Zukunft der Therapiestandard für die Firstline-Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs und hoher PD-L1 Expression werden, schlug der Experte vor. Dies primär für Patienten ohne andere Krebs-assoziierte Alterationen, die sie eventuell für andere Therapien qualifizieren. Für diejenigen mit solchen Alterationen (EGFR aktivierende oder ROS1 Mutationen oder ALK Translokationen) müssten dagegen noch mehr Informationen gesammelt werden.
Reck: „Dies ist eine Meilenstein-Studie für diejenigen 30 Prozent der Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC, die eine hohe PD-L1-Expression haben. Die neuen Behandlungsalgorithmen sollten zu Beginn einen Test auf die PD-L1 Expression enthalten, um diejenigen Patienten zu identifizieren, die von einer Firstline-Behandlung mit Pembrolizumab profitieren.“
REFERENZEN:
2. Reck M, et al: NEJM (online) 9. Oktober 2016
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Immuntherapie schlägt Chemo in der Firstline: „Meilenstein-Studie“ für viele Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs - Medscape - 11. Okt 2016.
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