Psychisch belastete Eltern – auffälliges Kind? BELLA-Studie zeigt, wie sich dem vorbeugen lässt

Petra Plaum

Interessenkonflikte

10. Oktober 2016

Hamburg – Können frühe Interventionen Kinder und Jugendliche mit einem hohen Risiko für psychische Erkrankungen seelisch gesund erhalten? Eine Verbesserung des Klimas in Familie und Schule könnte protektiv wirken, vermittelte Anne-Catherine Haller aus der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) in Hamburg [1].

Hallers Botschaft an Ärzte, die Familien mit psychisch belasteten Eltern begleiten, lautete: „Erst einmal muss die Stigmatisierung wegfallen, dann geht es um die Wissensvermittlung.“ Mit informierten Ärzten, Lehrkräften und Eltern steigen die Chancen für Kinder, deren Eltern z.B. Depressionen oder Angststörungen haben, seelisch stabil erwachsen zu werden.

Sind Eltern belastet, sind es ihre Kinder oft auch

Haller gehört zum Team der BELLA-Studie – der Name steht für „BEfragung zum seeLischen WohLbefinden und VerhAlten“. BELLA ist das Modul des Kinder- und Jugendgesundheits-Surveys (KiGGS), das seit 2003 die psychische Gesundheit und Lebensqualität Heranwachsender in Deutschland untersucht. Bislang gab es 4 BELLA-Wellen: 2004 bis 2007, 2005 bis 2008, 2009 bis2012 und 2014 bis 2016. Haller wirkte an der Studie „Faktoren der Gesunderhaltung bei Kindern psychisch belasteter Eltern“ mit, die kürzlich in Kind und Entwicklung publiziert worden ist [2].

In ihre Querschnittanalyse bezogen die Autoren die Daten von 1.113 13- bis 17-Jährigen und ihren Müttern oder Vätern ein, die in der vierten BELLA-Welle interviewt worden waren. 165 der befragten Eltern (14,8%), 145 Mütter und 20 Väter, bezeichneten sich als aktuell psychisch belastet. Fast 40% von ihnen litten an Depressionen, 30% an Unsicherheiten im Sozialkontakt, 18% an Zwanghaftigkeiten. Um zu verdeutlichen, worunter sie litten, hatten sie die Fragen der Symptom-Checkliste-Kurzversion-9 (SCL-K-9) beantwortet.  

Psychische Auffälligkeiten bei den Kindern und Jugendlichen identifizierten die Autoren mithilfe des Strengths and Difficulties Questionnaire, die gesundheitsbezogene Lebensqualität ermittelten sie mithilfe des Fragebogens KIDSCREEN-10. Die jungen Teilnehmer beantworteten alle Fragen selbst – das, räumen die Autoren ein, könnte zur insgesamt niedrigen Prävalenz von psychischen Erkrankungen innerhalb der Kohorte beigetragen haben. Nur 8,2% von 906 Kindern, deren Eltern laut Selbstauskunft psychisch gesund waren, zeigten Anzeichen einer psychischen Belastung, hingegen mit 13,3% signifikant mehr der 158 Kinder mit 1 oder 2 psychisch belasteten Elternteilen, deren Antworten vollständig auswertbar waren.

Je mehr Schutzfaktoren desto besser

 
Vor allem familiäre Unterstützung, ein gutes Schulklima und soziale Kompetenz wirken protektiv. Anne-Catherine Haller
 

Alle Kinder und Jugendlichen beantworteten Fragen zu personalen, familiären und sozialen Faktoren in ihrem Leben. Als personale Faktoren galten z.B. die Selbstwirksamkeitserwartung, der Optimismus und die soziale Kompetenz jedes Teilnehmers, als familiäre Faktoren das Familienklima und die dem Kind zur Verfügung stehende familiäre Unterstützung, als soziale Faktoren die allgemeine soziale Unterstützung aus dem Umfeld und das Schulklima. Der Faktor Schulklima setzte sich unter anderem aus dem Verhältnis von den Lehrerkräften zum Schüler und aus dem Miteinander der Schulkameraden zusammen. Jeder einzelne Faktor war schon in vorausgegangenen Studien als Prädiktor einer gesunden seelischen Entwicklung von Heranwachsenden identifiziert worden.

Die multiple lineare Regression zeigte auf, welche Prädiktoren bei jenen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern psychisch belastet waren, eine stabile psychische Gesundheit vorhersagten. „Vor allem familiäre Unterstützung, ein gutes Schulklima und soziale Kompetenz wirken protektiv“, berichtete Haller. Teilnehmer mit hohen Werten in diesen Bereichen waren signifikant seltener psychisch belastet als Teilnehmer, denen es daran mangelte.

Bei der multiplen linearen Regression, die ermittelte, inwiefern die Faktoren eine hohe gesundheitsbezogene Lebensqualität der Studienteilnehmer vorhersagten, fielen die Ergebnisse etwas anders aus: Die personalen Faktoren Optimismus und Selbstwirksamkeitserwartung, das Familienklima und das Schulklima erwiesen sich hier als bedeutsam. Wer hier gut abschnitt, nahm seine gesundheitsbezogene Lebensqualität als besser wahr.  

Alle sind gefordert: Lehrkräfte, Ärzte, Politik

Die Studie zeige, so Haller, dass die Kombination von personalen, familiären und sozialen Faktoren einen Einfluss darauf hat, ob Kinder von psychisch belasteten Eltern selbst erkranken oder nicht – und dass es sinnvoll sein kann, bei der Prävention Schulleitungen und Lehrkräfte ins Boot zu holen. Fühlt ein Schulkind sich im Klassenzimmer wertgeschätzt und hat es Erfolg, kann das offenbar stärkend wirken.

Ärzte helfen psychisch belasteten Eltern, wenn sie dieses Wissen weitergeben, vermittelte Haller. Sie empfahl dem Auditorium, Barrieren abzubauen und Eltern Mut zu machen, über psychische Belastungen zu sprechen. Auch die Früherkennung beim Kind sei sehr wichtig. Last but not least können Mediziner dazu beitragen, dass dieses Thema politisch mehr Gewicht bekommt. „Wir sollten Präventionsprogramme implementieren und eine optimale Versorgung anstreben“, empfahl Haller.  

 

REFERENZEN:

1. 112. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), 14. bis 17. September 2016, Hamburg

2. Plass A, et al: Kindh Entwickl. 2016;25:41-49

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....