München – Nach einer aktuellen Untersuchung könnte das Risiko für eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) bei Kindern erhöht sein, wenn deren Mütter länger als 2 Monate während der Schwangerschaft ein Antidiabetikum wegen eines Schwangerschafts- oder eines Typ-2-Diabetes eingenommen haben. „Unsere Daten zeigen, dass diese Kinder ein höheres ADHS-Risiko haben als andere Kinder“, erklärte Dr. Anny Xiang vom Kaiser Permanente Southern California (KPSC) in Pasadena, USA, bei der diesjährigen Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in München [1].
„Das Risiko für ADHS scheint gleichmäßig mit der Einnahmedauer von Antidiabetika anzusteigen“, fügte sie hinzu. Kinder, deren Mütter länger als 60 Tage Antidiabetika einnehmen mussten, wiesen nach Anpassung durch multivariate Verfahren eine um 23% höhere Inzidenz für eine ADHS auf (Hazard Ratio 1,23; p = 0,06).
Die Komoderatorin Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medicine an der Universität Wien, wies darauf hin, dass 85% der Schwangeren in der Studie mit Insulin behandelt worden waren. „Es handelt sich um sehr interessante Zahlen, doch lässt sich daraus nicht ablesen, dass Insulin einen nachteiligen Effekt auf das Ungeborene hat. Es wäre wichtig, Daten zur Hyperglykämie der Betroffenen zu haben, die nicht wirklich zur Debatte standen, aber von Bedeutung für diese Ergebnisse sein könnten.“ Sie betonte weiter die Bedeutung der Untersuchung, da es auf diesem Gebiet gegenwärtig an Daten mangele und da die Insulintherapie bei schwangeren Frauen mit Typ-2-Diabetes sehr verbreitet sei. „Wir können derzeit daraus nicht folgern, dass die Therapie gefährlich ist.“
Moderator Dr. Adam Tabak vom Londoner University College stimmte ihr da zu. Es handele sich um „interessante Daten zur Hypothesenbildung, doch würde ich derzeit keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen wollen. Wir benötigen mehr phänotypische Details der Population und müssen die unbestimmten Störvariablen ausfindig machen.“
Wissenslücke Schwangerschaftsdiabetes – Typ-2-Diabetes – ADHS
Der maternale Typ-2-Diabetes und der Schwangerschaftsdiabetes sind mit einem erhöhten perinatalen Risiko sowie mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Adipositas und metabolischer Störungen beim Kind verbunden. Ein Zusammenhang mit einer neurologischen Verhaltensstörung wie der ADHS sei bislang jedoch noch kaum untersucht, sagte Xiang.
Diese große retrospektive populationsbasierte Studie hinterfragte den Zusammenhang zwischen einem maternalen Typ-2- oder Schwangerschaftsdiabetes und dem ADHS-Risiko für das Ungeborene. Die Informationen stammten aus den elektronischen Patientenakten des KPSC über Ein-Kind-Schwangerschaften zwischen 1995 und 2009 mit Geburten zwischen der 18. und 44. Schwangerschaftswoche. Kinder mit einer Autismus-Diagnose wurden aus der Studie ausgeschlossen, ebenso Frauen mit einem Typ-1-Diabetes oder polyzystischen Ovarien, um sich ausschließlich auf den Typ-2- und den Schwangerschaftsdiabetes konzentrieren zu können, führte Xiang weiter aus.
Die Lebensläufe der Kinder der Studienteilnehmer wurden bis zum Zeitpunkt der ADHS-Diagnose, bis zum letzten Tag der KPSC-Mitgliedschaft, bis zum Tod oder bis zum 31.12.2014 verfolgt. Kinder von Müttern mit Typ-2- oder Schwangerschaftsdiabetes wurden nach dem Alter der Mutter und der zugehörigen Ethnie aufgeteilt und mit Kindern verglichen, deren Mütter während der Schwangerschaft keinen Diabetes hatten. Von den für die Studie geeigneten Kindern waren 20.481 einem Schwangerschaftsdiabetes ausgesetzt gewesen, 3.407 einem Typ-2-Diabetes und 110.905 keinem Diabetes.
Medikationszeitraum mit ADHS-Risiko assoziiert
Die Outcomes waren die ADHS-Entwicklung und das Alter zum Zeitpunkt der Diagnose, wobei eine Adjustierung nach dem Alter der Mutter bei der Geburt, dem Haushaltseinkommen, der Erziehung, der Vorgeschichte der Mutter im Hinblick auf ein ADHS und nach dem Geschlecht erfolgte. Ebenso wurden die potenziellen Störvariablen Präeklampsie/Eklampsie, Schwangerschaftswoche zum Geburtstermin, Geburtsgewicht und Geburtsdefekte berücksichtigt.
Die ADHS-Inzidenz war in allen Gruppen ähnlich: 4,1% in der Gruppe ohne maternalen Diabetes, 3,9% bei Müttern mit Typ-2-Diabetes und 3,8% bei Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes.
Xiang erklärte jedoch, dass es bei Kindern, deren Mütter mit Antidiabetika behandelt worden waren (n = 7.479) eine leichte aber signifikante Zunahme des ADHS-Risikos geben würde (Hazard Ratio 1,20, adjustiert 1,16; p = 0,03), wenn man die Werte mit Kindern verglich, deren Mütter einen Typ-2- oder Schwangerschaftsdiabetes hatten, doch während der Schwangerschaft überhaupt keine Medikamente eingenommen hatten. Von den Typ-2-Diabetikerinnen hatten 47% während der Schwangerschaft Medikamente genommen, von den Schwangerschaftsdiabetikerinnen 29%.
Die Ergebnisse wurden dann weiter nach der Dauer der Antidiabetikaeinnahme auf folgende Untergruppen verteilt: 1 bis 29 Tage, 30 bis 59 Tage und länger als 60 Tage. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen der ADHS-Inzidenz und der Dauer der Medikation festgestellt. „Der Trend war sowohl mit als auch ohne Anpassung an die Kovariaten signifikant. Das ADHS-Risiko war bei Kindern, deren Mutter während der Schwangerschaft länger als 60 Tage Antidiabetika eingenommen hatte, um 23 Prozent erhöht“, so Xiang.
Längere Medikationsdauer: Möglicherweise Hinweis auf Schwere des Diabetes
Die Assoziation mit einer kürzeren Antidiabetikamedikation erreichte kein Signifikanzniveau. Xiang gab jedoch zu, dass die Studie nur eine begrenzte Aussagekraft habe. Sie betonte, dass weitere Untersuchungen zu diesem Thema erforderlich seien. „Wir fragen uns, ob die längere Medikationsdauer nicht ein Stellvertreter für die Schwere des Diabetes während der Schwangerschaft ist – und dass diese dann mit dem erhöhten ADHS-Risiko in Verbindung steht“, bemerkte sie weiter und wies darauf hin, dass dies ein möglicher Ansatzpunkt für zukünftige Arbeiten sein könne.
Tabak erklärte, dass die Limitierungen der Studie ernst genommen werden sollten. „Manche nicht erfassten Störvariablen könnten hinter diesen Ergebnissen stecken, z.B. unterschiedliche sozioökonomische Verhältnisse der Frauen.“
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Diabetes in der Schwangerschaft: Erhöhen mehr als zwei Monate Antidiabetika das Risiko für ADHS? - Medscape - 10. Okt 2016.
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