Stuttgart – Demenzsyndrome sind oftmals behandelbar, betonte PD Dr. Marija Djukic beim Gerontologie und Geriatrie Kongress in Stuttgart [1]. „Die Demenz vom Alzheimer-Typ ist zwar nach wie vor die häufigste Form, aber auch die anderen Formen sind nicht zu vergessen“, so die Neurologin und Leitende Oberärztin in der Abteilung für Geriatrie am Ev. Krankenhaus Göttingen-Weende und Institut für Neuropathologie der Universitätsmedizin Göttingen.
Nach eigenen Beobachtungen vermutet sie bei etwa 15% bis 30% der Patienten eine vaskuläre, bei 10% bis 15% eine fronto-temporale, ebenfalls bei 10% bis 15% eine mit Parkinson oder Lewy-Körperchen assoziierte und bei 5% bis 10% eine sonstige Demenzform. Insbesondere bei der vaskulären Demenz könne es aber Überlappungen und Mischformen mit der Alzheimer-Demenz geben.
Behandelbare Demenzen stoppen – reversibel sind sie leider nicht
Neben der bestmöglichen Therapie vaskulärer oder anderer Grunderkrankungen gibt es aber auch noch zahlreiche andere Aspekte zu beachten; viele Kofaktoren können bei der Verschlechterung des Denkvermögens eine Rolle spielen.
Wie groß letztlich der Anteil der Demenzen ist, die man behandeln könnte, das wird in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben: Es finden sich Zahlen von 1,5% bis zu 30%. Eine etwas ältere Metaanalyse kam zu dem Schluss, dass 9% der Demenzpatienten behandelbare Erkrankungsursachen haben, wie etwa:
Vitaminmangel (meist B12),
Depression,
Intoxikationen (Medikamente, Schwermetalle, Alkohol),
Hypothyreose oder
Normaldruck-Hydrozephalus (NPH).
Dazu kommen noch (in der Metaanalyse nicht explizit genannt) bakterielle oder virale Entzündungen, also Enzephalitiden. „Um Enzephalitiden abzuklären, benötigen wir eine Liquoranalyse“, betonte Djukic.
Die schlechte Nachricht: Selbst wenn solche (Mit-) Ursachen gefunden und fachgerecht behandelt werden, kann man damit den Erkrankungsverlauf nicht (oder nur selten) zurückdrehen. Früher entdecken und eingreifen ist also besser – wie so oft.
Langer Katalog möglicher Ursachen für kognitive Störungen
Neben den bereits genannten kommen noch weitere Schilddrüsenstörungen und andere Vitaminmangelerkrankungen (B1, B6, Folsäure) als Auslöser für Demenzsyndrome in Frage. „Folsäuremangel ist in unserer Klinik die häufigste behandelbare Ursache, daran sollten wir immer denken“, so die Expertin.
Mögliche Gründe für Denkstörungen sind auch metabolische Enzephalopathien (etwa durch chronische Leber- und Nierenerkrankungen, Hyper- und Hypoglykämien und Sauerstoffmangelzustände) sowie Änämien, Hyperlipidämien und Elektrolytverschiebungen (zum Beispiel bei Dialysepatienten).
An Medikamenten, die die Kognition beeinträchtigen können, nannte Djukic vor allem Anticholinergika, Benzodiazepine, Thiazide, Antidepressiva wie SSRI und SRNI, außerdem Steroide, Digoxin und das Schleifendiuretikum Furosemid.
Seltenere Auslöser kognitiver Störungen sind chronische Vergiftungen durch Kohlenmonoxid, Quecksilber, Blei oder Perchlorethylen, eine Polyzythämie, ein Multiples Myelom und Spätformen der Leukodystrophie.
Wie oft kommt das denn vor?
In einer eigenen Studie untersuchten Djukic und ihre Kollegen 166 Personen (davon 123 Frauen), die im Jahr 2009 aus den unterschiedlichsten Gründen in ihrer Klinik gewesen waren und bei denen außerdem eine Demenz vermutet wurde. Das mittlere Alter dieser Patienten war 83 Jahre. 6 Patienten hatten ein Delir und wurden in der weiteren Analyse nicht berücksichtigt.
Von den übrigen 160 Patienten hatten 61 ihre Demenzdiagnose in der Göttinger Klinik erhalten und die anderen 99 bereits vor Klinikeinlieferung. Bei 73 dieser letzteren 99 Patienten wurde eine Alzheimer-Demenz vermutet, bei 11 eine gemischte und bei je 7 eine vaskuläre bzw. eine Parkinson-assoziierte Demenz; ein Patient hatte eine fronto-temporale Demenz.
Bei genauerem Hinsehen wurden in dieser Gruppe von 99 Personen immerhin 23 Patienten (23,2%) gefunden, die (auch) potenziell behandelbare Ursachen der Kognitionsstörung aufwiesen:
Bei 9 Patienten (9%) bestand ein Vitamin-B12-Mangel,
5 Patienten (5%) litten an chronischem Alkoholismus,
4 Patienten (4%) zeigten in der Bildgebung Zeichen eines Normaldruck-Hydrozephalus und
5 Patienten (5%) hatten eine Depression.
Da die Depression aber nicht unbedingt die Ursache der Demenz sein muss, sondern auch deren Folge sein kann, wurde sie von der weiteren Auswertung ausgeschlossen. Auch so blieben noch 18 Patienten (18,2%) mit potenziell behandelbaren Demenzursachen übrig.
Von den 61 Patienten, deren Demenz erst in der Göttinger Klinik festgestellt wurde, zeigten 6 (das entspricht 10%) einen Vitamin-B12-Mangel. Eine Depression lag bei 8 Patienten (13%) vor. 5 Patienten (8%) hatten einen Normaldruck-Hydrozephalus und einer (1,6%) war alkoholkrank. Insgesamt hatte also sogar jeder Dritte in dieser Gruppe eine behandelbare Demenzursache.
Außerdem wurden in beiden Patientengruppen oftmals Laborwerte außerhalb der Referenzbereiche festgestellt. Besonders auffällig waren Abweichungen des Folsäurespiegels. Sie fanden sich beispielsweise bei 56 der 99 bereits mit Demenzdiagnose eingelieferten Patienten. Aber auch Hypo- und Hyperthyreose, Kreatinin-, Harnstoff- und Leberenzymerhöhungen, Hyperglykämie und abnormale Blutzellwerte kamen häufig vor.
Einfache Maßnahmen immer beachten – es schadet nicht
Studien mit dem schlüssigen Nachweis, dass sich Demenzerscheinungen durch das „Abstellen“ behandelbarer Ursachen wenigstens aufhalten lassen, sind bislang Mangelware, aber einige gibt es doch. So waren in eine prospektive Studie 271 über 70-jährige Personen mit milder kognitiver Beeinträchtigung aufgenommen worden; 187 von ihnen waren mit bildgebenden Hirnscans einverstanden.
Die Hälfte der Patienten erhielt täglich 0,8 mg Folsäure, 0,5 mg Vitamin B12 und 20 mg Vitamin B6. Diese Zusatzbehandlung war mit einer Verlangsamung der Hirnatrophie verbunden. Djukics Folgerung: „Solche einfachen Substitutionsmaßnahmen sollten wir immer beachten.“
Normaldruck-Hydrozephalus entlasten
Bei 5% aller Patienten mit Demenzsyndrom finden sich in der Bildgebung potenziell behandelbare nicht-neurodegenerative und nicht-vaskuläre Ursachen der kognitiven Störung, so die Neurologin – etwa ein Normaldruck-Hydrozephalus. Das Problem: Er tritt in 3 von 4 Fällen gemeinsam mit einer Alzheimer- oder vaskulären Demenz auf (und lässt diese noch ausgeprägter erscheinen als sie ist). So wird er leicht übersehen; 80% aller NPH-Fälle bleiben laut Djukic unentdeckt.
Klinisch wegweisend für NPH sei „die klassische Trias aus Demenz, Inkontinenz und Gangstörung“. Sind mindestens 2 dieser 3 Zeichen positiv, sollte laut einem im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Diagnose- und Behandlungsleitfaden per Bildgebung nach NPH-Markern gesucht werden. Dies sind „eine intern betonte Hirnatrophie, verstrichene Sulci beidseits hochparietal und ein Corpus-callosum-Winkel über 90 Grad“, so Djukic. Bestätigt sich hier der Verdacht, kann (nach neuropsychologischer und motorischer Testung) ein Liquorablassversuch folgen. Das weitere Vorgehen, gegebenenfalls bis hin zur Lumbaldrainage, richtet sich nach dessen Erfolg.
„Der Effekt der Lumbalpunktion auf die NPH-Patienten ist oftmals enorm, und die Verträglichkeit ist heutzutage sehr gut; die Maßnahme kann regelmäßig wiederholt werden“, berichtete Djukic.
REFERENZEN:
1. Gerontologie und Geriatrie Kongress 2016, 7. bis 10. September 2016, Stuttgart
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Es muss nicht immer Alzheimer sein – bei kognitivem Abbau lohnt es auch nach behandelbaren Ursachen zu suchen - Medscape - 7. Okt 2016.
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