London – Nach einer ersten idiopathischen Lungenarterienembolie sollte wahrscheinlich mindestens 2 Jahre lange eine orale Antikoagulation erfolgen. Wägt man die Rezidivprophylaxe gegen das Blutungsrisiko ab, neigt sich die Waage eindeutig zur Nutzenseite.
Das geht aus der französischen PADIS-PE-Studie hervor, für Prof. Dr. Marius M. Hoeper, Leitender Oberarzt an der Klinik für Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover, eines der wissenschaftlichen Highlights des letzten Jahres [1]. „Die Dauer der Antikoagulation nach der ersten Lungenembolie ist derzeit eines der umstrittensten Themen“, so der Pneumologie beim Kongress der European Respiratory Society [2].
Hohes Rezidivrisiko auch noch nach Jahren
Die europäische Leitlinie sieht derzeit vor, dass nach einer ersten nicht provozierten akuten Lungenembolie mindestens 3 Monate lang, bei geringem Blutungsrisiko auch länger antikoaguliert werden sollte. Wie lange „länger“ ist, sagt die Leitlinie nicht. Tatsache ist, dass die Patienten ein hohes Rezidivrisiko haben, sobald die orale Antikoagulation (OAK) beendet wird. Im ersten Jahr rezidivieren mehr als 10%, binnen 5 Jahren 30%.
In PADIS-PE waren 371 Patienten nach akuter Lungenembolie zunächst 6 Monate lang mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA) antikoaguliert und anschließend randomisiert worden. Die Hälfte erhielt weiterhin den VKA für 18 Monate, die andere Hälfte Placebo. Nachdem die Medikation abgesetzt worden war, wurden alle Patienten für weitere 24 Monate nachbeobachtet.
Das Ergebnis dürfte auch OAK-Skeptiker überzeugen: Während der 18-monatigen Behandlung traten in der Verumgruppe 3 Rezidive auf, in der Placebogruppe 25. Das entspricht einer fast 90%igen relativen Risikoreduktion (Hazard Ratio 0.11, 95% Konfidenzintervall 0.03-0.37). Schwere Blutungen blieben insgesamt selten und wurden bei 4 Patienten unter VKA und einem Patienten unter Placebo registriert (Hazard Ratio 3.96, 95% KI 0.44-35.98).
Beides zusammen, Rezidiv-Embolien und Blutungskomplikationen, hatten den primären Endpunkt gebildet. Die Hazard Ratio dafür betrug 0.22 (95% KI 0.09-0.55). Insgesamt zeigte sich ein deutlicher Benefit zugunsten der verlängerten Antikoagulation, resümierte Hoeper: „Neuentwicklungen bei den oralen Antikoagulanzien machen es immer wahrscheinlicher, dass wir zu einer ad infinitum verlängerten OAK kommen werden.“
Das legen auch die Ergebnisse von PADIS-PE nahe, denn in der Zeit nach Absetzen der Medikation kam es in beiden Gruppen weiter zu Rezidiven, wobei sich die VKA-Gruppe der Placebogruppe bis zum Ende der Beobachtungszeit fast angenähert hatte.
Beim intermediären Risiko schwächelt der Kalkulator
Vor Einleitung der Akuttherapie sollte der Leitlinie zufolge das individuelle Risikoprofil abgeklopft werden, ob der Patient eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, schon in der Klinik zu sterben, und deshalb unverzüglich der Versuch einer Revaskularisation unternommen werden sollte. Als Parameter werden Schock/Hypotonie, PESI- oder sPESI-Score, rechtsventrikuläre Dysfunktion sowie Troponine und natriuretische Peptide als Biomarker herangezogen.
Ein Kritikpunkt an dieser Strategie ist, dass Patienten mit intermediärem Risiko weiter unterteilt werden in niedrig-intermediär und hoch-intermediär, „ohne dass das echte therapeutische Konsequenzen hat“, so Hoeper. Eine Evaluation von rund 900 Lungenembolie-Patienten aus drei prospektiven Kohortenstudien bestätigt die Kritiker.
Fibrinolyse per Katheter ist machbar und sicher
Die weit überwiegende Mehrheit der Patienten gehörte zur mittleren Risikokategorie. Hinsichtlich der 30-Tage-Mortalität zeigten sich zwar deutliche Unterschiede zu Patienten mit niedrigem oder hohem Risiko-Score (22% und 0,5% Sterberisiko), nicht aber innerhalb der als intermediär eingestuften Gruppe (um 7%). „Die ESC-Risikoeinteilung ist valide, außer bei niedrig- und hoch-intermediärem Risiko“, lautet Hoepers Fazit.
Ein heißes Thema ist auch bei der Lungenembolie die interventionelle Therapie. Ihr galt die dritte Studie, die Hoeper zitierte. SEATTLE II war eine einarmige Multicenter-Studie, in der die Ultraschall-geleitete Katheter-Fibrinolyse bei massiver und submassiver Lungenembolie erprobt wurde. Man verspricht sich davon, dass ausgeprägte Blutungsrisiko bei systemischer Fibrinolyse verringern zu können, weil für die lokale Lyse niedrigere t-PA-Dosen benötigt werden.
Tatsächlich konnte eine deutliche Rechtsherzentlastung erreicht werden (geringere Ventrikeldilatation und 30% niedrigerer pulmonalarterieller Druck), ohne dass intrakranielle Blutungen auftraten. Das Verfahren erscheint vielversprechend, vor allem für Hoch- und Intermediär-Risiko-Patienten, meinte Hoeper. Allerdings bleibt abzuwarten, wie die Ergebnisse ausfallen, wenn sie direkt mit den üblichen Akuttherapien verglichen werden.
REFERENZEN:
1. Couturaud F, et al: JAMA. 2015;314(1):31-40
2. Congress of the European Respiratory Society, 3. bis 7. September, London/Großbritannien
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Wie lange Antikoagulation nach Lungenembolie? Nach neuen Daten lohnt es sich für zwei Jahre – oder sogar lebenslänglich - Medscape - 29. Sep 2016.
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