Altern des Immunsystems: Lässt es sich durch das Ausschalten eines einzigen Gens bremsen?

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

27. September 2016

Prof. Dr. Karl Lenhard Rudolph

Foto: FLI / Nadine Grimm

Die Leistung des Immunsystems nimmt mit dem Alter ab, unter anderem weil weniger Lymphozyten neu gebildet werden. Ältere Menschen leiden deswegen häufiger und länger an Infektionskrankheiten als jüngere. Eine aktuelle Veröffentlichung in Nature Cell Biology liefert jetzt eine mögliche molekularmedizinische Erklärung [1]: die Funktion des Gens Per2.

Bis dato war dieses Gen dafür bekannt, im Zusammenspiel mit anderen Genen den Schlaf-Wach-Rhythmus bei Mäusen und Menschen zu steuern. Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung, Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben nun in Versuchen mit Mäusen herausgefunden, dass sich die Alterungsprozesse des Immunsystems durch die Blockade des Per2-Gens weitgehend stoppen lassen.

„Das Ergebnis ist überraschend, denn es war nicht zu erwarten, dass die Stilllegung eines einzelnen Genes zu solch komplexen Veränderungen führt“, erläutert Prof. Dr. Karl Lenhard Rudolph, wissenschaftlicher Direktor des FLI. „Per2 ist Teil eines genetischen Netzwerks, das die zirkadiane Expression verschiedener Gene reguliert. Die geschieht im Konzert mit gewebespezifischen Regulatoren.“

Die Alterserscheinungen des Immunsystems lassen sich molekularmedizinisch teilweise auf die abnehmende Funktion der lymphatisch-hämatopoetischen Stammzellen (ly-HPZ) zurückführen. Deren Teilungsrate geht mit zunehmendem Alter stärker zurück als bei myeloisch-hämatopoetischen Stammzellen. Die Folge: Das Gleichgewicht im Blut verschiebt sich zu Ungunsten der lymphatisch gereiften Immunzellen.

 
Das Ergebnis ist überraschend, da nicht zu erwarten war, dass die Stilllegung eines einzelnen Genes zu solch komplexen Veränderungen führt. Prof. Dr. Karl Lenhard Rudolph
 

Der Rückgang der Teilungsrate von ly-HPZ wird auf DNA-Schäden zurückgeführt. Diese beruhen wahrscheinlich auf oxidativem Stress sowie auf einer Verkürzung der Telomere als Folge der Aufsummierung lebenslanger Zellteilungen, in deren Folge sich DNA-Enden jedes Mal ein Stück verkürzen.

Genblockade mittels In-vivo-RNA-Interferenz

Forscher des Leibniz-Instituts für Alternsforschung, Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena haben insgesamt 459 Gene mit einem möglichen Potential zur Tumorsuppression in hämatopoetischen Stammzellen (HPZ) von Mäusen mittels In-vivo-RNA-Interferenz stillgelegt. Hierbei wird die Expression jeweils eines der 459 Gene mit einer „spiegelbildlichen“ RNA blockiert. Das entsprechende Genprodukt wird in verminderter Menge synthetisiert.

 
Auf jeden Fall zeigt es, dass das menschliche Per2-Gen ebenfalls in die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus eingreift. Prof. Dr. Karl Lenhard Rudolph
 

Es zeigte sich, dass Mäuse, bei denen das Per2-Gen blockiert worden war, trotz radioaktiver Bestrahlung, Stress und fortschreitendem Alter gesünder blieben und bis zu 15% länger lebten. Untersuchungen zeigten, dass hier die ly-HPZ bis ins hohe Alter teilungsaktiv waren, die Telomere länger blieben und die Immunzellen des Blutes im physiologischen Gleichgewicht standen. Auch die Krebsrate schien sich in der verlängerten Lebenszeit nicht zu erhöhen.

Ergebnisse auf den Menschen übertragbar?

Rudolph will nun in Folgearbeiten untersuchen, welche Gene vom Per2-Gen in blutbildenden Zellen reguliert werden und wie diese im Alter zu einer Funktionsstörung der Lymphozytenbildung beitragen. Hieraus könnten sich Therapien-Ansätze ergeben, die auf eine verbesserte Immunfunktion im Alter zielen.

Allerdings muss noch gezeigt werden, dass das Per2-Gen im Menschen tatsächlich so funktioniert wie bei Mäusen. Bekannt ist jedenfalls, dass Menschen mit einer Mutation im Per2-Gen abends nur schwer wach bleiben können und früh ins Bett gehen müssen. Der Volksmund könnte also Recht haben, wenn er sagt, der Schlaf vor Mitternacht sei der gesündeste? „Auf jeden Fall zeigt es, dass das menschliche Per2-Gen ebenfalls in die Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus eingreift“, meint Rudolph dazu.

Ob Ähnliches für das Immunsystem des Menschen gilt, bleibt offen: Senioren haben jedenfalls häufig Schlafstörungen und der zirkadiane Rhythmus ist gestört. Denkbar, dass diese mit einer Veränderung der Expression zirkadian regulierter Gene in blutbildenden Zellen einhergehen und die Immunfunktionen im Alter mindern könnten. „Wir sind daran interessiert, näher zu untersuchen, ob diese Mutationen im Menschen im Alter mit einem leistungsfähigeren Immunsystem einhergehen“, resümiert Rudolph.

 

REFERENZEN:

1. Wang J, et al: Nature Cell Biology 2016;18:480-490

 

Kommentar

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