
Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph
Aus dem Silicon Valley kommen nicht nur technische Neuheiten, auch Ernährungstrends finden ihren Weg aus den Start-ups in Kalifornien bis nach Deutschland. Neueste Idee der hart arbeitenden Unternehmer: intermittierendes Fasten. 36 bis 72 Stunden verzichten sie auf jegliche Nahrung – außer Wasser – dann treffen sie sich zum Fastenbrechen in einem Frühstückscafé. Sie berichten, dass sie sich deutlich besser konzentrieren können, auch, weil sie nicht mehr darüber nachdenken müssen, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen. Und sie hoffen, dass sie durch die ungewöhnliche Diät ihr Leben verlängern. Ihre Theorie beruht auf Tierexperimenten. Bei Mäusen konnte gerade erst gezeigt werden, dass 4 Tage Nahrungsverzicht gefolgt von einer Woche gesunder Standardkost die Regeneration von Zellen anregt, die Lebensspanne verlängert und Stress reduziert [1]. Sollten Ärzte ihren Patienten zu so einer Diät raten? Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph ist wissenschaftlicher Direktor am Fritz-Lipmann-Institut des Leibnitz-Instituts für Alternsforschung. Intermittierendes Fasten habe interessante Effekte, sagt er. Aber noch sei die Datenlage nicht gut genug.
Medscape: Herr Professor Rudolph, welche Effekte hat intermittierendes Fasten denn tatsächlich auf den Körper – metabolisch, immunologisch und psychisch?
Professor Dr. Rudolph: Intermittierendes Fasten induziert eine katabole Stoffwechsellage. Der Körper mobilisiert gespeicherte Energiereserven. Gleichzeitig werden Wachstums- und Stoffwechselstimulatoren reduziert. Zellteilung wird reduziert. Der Körper geht in eine Art Ruhezustand und konzentriert sich auf die Bereitstellung von Energie und den Erhalt von Zellen und Geweben. Das Immunsystem wird in der Phase des Fastens in der Aktivität reduziert. Dies ist aber reversibel und es kommt sogar zu einer überschießenden Immunantwort nach dem Wiedereinsetzen der Nahrungsaufnahme.
Psychische Folgen müssen noch genauer untersucht werden. In der Hungerphase ist der Körper in einer Art Stresssituation und darauf konzentriert Nahrung zu bekommen. Dies kann sicherlich zum Teil überspielt werden. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Ausgeglichenheit in dieser Phase reduziert ist und Aggressionen leichter hoch kommen.
Medscape: Halten Sie die Theorie vom intermittierenden Fasten als Lebensverlängerer für fundiert? Wie ist die oben genannte Studie einzuschätzen?
Prof. Dr. Rudolph: Die Studie ist hochinteressant und es gibt viele weitere Studien, die einen positiven Effekt von intermittierenden Fasten auf die Gesundheit implizieren. Mit Aussagen zur Lebensverlängerung wäre ich aber sehr vorsichtig zum jetzigen Zeitpunkt. Die Datenlage ist nicht ausreichend. Über viele Jahre wurde eine kontinuierliche Kalorienrestriktion als lebensverlängernde Maßnahme postuliert. Im Gegensatz zu Ergebnissen in Fliegen und Würmern waren die Effekte in Affen aber nicht überzeugend und zeigten im Vergleich zu einer ausgeglichenen ad libitum Diät – die Affen durften Essen soviel sie wollten – keine Überlebensverlängerung.
Medscape: Die Autoren der Studie schreiben auch von zwei Untersuchungen [2,3], die zeigen, dass Fasten von mehr als 2 Tagen das Absterben von Krebszellen vieler Krebsformen fördert. Auch das würde ja das Leben im Zweifelsfall verlängern. Oder nicht?
Prof. Dr. Rudolph: Diese Untersuchungen sind in der Tat interessant. Kalorienrestriktion und Fasten könnten beide einen positiven Effekt auf die Krebsunterdrückung haben. Es ist bekannt, dass Adipositas das Krebsrisiko erhöht – übrigens auch das Risiko eines Wiederauftreten von Krebs nach erfolgreicher Therapie.
Medscape: Intermittierendes Fasten ist auch als Therapie bei Prädiabetes im Gespräch. Wie sinnvoll ist der Einsatz dort?
Prof. Dr. Rudolph: Es gibt Hinweise, dass der Progress von Prädiabetes zu einem vollentwickelten Diabetes durch Diät (Anstreben eines Idealgewichts) und Sport aufgehalten werden kann. Ob fortlaufendes, intermittierendes Fasten oder andauernde Kalorienrestriktion hier einen zusätzlichen positiven Effekt haben würde, ist nicht erwiesen.
Medscape: Würden Sie aufgrund der Datenlage dazu raten, so wie die Manager im Silicon Valley intermittierend zu fasten?
Prof. Dr. Rudolph: Im Moment würde ich niemanden zu einem fortlaufenden intermittierenden Fasten raten. Die Datenlage gibt das nicht her. Da befindet man sich im Rahmen eines Selbstversuchs mit ungewissem Ausgang. Wir wissen derzeit nicht, wie sich eine solche Diät auf den Menschen auswirken würde, wenn man solche ständig fortlaufenden Fastenzyklen dies über viele Jahre praktizieren würde.
Medscape: Man könnte vermuten, dass die Unternehmer aus dem Silicon Valley bei einem so strengen Fastenplan eher unter- als normalgewichtig sind. Gibt es Erkenntnisse dazu, ob ein bestimmter BMI zu einem besonders langen Leben führt? Könnte Untergewicht in Bezug auf diesen einen Aspekt also sogar sinnvoll sein?
Prof. Dr. Rudolph: Das ist eine sehr interessante Frage. Interessanterweise zeigt der BMI eine U-förmige Korrelation mit der Lebensspanne. Ein hoher BMI, wie bei Adipositas/Fettleibigkeit, ist schlecht, aber auch eine zu niedriger BMI korreliert mit einer Verkürzung des Überlebens. Ein mittlerer BMI um 22, was etwa dem Idealgewicht entspricht, ist mit der längsten Lebensspanne assoziiert. Aufgrund dieser Datenlage muss man eine langdauernde Verminderung des BMIs unter das Normalgewicht durch Diäten (Fasten oder Kalorienrestriktion) kritisch sehen. Es gibt Hinweise, dass durch eine Verminderung des BMI Immunfunktionen gestört werden und die Anfälligkeit z.B. für Infektionskrankheiten ansteigt.
Medscape: Welche anderen Ernährungshinweise sollte man beachten, wenn man sein Leben verlängern will?
Prof. Dr. Rudolph: Wichtig ist, Adipositas zu vermeiden. Ansonsten ist eine ausgewogene Ernährung gut, man sollte ein Normalgewicht anstreben. Darüber hinausgehende fortlaufende Fastenzyklen und andauernde Kalorienrestriktion sind – zumindest auf Grundlage der derzeitigen Datenlage – nicht zu empfehlen.
REFERENZEN:
1. Brandhorst S, et al: Cell Metab, 18. Juni 2015
2. Lee C, et al: Sci Trans Med, 7. März 2012
3. Shi Y, et al: BMC Cancer, 4. Dezember 2012
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Diesen Artikel so zitieren: Öfter fasten, länger leben? Wie intermittierender Nahrungsverzicht auf Diabetes, Krebs und Lebenszeit wirkt - Medscape - 27. Sep 2016.
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