München – Nun ist es amtlich. Zu den 2 Antidiabetika, Empagliflozin und Liraglutid, die in Endpunkt-Studien gezeigt haben, dass sie nicht nur den Blutzucker sondern auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse senken, gesellt sich nun ein drittes: Semaglutid. Der GLP-1-Rezeptoragonist (GLP-1-RA) ist wie Liraglutid eine Entwicklung des Unternehmens Novo Nordisk, wird aber nur einmal wöchentlich subkutan injiziert und ist bislang noch nicht zugelassen.
Beim europäischen Diabeteskongress in München sind nun die Ergebnisse der SUSTAIN-6 Studie mit Semaglutid erstmals öffentlich vorgestellt und zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert worden [1;2]. In einer Pressemitteilung hatte Novo Nordisk bereits – wie berichtet – Ende April 2016 bekannt gegeben, dass es mit dem einmal wöchentlichen GLP-1-Analogon gelungen war, das kardiovaskuläre Risiko bei Patienten mit Typ-2-Diabetes signifikant zu reduzieren. Was vorher nicht bekannt war und bei der Präsentation für etwas Überraschung sorgte, war ein ungünstiges Studienergebnis für Semaglutid: Die Retinopathie-Rate war unter dem DLP-1-RA signifikant erhöht (Hazard Ratio: 1,76; 3,0 vs 1,8%; p = 0,02).
Schlaganfälle und Herzinfarkte waren unter Semaglutid seltener
In der SUSTAIN-6-Studie ist Semaglutid in 2 verschiedenen Dosierungen (0,5 und 1,0 mg) gegen Placebo – jeweils additiv zu einer Blutzucker senkenden Basistherapie – getestet worden. Die 3.297 Studienteilnehmer mit Typ-2-Diabetes hatten bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung und/oder eine chronische Nierenerkrankung – und damit ein hohes kardiovaskuläres Risiko. Die Behandlungsdauer betrug 2 Jahre. Primärer Endpunkt der Studie war eine Kombination aus kardiovaskulär bedingtem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Dieser primäre Endpunkt wurde unter der Semaglutid-Behandlung signifikant reduziert – und zwar relativ um 26%, berichtete Studienleiter Dr. Steven Marso, Research Medical Center Kansas City, USA, der die Ergebnisse unter lautem Beifall des Auditoriums in München präsentierte. 108 Ereignisse in der Semaglutid-Gruppe standen 146 in der Placebo-Gruppe gegenüber (HR: 0,74; p < 0,001; absolute Risikoreduktion von 8,9 auf 6,6%). Die Differenz ging auf das Konto von weniger Herzinfarkten (Ereignisrate 2,9 zu 3,9%, p = 0,12) und weniger Schlaganfällen (1,6 zu 2,7%, p = 0,04) unter Semaglutid. Die Zahl der kardiovaskulär bedingten Todesfälle (44 zu 46) unterschied sich dagegen in beiden Gruppen nicht. Auch in der Gesamtmortalität zeigte sich kein Unterschied der beiden Behandlungsgruppen.
SUSTAIN-6 war eine der von der US-Arzneimittelbehörde FDA als Folge des Rosiglitazon-Skandals für Antidiabetika geforderten kardiovaskulären Sicherheitsstudien. Die FDA verlangt, dass in diesen Studien nachgewiesen wird, dass die antidiabetische Medikation das kardiovaskuläre Risiko nicht erhöht – doch war SUSTAIN-6 auch so gepowert, dass eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos durch Semaglutid bewiesen werden konnte, erläuterte Prof. Dr. Lawrence A. Leiter, Universität von Toronto, Kanada, beim Kongress.
Für die Auswertung wurden die beiden Semaglutid-Dosierungen gepoolt. Ungefähr 20% der Teilnehmer brachen die Behandlung vorzeitig ab – etwas mehr unter Semaglutid, berichtete er. Häufigster Grund war mit 9,4% in der 1,0 mg-Gruppe eine gastrointestinale Unverträglichkeit.
Auch im HbA1c-Wert beträchtliche Unterschiede, doch nicht bei den Hypoglykämien
Die Patienten waren kardiovaskulär im Allgemeinen gut behandelt, so Leiter weiter. Blutdruck und Cholesterin befanden sich bei den meisten im Normbereich. Obwohl in beiden Gruppen – also auch unter Placebo – die Behandler angehalten waren, die Blutzucker senkende Therapie zu intensivieren, wenn die Ziele nicht erreicht wurden, unterschieden sich die mittleren HbA1c-Werte der Behandlungsgruppen dann doch, berichtete Prof. Dr. Tina Vilsboll, Center for Diabetes Research, Gentofte Hospital, Kopenhagen, Dänemark. So nahm der Ausgangs-HbA1c von im Schnitt 8,7% unter Semaglutid um 1,1 bzw. 1,4%punkte ab, unter Placebo jedoch nur um 0,4%punkte. Trotz dieses Unterschieds differierte die Hypoglykämie-Rate in den 3 Armen nicht.
Reduziert wurde unter dem GLP-1-Analogon auch der systolische Blutdruck (im Median um 1,27 bzw. 2,59 mmHg). Außerdem nahmen die Teilnehmer sehr viel stärker ab – um 3,6 und 4,9 kg – in der Placebogruppe waren dies nur 0,5 bis 0,7 kg. Auch bezüglich der Lebensqualität zeichnete sich ein Trend zugunsten der Semaglutid-Gruppe ab, berichtete Vilsboll. Wie auch bereits unter anderen GLP-1-RA berichtet, stieg die Herzfrequenz unter Semaglutid leicht an, um 2,0 bzw. 2,5 bpm.
Erhöhte Retinopathie-Rate in der Diskussion
Für das unerwartet ungünstige Ergebnis bei den Mikroangiopathie-Endpunkten – 50 versus 29 Mal wurde unter Semaglutid eine Retinoapthie neu diagnostiziert oder verschlechterte sich – bot Vilsboll als mögliche Erklärung, die verbesserte Blutzuckereinstellung unter dem GLP-1-Analogon an. Es sei bekannt, erinnerte sie, dass bei einer raschen Blutzuckersenkung sich die Augenbefunde akut verschlechtern können.
Prof. Dr. Bernie Zinman, Mount Sinai Hospital, Toronto, Ontario, betonte allerdings auf Nachfrage von Medscape, dass die Augenbefunde in SUSTAIN-6 „nicht ignoriert werden sollten“. „Es handelt sich zwar um eine kleine absolute Zahl von Ereignissen, aber in der LEADER-Studie mit Liraglutid gab es Ergebnisse in die gleiche Richtung, so dass ich denke, dass weiter geprüft werden sollte, ob es sich um einen realen Befund handelt.“
Zu den Nebenwirkungen der Semaglutid-Behandlung in der Studie führte Prof. Dr. Stephen Bain, Swansea University, Swansea, Großbritannien, in München vor allem die bekannten Begleiterscheinungen der GLP-1-Analoga an: Nausea, Erbrechen und Diarrhoen kamen unter Semaglutid häufiger vor. Es gab jedoch keine Erhöhung des Pankreatitis-Risikos, auch bei den malignen Neoplasien und bei den Gallenerkrankungen gab es kein Signal für eine Risikosteigerung.
Den unerwünschten Wirkungen stellte Bain die Number Needed to Treat (NNT) gegenüber: Um ein Ereignis des primären Endpunktes – Schlaganfall oder Herzinfarkt – zu verhindern, müssen 45 Patienten mit den gleichen Ausgangskriterien wie die Studienteilnehmer über 2 Jahre mit Semaglutid behandelt werden.
Als Diskutant der Studie war der schwedische Kardiologe Prof. Dr. Lars Ryden, Karolinska Universitätshospital, Stockholm, Schweden, voll des Lobes: Sie sei sehr gut gemacht und belege eine klinisch bedeutsame Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse durch die Behandlung. „Eine derart ausgeprägte Risikoreduktion schaffen wir selbst mit vielen kardiovaskulären Interventionen nicht.“ Aus der Tatsache, dass Schlaganfälle und Herzinfarkte durch das GLP-1-Analogon reduziert worden waren (die kardiovaskulär bedingte und die Gesamtmortalität und auch die Zahl der Herzinsuffizienzen nicht), und aus dem Umstand, dass es ein halbes Jahr bis ein Jahr dauerte, bevor sich die Ereignisraten offensichtlich trennten, schloss er auf einen bedeutsamen Effekt auf die Artherosklerose durch die Therapie.
Und er erinnerte daran, dass es gerade die Schlaganfälle und Herzinfarkte sind, die bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zu deren erhöhter Morbidität und Mortalität beitragen. Warum sich kein Effekt auf die Mortalität zeigte, erklärte er im Gespräch mit Medscape: „Es dauert einige Zeit bis sich die kardiovaskulären Benefits auch in der Sterblichkeit niederschlagen – und die Studie dauerte nur zwei Jahre. Das war zwar ausreichend Zeit, um wie beabsichtigt den Nutzen der Therapie zu zeigen, aber im Vergleich zur gesamten Lebensspanne von Patienten mit Diabetes ist dies natürlich eine relativ kurze Zeit.“
Auch Zinman zeigte sich insgesamt begeistert: „Es ist spannend, noch eine weitere positive Studie bezüglich der kardiovaskulären Endpunkte zu haben. Es handelt sich um einen sehr robusten Effekt auf die Reduktion der primären Endpunkte – und dies trotz einer nicht allzu großen Studienpopulation und über einen relativ kurzen Zeitraum. Und obwohl ja in allen Gruppen versucht worden war, das Glykämie-Ziel zu erreichen, war der Unterschied im HbA1c-Wert doch beträchtlich – was zeigt, dass es sich um ein sehr potentes Antidiabetikum handelt, das den HbA1c-Wert ausgezeichnet senkt.“
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Noch eine positive Diabetes-Endpunktstudie: Semaglutid reduziert in SUSTAIN-6 Schlaganfälle und Infarkte - Medscape - 19. Sep 2016.
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