Die Psyche kurieren – Adipositas heilen? Die Darm-Gehirn-Achse liefert Ansatzpunkte für eine Therapie der Fettsucht

Bettina Micka

Interessenkonflikte

19. September 2016

Prof. Dr. Bertram Wiedenmann

Berlin – Zweifellos: „Adipositas“ klingt besser, jedoch bringt die Bezeichnung „Fettsucht“ auf den Punkt, worum es sich meist handelt – nämlich um eine Sucht und damit um eine Erkrankung des Gehirns. Dies machte Prof. Dr. Bertram Wiedenmann, Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Kongresses Viszeralmedizin 2016 deutlich [1]. Und diese Sucht hat weit größere Ausmaße als jede andere. „25 Prozent unserer deutschen Bevölkerung haben mittlerweile einen Body-Mass-Index von mehr als 30“, so Wiedenmann.

Doch die Psyche ist nur die eine Seite. Sind erst einmal zahlreiche überzählige Kilos gespeichert und der Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht, wirken auch Prozesse im Darm auf das Gehirn zurück und führen dazu, dass die Patienten noch mehr essen. Ein Teufelskreis, aus dem die sie sich ohne Hilfe kaum noch befreien können. Der Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten präsentierte neueste Erkenntnissen zur Darm-Hirn-Achse und mögliche Konsequenzen für die Therapie der Adipositas.

 
25 Prozent unserer deutschen Bevölkerung haben mittlerweile einen Body-Mass-Index von mehr als 30. Prof. Dr. Bertram Wiedenmann
 

Adipositas als Sucht

In der S3-Leitline Adipositas vom April 2014 wird Adipositas erstmals als Krankheit definiert. Doch dass es sich auch um eine Krankheit des Gehirns handelt, wird von Ärzten meist noch zu wenig beachtet. MRT- und PET-Untersuchungen belegen, dass die übermäßigen Nahrungsaufnahme tatsächlich Suchtverhalten ist: Wenn adipösen Menschen Nahrung angeboten wird, seien bei ihnen die gleichen Strukturen im Gehirn überaktiviert wie bei anderen Süchtigen, insbesondere Teile des Hypothalamus und der Amygdala, erläuterte Wiedemann gegenüber Medscape.

Dass bei den Patienten, basierend auf einer Prädisposition für Suchtverhalten, gerade Essen zur Sucht wird, liegt nicht selten im familiären Umfeld der Patienten begründet, wie Wiedenmann am Beispiel einer Patientin illustrierte. Die 23-Jährige suchte ihn kürzlich wegen ihres durch Übergewicht bedingtes Sodbrennens auf. Bei einer Körpergröße von 165 cm wog sie 80 kg. Ihr Body-Mass-Index (BMI) lag damit über 30. Sie berichtete, dass ihr Vater einen Lebensmittelhandel besitzt und in ihrer Familie deshalb schon immer ausgiebiges und genussreiches Essen eine große Rolle gespielt haben.

Negative Wechselwirkungen zwischen Darm und Gehirn

Wenn Menschen nun durch ihre Ess-Sucht ständig zuviel Nahrung zu sich nehmen, wird der Regelkreis zwischen Gehirn und Darm erheblich gestört. So reguliert etwa der Körper die Zahl der Dopamin-Rezeptoren herunter, deren Aktivierung das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Folge: Es muss immer mehr gegessen werden, um die Sucht zu befriedigen. Ein Effekt, der auch von anderen Süchten bekannt ist.

 
Ab einem BMI von über 40 würde ich immer eine bariatrische Operation empfehlen. Darunter könnte die Verhaltenstherapie eine Option sein. Prof. Dr. Bertram Wiedenmann
 

Von der anderen Seite des Regelkreises – Magen-Darm-Trakt und Pankreas – wirken mindestens 9 Hormone und das Mikrobiom auf die Regulation des Körpergewichts ein. So stimuliert etwa das im Magen produzierte Hormon Ghrelin die Nahrungsaufnahme, indem es das Hungerzentrum aktiviert. Mit der Sättigung sinkt der Hormonspiegel im Blut normalerweise ab.

Inzwischen ist bekannt, dass sich die Darmflora von Adipösen in ihrer Zusammensetzung von der schlanker Menschen unterscheidet. Wie erst kürzlich in einem Nature-Artikel beschrieben wurde, produziert die Darmflora von übergewichtigen Mäusen Acetat. Dieses aktiviert nun das parasympathische Nervensystem, dass für eine verstärkte Ausschüttung von Insulin und Ghrelin sowie vermehrte Nahrungsaufnahme bei den untersuchten Mäusen sorgte. Diesen Effekt konnten die Forscher durch die Gabe von Antibiotika ganz oder teilweise wieder aufheben. Die Autoren sehen in diesem Acetat-getriggerten Mechanismus einen möglichen therapeutischen Angriffspunkt. Zur Blockade des Magenhormons Ghrelin laufen bereits erste Studien.

Neben dem Suchtverhalten beeinflussen weitere psychische Komponenten die Nahrungsaufnahme, wie Ärger oder Stress. Wie Stress zu einer Zunahme an Körpergewicht führt, hat Prof. Dr. Achim Peters vom Universitätsklinikum Schleswig-Holtstein in seiner Theorie von „Selfish Brain“ dargelegt hat. Durch anhaltenden Stress wird demnach der Regulationsmechanismus gestört, der für eine bevorzugte Versorgung des Gehirns mit Nährstoffen sorgt. Das Gehirn ist unterversorgt, obwohl für den Rest des Körpers genug Nährstoffe zur Verfügung stehen. Um seine Energieversorgung zu sichern, fordert es mehr Nahrung an. Dadurch wird jedoch der Körper anhaltend mit Kalorien überversorgt.

Die Psyche kurieren – Adipositas heilen?

Der Einfluss des Gehirns auf die Entstehung von Adipositas ist unstrittig. Da liegt es nahe, mit der Therapie (auch) auf psychischer Ebene anzusetzen. „Ab einem BMI von über 40 würde ich immer eine bariatrische Operation empfehlen. Darunter könnte die Verhaltenstherapie eine Option sein“, sagte Wiedenmann. Allerdings, so räumte er ein, fehlten bisher Studien, die einen Nutzen belegen. Seine junge Patientin habe sich jedenfalls zu eine Psychotherapie entschlossen, berichtete der Gastroenterologe.

„Psychopharmaka helfen leider nicht“, fügte Wiedenmann auf Nachfrage von Medscape hinzu. „Es gibt nur eine Ausnahme: wenn die Ursache gestörten Essverhaltens eine Depression ist. Diese sollte dann natürlich auch entsprechend therapiert werden.“

 

REFERENZEN:

  1. Viszeralmedizin 2016, 21. bis 24. September 2016, Hamburg

 

Kommentar

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