Bestimmte Genexpressionstests können die Genaktivität eines Tumors messen und Hinweise auf dessen Aggressivität und das Rezidivrisiko liefern. Experten erhoffen sich so eine bessere Risikostratifizierung und eine Entscheidungshilfe für oder gegen eine adjuvante Therapie, insbesondere eine Chemotherapie. Den klinischen Nutzen des MammaPrint-Tests – er misst ein Profil von 70 Genen, die an der Metastasierung von Brustkrebs beteiligt sind – haben Dr. Fatima Cardoso vom Champalimaud Clinical Center in Lissabon und ihre Kollegen nun in der europäischen MINDACT-Studie geprüft [1].

Prof. Dr. Volkmar Müller
Die im New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse zeigen: Das Verfahren erleichtert teilweise die Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie bei Brustkrebspatientinnen im Frühstadium – absolute Sicherheit liefert es nicht.
„Diese Studie ist die erste, die Ergebnisse zum Nutzen einer Chemotherapie in einer solchen Konstellation vorstellt. Es handelt sich um eine tolle Arbeit, die Daten leisten einen wichtigen Beitrag. Mit den Ergebnissen der Studie haben wir gute Evidenz für einen weiteren Test zur Verfügung, der die Beratung von Frauen mit neu diagnostiziertem Brustkrebs in bestimmten Situationen verbessern kann“, kommentiert Prof. Dr. Volkmar Müller, Stellvertretender Klinikdirektor und Leiter konservative gynäkologische Onkologie der Gynäkologischen Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf, die Studienergebnisse.
Der Bedarf für eine bessere Risikoabschätzung sei reichlich vorhanden, bestätigt Müller und fügt hinzu: „Wir benötigen für einen Teil unserer Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem Mammakarzinom bessere Methoden zur Prognoseabschätzung. Die klinischen Faktoren Tumorgröße, Grading und möglicherweise auch einzelne betroffene Lymphknoten reichen nicht immer aus, und Genexpressionstests können hier einen wertvollen Beitrag leisten.“
In den letzten Jahren habe ohnehin ein Umdenkprozess eingesetzt, der sich auch in den nationalen und internationalen Leitlinien widerspiegele: die kritische Indikationsstellung zum Einsatz einer adjuvanten Chemotherapie. „Ich hoffe, dass sich dieser Trend zum ohnehin schon immer kritischeren Umgang mit dem Einsatz zur Chemotherapie bei Frauen mit Hormonrezeptor-positivem und HER2-negativem Brustkrebs weiter verstärkt“, sagt Müller.
Klinische Untersuchung versus Genexpressionstest
In die randomisierte Phase-3-Studie nahmen Cardoso und ihre Mitarbeiter 6.693 Frauen (Durchschnittsalter 55 Jahre) mit Mammakarzinom im Frühstadium auf, die sich alle einer Tumoroperation unterzogen hatten. Das Risiko für ein Rezidiv wurde dabei mit 2 Verfahren gemessen: einmal anhand der herkömmlichen Kriterien (Tumorgröße, Ausmaß der Zellentartungen und Zahl der befallenen Lymphknoten) und dann noch mittels MammaPrint.
Die Patientinnen, denen beide diagnostische Verfahren ein hohes oder ein geringes Wiedererkrankungsrisiko bescheinigten, erhielten die gängigen Behandlungsempfehlungen: Den Patientinnen mit hohem Rezidivrisiko wurde zu einer Chemotherapie geraten, den Patientinnen, die in beiden Verfahren ein geringes Risiko gezeigt hatten, hingegen nicht.
Für Cardoso und ihr Team waren aber vor allem die Patientinnen (n = 1.550) von Interesse, bei denen der Gentest ein niedriges Rezidivrisiko, die klinische Untersuchung hingegen eine hohe Rückfallgefahr prognostiziert hatte. Um herauszufinden, welches Verfahren in dem Fall mehr Aussagekraft besitzt, behandelten sie eine Hälfte von ihnen mit Zytostatika und die andere Hälfte nicht.
Bei den Patientinnen, die sich keiner Chemotherapie unterzogen hatten, lag die tumorfreie Überlebensrate nach 5 Jahren bei 94,7% (95% KI, 92,5–96,2). Bei den Frauen, die eine Chemotherapie durchlaufen hatten, lag die Rate für tumorfreies Überleben bei 96,5%. Der Genaktivitätstest konnte somit dem Gros der Frauen eine Chemotherapie ersparen. „Die Ergebnisse sprechen gegen den Einsatz einer Chemotherapie bei solchen Patientinnen: Der Unterschied von 1,5 Prozent rechtfertigt den Einsatz einer Chemotherapie mit all ihren Nebenwirkungen nicht“, so Müller.
Gleiche Überlebensjahre ohne Fernmetastasen wurden aus der Subgruppe von Patienten berichtet, die eine Hormonrezeptor-positive, eine HER2-negative und entweder eine node-negative oder node-positive Erkrankung hatten. Cardoso schreibt: „In Anbetracht dieser Ergebnisse benötigen etwa 46 Prozent der Frauen mit Brustkrebs mit hohem klinischen Risiko keine Chemotherapie.“
Klinische Risikoabschätzung in der Studie nicht ganz aktuell
„Wie bei allen Studien gibt es ein paar Aspekte kritisch zu diskutieren“, betont Müller: „Die Einschlusskriterien wurden im Laufe der Studie leicht geändert, und die Patientinnen erhielten verschiedene Chemotherapie-Regime, die nicht alle dem aktuellen Standard entsprechen.“ Darüber hinaus wurde der Test an frisch gefrorenem Tumorgewebe durchgeführt – ein Vorgehen, das angesichts logistischer Probleme und immer kleiner werdender Tumoren nicht für alle Kliniken umsetzbar ist.
„Weiterhin ist die klinische Klassifikation des Risikos auf der Basis eines modifizierten Algorithmus von `Adjuvant Online´ vorgenommen worden, der in dieser Form meines Wissens nicht gut klinisch validiert ist. Im Gegensatz zu den anderen Studien mit Genexpressionstests waren auch Frauen mit Hormonrezeptor-negativen und/oder HER2-postiven Tumoren erlaubt. Diese Gruppe ist aber in der Studie sehr klein, und die Ergebnisse sollten nicht dazu dienen, Frauen mit solchen Tumoren basierend auf einem Genexpressionstest von einer Chemotherapie abzuraten“, so Müller.
Dass jedoch – wie von Cardoso formuliert – 46% der Frauen mit hohem klinischem Risiko keine Chemotherapie benötigen, bezweifelt Müller: „Die klinische Risikoabschätzung in der Studie ist aus meiner Sicht nicht aktuell. Möglicherweise wäre die Prozentzahl mit der aktuell gängigen Praxis unter der Einbeziehung z.B. der immunhistochemisch bestimmten Tumorproliferation etwas geringer gewesen.“ Eine kürzlich publizierte Studie hatte bei Hinzunahme eines anderen Gentests eine Therapieänderung durch das Testergebnis bei ca. einem Drittel der Patientinnen beschrieben.
In einer Mitteilung der EORTC-Studiengruppe wertet Dr. Jan Bogaerts, Direktor für Methodologie bei EORTC (European Organisation for Research and Treatment of Cancer), die Ergebnisse so: „Die MINDACT-Studie ist unkonventionell. Liegt die Option zwischen `behandeln´ und `nicht behandeln´, ist die Wahl viel schwerer zu treffen und Studien, die eine solche Frage untersuchen, sind schwer zu vervollständigen. Die Tatsache, dass 6.700 Frauen und ihre Ärzte damit einverstanden waren zu erproben, ob eine Chemotherapie reduziert werden kann, sagt eine Menge aus: Sie zeigt die Notwendigkeit, nach Behandlungsoptionen zu suchen, die besser auf das individuelle Patientenrisiko abgestimmt sind.“
Genexpressionstests als Entscheidungshilfe für Arzt und Patientin
Wie Dr. David Hunter von der Harvard T.H. Chan School of Public Health in Boston im begleitenden Editorial zu bedenken gibt, fällt es Brustkrebspatientinnen schwer, ein geringeres Rückfallrisiko gegen die Vor-und Nachteile einer Chemotherapie abzuwägen [2]. Er schreibt: „Wie interpretiert eine Patientin, die wissen will, ob sie sich einer Chemotherapie unterziehen soll oder nicht, ein um 1,5 Prozent geringeres Rückfallrisiko?“
Hunter stellt fest, dass solche Wahrscheinlichkeitsangaben nicht nur für Patienten, sondern auch für viele Ärzte schwer nachvollziehbar sind. Doch der enorme Kenntniszuwachs in der Medizin bringe es mit sich, dass Erkrankungsrisiken und Therapieerfolge mehr und mehr in dieser Form vermittelt würden. Hunter sieht einen dringenden Bedarf, Methoden zu entwickeln, die es Patienten und Ärzten erlauben, solche Informationen besser zu verstehen. Denn nur so seien diese in der Lage, die richtige Entscheidung zu treffen.
„Es bleibt eine Herausforderung, die vorhandenen Informationen und Daten der Patientin so verständlich zu vermitteln, dass sie eine Entscheidung für oder gegen die adjuvante Chemotherapie treffen kann“, betont Müller. Darüber hinaus werde kein Test jemals eine absolut sichere Vorhersage erlauben, welche Patientin wirklich eine Chemotherapie benötigt, da sie ohne eine Therapie einen Rückfall erleiden würde, aber mit Chemotherapie geheilt würde. „Wir können nur an der Verbesserung der statistischen Vorhersage arbeiten”, sagt Müller dazu. Zu dieser Fragestellung werden weitere Studienergebnisse in den kommenden Jahren erwartet.
„Unsere Studienergebnisse helfen dabei, besser informierte Abstimmungen für Frauen mit frühem Mammakarzinom hinsichtlich der Entscheidung Chemotherapie oder keine Chemotherapie zu treffen. Sie können viele dieser Frauen die unnötige Härte ersparen, sich dieser zusätzlichen toxischen Behandlung zu unterziehen, gerade dann, wenn die Effektivität sehr limitiert ist“, betont Cardoso, Studienleiterin und Leiterin der EORTC-Brustkrebs-Forschungsgruppe.
Genaktivitätstests in Deutschland?
Wie Müller berichtet, ist der MammaPrint-Test in Deutschland noch nicht weit verbreitet. Die Empfehlungen der Organgruppe Mammakarzinom der Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) haben diesen Test neben anderen aber 2016 als mögliche Option angesehen. „Eine große Herausforderung ist übrigens die Kostenübernahme der Tests durch die Krankenkassen. Hier ist leider immer noch keine klare Regelung gefunden. Das darf aber meines Erachtens kein Grund sein, Patientinnen diese Tests vorzuenthalten“, schließt Müller.
Neben MammaPrint gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Genaktivitätstests, zum Beispiel: Oncotype DX, Endopredict oder Prosigna, mit denen sich das Risiko für ein Wiederauftreten von Brustkrebs vorhersagen lässt.
REFERENZEN:
Medscape Nachrichten © 2016 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Brustkrebs: Gentest MammaPrint misst 70 Gene – erleichtert er die Entscheidung pro oder contra adjuvante Chemotherapie? - Medscape - 19. Sep 2016.
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